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Victor Solf von der Band Her
"Den Augenblick schätzen lernen"

Nach einem millionenfach gestreamten Hitsong und erfolg­reichen Tourneen sah es für das französische Elektro-Soul-Duo Her gut aus. Dann starb Gitarrist Simon Carpentier. Das Debütalbum musste Sänger Victor Solf allein fertigstellen – kein leichter Job, wie er im Dlf erzählte.

Victor Solf im Corsogespräch mit Bernd Lechler |
    Victor Solf von der französischen Band 'Her'
    Die Band Her, hier Sänger Victor Rolf, will einen ganz eigenen Sound entwickeln (Julot Bandit2)
    Bernd Lechler: Otis Redding auf der einen Seite, Kanye West auf der anderen: Das französische Duo Her fiel schon vor drei Jahren mit einem eleganten Mix aus Soul und Hip-Hop-Einflüssen auf – nicht zuletzt nachdem ihr Song "Five Minutes" einen iPhone-Werbespot untermalte. Danach: zwei hochgelobte und durchaus erfolgreiche EPs, fleißiges Touren mit Band auch in den Vereinigten Staaten – beste Voraussetzungen für das Debütalbum von Her, das nun aber unter traurigen Bedingungen erscheint: Gitarrist Simon Carpentier starb im vergangenen August an Krebs, und nun hat Keyboarder und Sänger Victor Solf das Album allein vollendet. "We Choose" war der erste Song auf dem Album und zugleich der erste, der unter dem Bandnamen Her entstand, als Carpentiers Diagnose schon feststand. Was das für eine Stimmung bei der Aufnahme, damals?
    Victor Solf: Wir waren in Großbritannien, da hatten wir ein Studio, und ich weiß noch, wie ich zu Simon sagte: "Okay, es werden viele Leute über die ganze Sache reden, das wird nicht leicht, aber hey: Wir entscheiden! Wir wählen unseren Weg und unsere Geschichte selbst." Dann schrieben wir: "We choose the way we will be remembered." Und Simon hatte dieses Bild von dem Vogel mit dem kaputten Flügel, der trotzdem noch fliegen kann. "I think I think we could do anything, our wings are broken but we'll keep on gliding." Wir stürzen nicht ab, wir gleiten dann eben.
    Lechler: Hat es damals wohl eine Rolle gespielt, dass Sie in Rennes zu Hause waren - nicht in Paris oder Marseilles?
    Solf: Natürlich. Diese Stadt hilft ihren Musikern. Es gibt ein sehr wichtiges Festival, "Transmusicales", auf dem wir ein paar Mal gespielt haben. Es ist bisschen wie das Eurosonic-Festival in Groningen, da kommen viele Radioleute und Labels und schauen sich die Bands an. Überhaupt halten die Musiker in Rennes zusammen. Es haben uns viele ermutigt und geholfen.
    "Es war eine echt harte Zeit"
    Lechler: Wie weit war das Album denn nun, was hatten Sie in der Hand?
    Solf: Es war ein ziemliches Durcheinander. Es war alles da, aber nicht sortiert. Der Song "Shuggie" zum Beispiel, der jetzt der letzte auf dem Album ist, der war mir sehr wichtig. Deshalb ging ich an Simons Computer, um zu schauen, ob er irgendwelche Gitarren dafür aufgenommen hatte. Und wegen der Lyrics – der Text und auch die Gitarrenparts waren von ihm. Das war mein Material, daraus musste ich dann einen Song machen.
    Es war eine echt harte Zeit. Auch weil wir die ganze Zeit auf Tour waren - auch das war schwer für uns, weil er nicht mehr da war. Aber ich hatte mit Simon darüber gesprochen. Dass ich weiter auf Tour gehen und auch das Album fertigmachen wollte. Und er sagte: "Ja, klar, ich wäre stolz, wenn du das hinkriegst." Weil es eben noch so viel Material gab, das noch nicht veröffentlicht war. Tja, das war meine Arbeit der letzten sechs Monate."
    Lechler: Trug er sehr spezielle Qualitäten oder Auffassungen zu Ihrer Musik bei, die Sie nun ganz bewusst ersetzen oder irgendwie beibehalten mussten?
    Solf: Das war ja der Punkt. Jeden Tag, beim Einschlafen und beim Aufwachen, habe ich mich gefragt, was Simon tun würde. Das war mir sehr, sehr wichtig.
    Nach und nach zum eigenen Sound
    Lechler: Ich las einen Artikel mit Ihnen in einem Musikmagazin, da bekamen Sie Songs vorgespielt und sollten sie kommentieren. Bei einer Band meinte der Interviewer, die klänge ein bisschen wie Sie – und Sie sagten: "Ja, schon", aber Sie würden den Gesang nicht so weit nach vorn mischen und es gebe bei Ihnen auch keine Gitarrensolos. Das heißt, Sie hatten für den Sound von Her offenbar ganz klare Regeln.
