Während eine Touristengruppe üppige Pizzen mit duftendem Speck serviert bekommt, dirigiert ein Mann seinen Sohn zur Wand neben der Eingangstür.
Neben zahlreichen militärischen Abzeichen hängt dort auch ein übergroßes Modellgewehr. Der Knirps posiert kerzengerade darunter, dann knipst sein Vater das Erinnerungsfoto, begleitet von moderater Rockmusik.
Doch nicht nur die Ausstattung verrät, dass die "Pizza Veterano" im Herzen Kiews kein gewöhnliches Restaurant ist. Auch nicht für diese Beiden: "Das ist ein wunderbarer Ort! Für Leute wie uns, die für ein paar Tage aus dem Kriegsgebiet hierhergekommen sind, fühlt es sich heimatlich an."
"Es ist ein guter Ort, um Brüder im Geiste, um Waffenbrüder zu treffen."
Pizzeria als Schritt zurück ins zivile Leben
An einem der massiven Holztische nimmt Leonid Ostaltsev Platz. Ein Mann mit dicken Unterarmen, langem Vollbart und wenig Zeit. Sein Arbeitstag dauert noch etwas, also trinkt er auch um 19 Uhr einen Kaffee.
Ostaltsev hat "Pizza Veterano" vor drei Jahren ins Leben gerufen. Davor hat er als Freiwilliger für die ukrainische Armee im Donbass gekämpft. Die Pizzeria war für ihn und weitere Veteranen ein erster Schritt zurück ins zivile Leben:
"Vor dem Krieg hatte ich sechs Jahre in der Küche gearbeitet. Nach meiner Rückkehr habe ich gesehen, dass Veteranen selten einen Job finden. Und weil ich gut Pizzen backen kann, hatte ich die Idee, einen eigenen Laden zu eröffnen, zusammen mit Kameraden. Sie sollten hier Fuß fassen und sich umschulen können. Und es sollte ein Ort sein, an dem sie wohl und sicher fühlen."
Pizzerien, Cafés und ein Taxiservice
Ein Job als emotionaler Zufluchtsort. Auch dank der Militärinsignien an den Wänden - allesamt Geschenke, betont Ostaltsev. Für die Mitarbeiter aber, erklärt er, seien sie psychologische Stützen geworden, Andenken an überstandene Extremumstände.
Etwa 70 Ex-Soldaten arbeiten heute für die "Veterano Group"-Franchise, zu der weitere Pizzerien, Cafés und ein Taxiservice gehören. Regelmäßige Termine bei Psychologen sind Pflicht.
Um all das aufzubauen, erzählt Leonid Ostaltsev, war es kein leichter Weg: "Viele Leute wissen häufig nicht, wie sie mit uns umgehen sollen, manche haben Angst vor uns. Für die Pizzeria hatten wir zuerst einen anderen Raum gefunden. Als die Vermieterin dann bei der Vertragsunterschrift hörte, dass wir Veteranen sind, zog sie sich vom Geschäft zurück. Das ist so kleines Beispiel, wie es laufen kann."
Heute sei der Umgang mit Veteranen aber besser, fügt Ostaltsev hinzu. Was immer bleibt, ist seine Erinnerung an den Krieg. Sein Vater war in den 80ern sowjetischer Truppenarzt in Afghanistan, er selbst ging auf eine Militärschule, das alles hat ihn geprägt.
Für ein Jahr ging Ostaltsev dann an die Front im Donbass, um sein Land zu verteidigen, wie er sagt. Sieben Freunde habe er im Kampf sterben sehen. Seinen damaligen Alltag schildert er nur knapp: "Ich war in der Infanterie. Na ja, und es sah für uns dort fast immer gleich aus: Schießen, Panzer, Artillerie und noch einmal Schießen, Schießen, Schießen. Es war fast wie in Filmen, nur dass das echt war."
Veteranen sollen innerlich stabilisiert werden
Um erklärt zu bekommen, was das in einem Menschen auslöst, begibt man sich am besten nach Podil im Norden Kiews. Inmitten bröckeliger Ziegelbauten tuckert eine in die Jahre gekommene Tram die Straße entlang.
Nach einigen Schritten durch einen Hinterhof öffnet die Gastgeberin die Tür: "Guten Tag, ich heiße Oksana Khmelnytska!"
"Povyerennya" - "Rückkehr" heißt das Büro, in dem Psychotherapeutin Khmelnytska arbeitet. Sie hat unter anderem in München studiert und bittet in ihr Dienstzimmer. Es ist spartanisch eingerichtet – die Wände kahl, das Sofa leicht durchgesessen.
Hier werden Veteranen im ersten Schritt innerlich stabilisiert:
"Das heißt, dass sie irgendwie ein vergleichbar normales Leben führen können. Damit sie also keine Scheidung machen, dass sie ihre Kinder und Frauen nicht schlagen. Damit sie keine Granate in die Stadtadministration werfen."
Langfristig sollen sie mit ihren psychischen Belastungen leben, sie neutralisieren können. Etwa 15 kostenlose Therapiestunden bietet dafür die NGO an, in der Oksana Khmelnytska tätig ist. Das Angebot richtet sich an weniger schwere Fälle, Medikamente dürfen hier nicht verschrieben werden.
Immer noch im Zustand eines potenziellen Alarms
Finanziert wird diese Arbeit auch von kirchlichen Hilfswerken aus Deutschland. Khmelnytska ist dankbar dafür, sagt sie. Dann greift sie nach einem Zettel auf ihrem Schreibtisch:
"Da gibt es eine Statistik, das können Sie sich anschauen… hier steht, das sind etwa 2.770 Psychiater im ganzen Land für Erwachsene, die diagnostizieren und pharmazeutisch unterstützen können. Und es gibt auch etwa 400 Psychotherapeuten in den staatlichen Einrichtungen."
"Und das ist zu wenig?"
"Und das ist nichts!"
Zu allem bereit
Eine staatliche psychologische Versorgung, klagt Khmelnytska, gebe es in der Ukraine faktisch bis heute nicht. Veteranen seien auf NGOs angewiesen. Doch das vielleicht größte Problem, ergänzt sie, sei der Krieg, dessen Ende nicht in Sicht sei:
"Das ist das erste Jahr, in dem wir verstehen, dass es nicht bald vorbei sein wird. Eine richtige Adaption in die Gesellschaft ist aber nur möglich, wenn es vorbei ist. Das heißt: ‚Ich habe meinen Dienst erfüllt, jetzt gibt es ein anderes Leben‘. Das Ende gibt es nicht. Subjektiv sind die Veteranen nicht demobilisiert. Sie befinden sich immer noch im Zustand von einem potenziellen Alarm - alle diese Reaktionen, die kritisch werden können, sind ganz leicht zu wecken."
In der "Pizzeria Veterano" will sich Leonid Ostaltsev verabschieden. Er ist zufrieden mit seinem neuen Alltag. Doch eine innere Unruhe, die Oksana Khmelnytska Veteranen oft attestiert, ist auch bei ihm zu spüren. Vor allem, wenn es um Separatisten im Osten des Landes geht:
"Das sind Kriminelle, die auch ein Opfer russischer Propaganda sind. Ich will mit ihnen aber nicht reden. Sie sollen die Waffen niederlegen, sich ergeben, und für ihre Taten geradestehen. Danach können wir gerne sprechen."
Und dann sagt er noch, er wisse nicht, wie es im Krieg weitergehe. Aber man sei zu allem bereit:
"I don’t know, can’t even imagine. But we are ready, you know. For everything."