"Ist eigentlich der schönste Radweg, den ich weiß. Weil er so vielfältig ist. Bis Füssen ist fast eben und dann fährt man ins Gebirge rein, bis zum Hochgebirge, auf den Reschen, ist ungefähr 1.400 m hoch. Alle 50 Km ist eine andere Landschaft. Und dann ab Reschen rollt es bis Trient, kann man ausruhen. Die ersten drei bis vier Tage sind anstrengend, aber dann bis Trient ist es sehr schön."
Ab Trient hat man die Wahl, durch die Berge in Richtung Venedig oder weiter entlang der Etsch nach Süden. Werner Zach aus Donauwörth kennt auch andere Radfernwege, doch diesen ist er schon mehrmals gefahren.
Das Glockenspiel vom Rathaus verabschiedet uns aus Donauwörth. Ab zur Donau, über die Brücke und ein Stück entlang der Augsburger Straße. Dann biegt Werner Zach mit uns ab auf einen Feldweg.
"Die Donau hatte früher einen anderen Verlauf, ist jetzt ein Kilometer weiter nördlich. Und hier ist der nördlichste Meilenstein der via Claudia. Da steht also 42/43 n. C. ist die via Claudia in Angriff genommen und hatte dann die Blütezeit im 3. und 4. Jh. Hier war dann die Donau-Brücke."
Begeistert von der Baukunst der Römer
Im Jahr 15 vor Christus sind die Römer über die Alpen gezogen, haben am Ende ihres Feldzugs Augsburg gegründet und begonnen, die Straße anzulegen. Bis sie fertig war, hat es etwa 60 Jahre gedauert. Der Architekt Magnus Peresson ist weite Strecken auf der Via Claudia gewandert und von der Baukunst begeistert:
"Dass die Leute damals unglaublich bodenständig gedacht haben, dass sie die Topografie studiert haben, dass sie auch das Mikroklima immer beachtet haben. Wo ist sehr lange Schatten? Z.B. in den Bergen gibt es ja in den Tälern Bereiche, wo sie drei Monate lang keinen Sonnenstrahl haben, da würde nie ein Römer eine Straße bauen. Auf der gegenüberliegenden Flussseite haben sie das ganze Jahr über Sonne. Das heißt, das Wasser läuft ab, die Straße braucht wesentlich weniger Pflege. Die Zugtiere haben mehr Kraft, weil sie nicht immer diese kalte Luft schnaufen müssen. Und wenn sie da laufen, das ist einfach entspannend. Also man läuft leicht auf diesen Straßen."
Werner Zach: "Am Fernpass, wenn Sie rauf fahren, oben sind noch Rillen zu sehen, für die Heerwägen. Man meint immer die DIN ist eine deutsche Erfindung. Das hatten die Römer schon längst. Die Straßen waren alle gleich breit. Die Wagenbreite, die waren alle gleich, bis auf den Zentimeter. Und da sind die Wagen in diesen Rillen gefahren, damit sie nicht abrutschten."
Hoch zum Fernpass wird es anstrendend
Die Römer haben den leichtesten Alpenübergang gefunden, von dem nun die Radler profitieren. Immer entlang des Lech bis Reutte, dort wird es anstrengend: hoch zum Fernpass. Leider ist der Radweg über den Fernpass nur geschottert, was die Mühen der Steigung verdoppelt. Und auf der Europastraße sollte man sich doch nicht zum Hindernis für die LKW machen. Besser, man steigt in Biberwier in den Shuttle-Bus. Bergab fährt man dann auch auf einem Schotter-Forstweg, doch es geht eben abwärts. Am Briglbach, Gurglbach, Pigerbach, ein schmales Tal zwischen Zweieinhalb-tausender Gipfeln, bis zum Inn. Und weiter am Inn bis Landeck. Dann wieder hoch zum Reschenpass, auch hier fährt ein Bus, bis Nauders. Nach ein paar Kilometern mit dem Rad auf und ab über den Pass, rollt man fast nur noch runter, runter, runter, immer im Tal der Etsch. Bis Verona. Auf der ganzen Strecke sind immer wieder die etwa 2.000 Jahre alten Spuren der Römer zu sehen.
