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"Via Intolleranza II"

Von Rassismus, Intoleranz und staatlicher Gewalt handelt Luigi Nonos Oper "Intolleranza 1960". Es geht dabei um den Weg eines Gastarbeiters durchs Exil, politischen Aufstand und Folter. Christoph Schlingensief hat dieses Werk nun als Ausgangspunkt für eine eigene Arbeit gewählt.

Von Elske Brault |
    Auf der typischen schlingensiefschen Bastelbühne treffen sich 18 Menschen, die Hälfte davon aus Burkina Faso. Weiße Tücher an Wäscheleinen dienen als Vorhang, aber auch als Projektionsfläche für Filme. Bemalte Holzkisten sind ein Haus oder ein Tisch, ganz hinten ist ein Guckkasten platziert, in dem mal ein klassischer Balletttänzer seinen Spitzentanz zelebriert, dann wieder zwei afrikanische Darsteller ein europäisches Liebesdrama mimen. Das Kammerquartett um Arno Waschk, der die Musik für diesen Abend zusammengestellt hat, spielt dazu Klänge, die von Luigi Nono sein könnten, aber nicht sind.

    Auch das ist typisch: die Überlagerung der Stimmen und Aktionen, das Überangebot an Bedeutungsebenen, aus denen sich der Zuschauer das heraussuchen kann, was er gerade zu greifen bekommt. Ab und an setzen sich die Afrikaner akustisch gegen die Europäer durch, denn wie sagte Christoph Schlingensief vorab im Interview?

    "Im Kern sind die schon wesentlich robuster."

    Christoph Schlingensief hat ganz offensichtlich Sehnsucht nach dem kraftvollen Rap aus Burkina Faso, aber aus der europäischen Operntradition, zu der wesentlich Luigi Nonos "Intolleranza 1960" gehört, kann er sich nicht lösen. Oder will es nicht, weil er der eigenen Vehemenz misstraut, mit der er in Afrika sein Operndorf baut und auf Erlösung hofft. Der ganze Abend, auch wenn der Regisseur nur zweimal selbst auf der Bühne ist, dreht sich um dieses Scheitern: Christoph Schlingensief will Afrika-Klischees zerstören, aber mit jedem Gegenbild, das er aufbaut, schafft er ein neues Klischee. Jeder Handlung, jeder Empfindung misstraut er und denunziert zugleich diesen permanenten Zweifel als ein zutiefst europäisches Gefühl, als Motor jenes europäischen Kunstkodexes, zu dem auch Luigi Nonos Oper "Intolleranza" gehört.

    Sie wird hier bezeichnenderweise nur noch von einem Handy als Zitat eingespielt. In den von Hochtechnologie befeuerten Zitatendschungel soll der Afrikaner als Mann mit der Machete eine Schneise schlagen. Aber auch das ist eben wieder ein Klischee.

    "Zu Hause bin ich immer nur rumgesessen. Meine Frau hat sich schon geekelt vor mir. Dann hab ich diesen tollen Bericht von Sybille gesehen. Wie ihr da getrampelt habt und das Haus gebaut. Ich wollte gern mittrampeln mit euch. Ich möchte in euren Kochtopf. Ich möchte, dass ihr mich verdaut. Esst mich! Esst mich einfach auf!"

    Stefan Kolosko tritt hier als Schlingensief-Alter-Ego auf. Und wenn Sie jetzt sagen: Aber was ist denn mit den Leuten aus Burkina Faso, die hab ich ja noch gar nicht gehört - Hm, das ist eben das Problem. Zu den neun Darstellern gehören ein in Zentralafrika berühmter Hip-Hop-Produzent, eine bildschöne Popsängerin, ein Soziologieprofessor, der an der Universität von Ouagadougou die Musikstile seiner Heimat erforscht, aber zugleich Karatekämpfer und Tänzer ist. Was hätten die zu erzählen gehabt! Aber sie kommen kaum zu Wort in diesem wortlastigen Weihespiel, vielleicht auch deshalb, weil Christoph Schlingensief kein Französisch kann und zu langwierigen Übersetzungen während der Proben keine Geduld hatte. Denn er hat ja nicht mehr viel Zeit und mit dem Operndorf soll es schnell vorangehen.

    "Und wenn Sie da wirklich mitmachen wollen, gehen Sie ein Risiko ein. Sie gehen ein Risiko ein. Keiner kann Ihnen garantieren, dass das klappt. Aber das Gute ist daran, Sie gehen ein Risiko ein. Sie machen einfach mal bei was mit, wo Sie nicht wissen, was da rauskommt. Machen Sie das und spenden Sie. Spenden Sie, und sagen Sie nicht, was damit gemacht werden soll. Und Sie können endlich wieder beruhigt in Ihrer Wanne liegen und sagen, ich hab' sogar ein bisschen mitgemacht. Irgendwie bin ich auch daran beteiligt. Das ist schon toll. Und die sind so autonom, da hab ich gar nicht reingeredet. Das ham die so gemacht. Und das ist das Schönste, was passieren kann."

    Doch eine Sekunde später ruft der Regisseur: Wir müssen da wegbleiben. Sich raushalten und sich engagieren, das geht eben nicht gleichzeitig. Von diesem unlösbaren Widerspruch in Hirn und Herz des Christoph Schlingensief handelt "Via Intolleranza". Die aus ganz Deutschland angereiste Kultgemeinde war begeistert. Otto Normalverbraucher versteht nur Bahnhof. Und von Afrika ist – mal wieder – verdammt wenig angekommen.