"Die am meisten sichtbare Hinterlassenschaft der Römer in Augsburg, Sie sehen's bei uns auf jeder Straßenbahn, auf dem Rathaus, im Stadtwappen… nämlich ein Objekt, das die Augsburger als Zirbelnuss bezeichnen. Tatsächlich ist es der Pinienzapfen, der die Bekrönung römischer Pfeilergrabmäler gebildet hat."
Manfred Hahn ist Leiter des Römischen Museums in Augsburg und freut sich über sehr gut erhaltene Grabmäler, das bekannteste: ein Fuhrwerk mit Kutscher.
"Das Bild zeigt ein Doppel-Ochsengespann mit einem Fuhrknecht, der in einen Kapuzenmantel gehüllt, diese beiden Ochsen antreibt. Und was er transportiert, das sind zwei schwere Weinfässer. Es ist ein schwerer Transport, dazu mussten Ochsen verwendet werden, denn römische Pferde sind wesentlich kleiner als heutige. Pferde also nur im Reiseverkehr für den Personentransport, wenn es also schnell gehen muss, aber sicher nie im Schwerlastverkehr, da immer Ochsen."
Bei Peiting wollte ein Bauer die blöden Huckel auf seinem Feld einebnen, doch der Bürgermeister ließ erstmal graben. Gefunden wurden viele Mauerreste "von einem Landgut von ca. 2,5 ha Größe mit einem ganzen Gebäude-Agglomerat, also eine riesige Anlage, die mit Außenmauern abgesichert wurde."
Jakob Leicher vom Verein, der Teile des Haupthauses gesichert und zugänglich gemacht hat. Daneben ein schöner Garten mit Pflanzen, die einst mit den Römern über die Alpen gekommen sind. "Die Gurke gab man römischen Soldaten beim Marsch in Feindesgebiet als Wasserflaschenersatz mit. Denn schlechtes Wasser im Feindesland hätte möglicherweise katastrophale Wirkungen, so gab man ihnen eine Gurke mit."
Meist nicht direkt am Flussufer entlang
Meist verlief die Römer-Straße nicht direkt am Flussufer. Wenn dort Überschwemmungen drohten oder das Tal sumpfig war, haben sie ihre Straße im Flachland auf die angrenzenden Hügel gelegt und in engen Tälern hoch an den Hang. Zwischen Landeck und der Gemeinde Fließ liegt die Fließer Platte. In den Felsen wurden, wie am Fernpass, Längsrillen geschlagen, wie Schienen, damit die Wagen nicht abrutschten.
"Fließ liegt auf einem schönen Sonnenplateau. Die Via Claudia geht durch unser Dorf, weil unten, wo jetzt die Bundesstraße verläuft, wo der Inn fließt, da war vor 2.000 Jahren einfach Sumpfgebiet. Da war es nicht möglich, eine Straße anzulegen", erzählt Resi Mark in der neuen Via-Claudia-Info in Fließ. Dort wird gezeigt, was die Römer am Weg alles verloren haben. Münzen, Werkzeug, Schuhe.
"Da ist was ganz spezielles: die Hipposandalen. Das waren die Vorgänger der heutigen Hufeisen. Die Geschichtsbücher schreiben, dass das römische Heer teilweise 3 Wochen Station machen musste, weil die Hufe kaputt waren. Dann hat man eben die Pferde mit solchen Schuhen versehen. Das war ein Schutz für die Hufe und gleichzeitig eine Aufstiegshilfe."
Im heutigen Bozen wird eine Straßenstation und Brücke erwähnt – Pons Drusi. Doch wo genau, das weiß man nicht. In Trient dagegen kriegt man reichlich Römisches zu sehen. Als vor 20 Jahren das Theater renoviert wurde, kamen die Archäologen.
Von der Piazza Cesare Battisti steigen wir runter in die Römerstadt Tridentum. Ein Stück Stadtmauer, ein Tor, eine breite Straße, mit Steinplatten belegt und einem extra Fußweg. Daneben die Mauern der Häuser, verschiedene Räume, Bäder, sogar Abwasser-Gräben unter der Straße. Alles original.
"Ganz Original. Wir haben nichts gemacht. Wir haben die Situation, die wir gefunden haben, gelassen. Genauso."
Gianni Giurletti hat damals die Ausgrabung geleitet. Die Betondecke über unseren Köpfen, das ist das Theater, mit Fenstern in die Antike. Tridentum sollte den Nachschub sichern, auf der wichtigen Straße über die Alpen.
"Tridentum lag an der Straße, der Via Claudia, von Verona zu den Alpen und zur Donau. Es war ein strategischer Punkt. Z. B. im 2. Jh. war Tridentum ein Hauptort für die Soldaten, die am Limes, an der Donau waren, in Rätien und im Noricum."
In Verona viele Zeugnisse aus der Römerzeit
Bietet Trient schon reichlich, stolpert man in Verona fast an jeder Ecke über Zeugnisse aus der Römerzeit, bis zum berühmten Amphitheater, das auch heute noch genutzt wird.
Nicht nur Römer-Zeit. Ebenso lassen sich unterwegs Zeugnisse anderer Epochen entdecken: Der berühmte Ötzi in Bozen, dort und in Meran beeindrucken die vielen spätmittelalterlichen Handelshäuser mit ihren Arkaden. Auch kleine Städtchen, wie Neumarkt zwischen Bozen und Trient, punkten mit solchen langen, uralten Gewölbe-Bögen. In Fließ werden im alten Pfarrhof gleich neben der Kirche Schätze aus der Bronzezeit gezeigt, die man im Ort gefunden hat. Und in der Tiefgarage unterm Markt kurven die Autos um die Reste eines rätischen Hauses, das stand hier schon, bevor die Römer kamen.
Resi Mark: "Da, wo wir stehen, sehen wir den typischen gewinkelten Eingang von so einem rätischen Haus. Wir können rundherum gehen, dann sieht man das ganze Ausmaß. Es ist 5. Jh. v. Cr. und das Haus war bewohnt bis zum 1. Jh. v. Cr."
Die 600 Kilometer von Donauwörth nach Ostiglia sind auch landschaftlich sehr abwechslungsreich. Flachland rund um Augsburg, dann das hügelige Alpenvorland.
Bei Reutte geht es zum Fernpass ordentlich bergauf. Eng wird das Tal, hoch die Berge rechts und links. Parallel zur heutigen Fernpass-Straße verlief die Römerstraße, die im Mittelalter als Salzstraße weiter genutzt wurde. Vor 20 Jahren sollte die alte Sperre neben der Fernpassstraße abgerissen werden, mit der sich Tirol gegen Bayern wappnete. Doch es fanden sich Beschützer, die die historischen Gebäude sanierten. Außerdem legten sie Burg-Ruinen frei, weit oben zu beiden Seiten der Straße, und machten daraus die Burgen-Erlebniswelt Ehrenberg.
"Meinhard II. hat 1293 definiert: Tirol beginnt an dieser Stelle, und hat diese Burg gebaut. Und mit dieser mittelalterlichen Burg, die jetzt als Ruine über dem Talkessel thront, hat die ganze Entwicklung des Festungsensembles Ehrenberg begonnen, das im Endausbau 4 Festungsanlagen umfasst."
Armin Walch ist Geschäftsführer der Vereins Burgen-Erlebniswelt. Vor 4 Jahren schafften es die Burgen ins Guinnessbuch der Rekorde. Mit einem neuzeitlichen Bau, der Highline, einer spektakulären Fußgängerbrücke, 406 m lang, 115 m über dem Tal, von einer Burgruine zur anderen.
"Sie ist ja eine Hängebrücke im tibetanischen Stil, d. h. sie keine starren Gehplatten, sie ist also sehr weich, wie man das nennt, sie schwingt mit wie eine Wäscheleine."
Ja, es läuft sich etwas schwabbelig auf dem schmalen Steg. Es folgen die schroffen Gipfel der Hochalpen. Und, wenn der Reschenpass geschafft ist, das sonnige Südtirol. Stunden radeln wir durch Obstplantagen. Äpfel, Äpfel, Äpfel. Gelbe, grüne, orange, hellrote, dunkelrot, fast violett. Neben dem perfekt ausgebauten Radweg strudelt die noch wilde Etsch durch das steinige Flussbett.
Das Etsch-Tal wurde zum Obstgarten
Bald kommt zu den Äpfeln der Wein. Auch hier war ein breites Sumpfgebiet. Erst unter Maria Theresia, vor 250 Jahren, wurde entwässert und das Etsch-Tal zum Obstgarten. Immer wieder Burgen, die einst das Tal bewachten. Die beeindruckendste ist Beseno, weit oben. Als ich das Rad die steile Straße hoch schiebe, verfluche ich meine Idee, die Burg zu besuchen. Doch der Ausblick lohnt sich, nur sollte man das Rad unten im Ort lassen, es sind wirklich nur 20 Minuten zu Fuß, ohne Rad. In der Burganlage Beseno lebte ein ganzes Dorf mit Mann und Maus, Tieren und Gemüsegärten. 7 befestigte Tore lagen damals vor dem Wohnbereich des Barons. Und das Etsch-Tal unten auf dem sprichwörtlichen Präsentier-Teller. Auch in Rovereto beeindruckt eine Burg, ausgebaut von den Venzianern, die auf der Etsch Holzstämme aus den Alpen als Gründung für ihre Palazzi transportieren wollten, sagt Maria Andreolli.
"Das war immer die Grenzregion zwischen der damaligen lateinischen Welt und der germanischen Welt."
Dann kamen die Habsburger und im Ersten Weltkrieg hatte sich die Front am Stadtrand festgebissen. Jeden Abend tönen nun 100 Glockenschläge übers Tal. Die Idee eines Priesters aus Rovereto.
"Nach dem 1. Weltkrieg, der eine Tragödie war für diese ganze Gegend hatte er eine Idee und schrieb an die 19 Nationen, die am Krieg beteiligt waren, und bat sie, sie sollten eine Kanone spenden, damit er eine mit dem Metall dieser Kanonen eine Glocke gießen lassen könnte."
Zunächst hing die Friedensglocke im Turm der Festung. Jetzt weiter oben am Berg, beim Friedenszentrum.
Bis Verona ist der Radweg Via Claudia Augusta perfekt ausgeschildert. Dann nicht mehr. Die letzte Etappe führt über Hügel mit Weinbergen und durch saftiges Schwemmland. Schon die Römer hatten hier Reis angebaut, der auf der Via Claudia nordwärts gebracht wurde.
Erika Rossidr: "Ostiglia war ein Hafen, nicht so viele Einwohner, aber wichtig. Verona war eine Stadt, aber hatte nur einen Hafen an der Etsch, die Römer brauchten noch einen anderen Flussweg, das war der Po. Ostiglia hatte diese wichtige strategische Lage."
Brücke für Soldaten - alle anderen zu Fuß durch den Po
Unter dem Kraftwerk am Fluss sollen die römischen Hafen-Mauern liegen. Bislang kamen Wassersportler und Angler nach Ostiglia. Die Radroute bringt nun auch andere Gäste. Erika Rossidr ist Lehrerin und hat Schüler aus dem Tourismus-Kurs mitgebracht.
"Wir lernen Fachwörter von Geschichte und Tourismus und auch mehr von unserer Stadtgeschichte."
Gemeinsam tuckern wir auf dem Po. Die Römer hatten hier eine Art Ponton-Brücke.
"Ja, aber nur für die Soldaten. Die anderen Menschen gingen zu Fuß durch den Po. Und hier sind Häuser und Gräber gefunden."
Breit fließt der Po, fast wie ein See. Auf einer lang gestreckten Insel blieb der Urwald erhalten. Einst war die ganze große Ebene bewaldet.
Welten liegen auf den 600 Km zwischen Donauwörth und Ostiglia. Die Radroute Via Claudia Augusta verbindet Bayern, die schroffen Hoch-Alpen und den Obstgarten Südtirol genauso, wie mittelalterliche Städte und Zeugnisse der Antike.
Die Reportage wurde durch die Arbeitsgemeinschaft Via Claudia Augusta mit Frei-Übernachtungen unterstützt.