    Solf: Ja! Bei unseren Bands davor achteten Simon und ich auf sowas nicht. Wir wollten einfach Songs schreiben, und dann waren manche eben Hip-Hop, manche Pop, manche Rock. Diesmal nahmen wir uns vor, einen ganz eigenen Sound zu entwickeln. Es hat eine Weile gedauert, bis wir wussten, was wir wollten: Sehr soulige Backing Vocals, Fingerschnipsen, einen ganz bestimmten Gitarrensound. Nach knapp zwei Jahren kamen wir dem allmählich nahe. In der Zeit schrieben wir dreißig Songs. Einfach, um ganz sicher zu sein, dass wir etwas Besonderes hatten, etwas ganz Eigenes.
    Lechler: Stichwort "soulig" – woher kommt diese Neigung?
    Solf: Als wir zwölf waren und uns noch gar nicht kannten, hatten wir beide viel Klassik-Unterricht. Konservatorium und so. Viel Arbeit, aber nicht sehr interessant. Mit zwölf will man ja lieber mit seinen Freunden abhängen, statt zu üben. Aber dann entdeckten wir zur selben Zeit Soul und Blues und Jazz und Improvisation. Und wir begannen unser Instrument zu verstehen und wirklich zu lieben – bei Simon war das die Gitarre, bei mir das Klavier.
    In meinem Fall verdonnerte mich meine Mutter zu einem neuen Lehrer und zu Jazz- und Bluesunterricht. Dafür bin ich ihr heute dankbar.
    Bei Simon war es ganz anders. Er wusste schon sehr früh, dass er unbedingt Musiker werden wollte. Als er mit Saxophon aufhörte – seinem Instrument am Konservatorium -, entschied er sich für Gitarre, weil er etwas über Soul und Jazz lernen wollte. Und mit 14 oder 15 sagte er zu seinen Eltern: "Ich möchte für anderthalb Jahre in die USA gehen. Ich will mir da eine Gitarre kaufen, und ich will jeden Tag Musik machen." Er hatte sich schon früher zu Weihnachten Mikrofone und Soundkarten und solche Sachen gewünscht.
    Mich beeindruckte das lange Zeit sehr. Schon bei unserer ersten gemeinsamen Band war er sich immer total sicher, was er machen wollte. Und das half mir, auch daran zu glauben. Ich wusste erst mit 20, 21, dass ich das gern machen – und auch dafür arbeiten wollten. Denn wenn man etwas erreichen will, muss man auch hart daran arbeiten.
    "Manchmal hat man Glück"
    Lechler: Ist Ihre musikalische Heimat also letztlich Amerika?
    Solf: Ja. Auf jeden Fall, was Her betrifft. Wir hatten zum Beispiel auch beschlossen, unsere Texte zu verbessern: Mehr englische Bücher und Poesie zu lesen, auch mehr amerikanische Fernsehshows anzuschauen – Jimmy Fallon oder Ellen. Da bekommt man einen guten Eindruck, wie eine Kultur tickt, auch die schwarze. Das fanden wir sehr spannend. Nicht zu leben wie die Amerikaner, aber sie besser zu verstehen.
    Lechler: Dann freut es Sie sicher besonders, dass Sie in Amerika Erfolg haben.
    Solf: Ja! Wir hatten uns so gewünscht, dort Anerkennung zu bekommen. Als dann die Single "Quite Like" erschien und wir in der Radiosendung von Pharrell Williams und Justin Timberlake zu Gast waren, ihrer ersten Sendung - das war irre, wir konnten es nicht glauben. Und jetzt gehe ich im Mai wieder dort auf Tour.
    Das erinnert mich an einen Auftritt von Jim Carrey in einer dieser Talkshows, die ich sah. Da erzählte er, wie er mit 20 einen Traum hatte – in dem er einen Scheck über eine Million Dollar überreicht bekam; er sah den Raum, den Stuhl, alles ganz genau vor sich. Deswegen nahm er den Traum ernst. Er schrieb "One Million" auf einen Zettel, den er dann lange in seinem Portemonnaie trug. Er nahm sich vor, so hart dafür zu arbeiten, wie er nur konnte, und war sich sicher, dass er die Million bekommen würde, wenn er nur immer fest daran glauben würde. Und genau so kam es.
    Lechler: Und wie groß war Ihr Ehrgeiz? Was hätten Sie auf den Zettel geschrieben?
    Solf: Nein, nein, nein, so verrückt wie Jim Carrey waren wir nicht! Aber ein bisschen ähnlich war es doch. Wir wollten aus Frankreich rauskommen. Wir wollten von amerikanischen Bands oder englischsprachigen Sängern akzeptiert werden. Wir wollten unsere Musik exakt so machen, wie uns das vorschwebte, ohne an Geld und Erfolg zu denken. Das verlangt eine Menge Arbeit, und bisweilen fühlt man sich ganz schön verloren. Ich musste auch eine Zeit lang Gesangsunterricht geben, weil ich kein Geld mehr hatte. Aber manchmal – hat man Glück.
    "Den Augenblick mehr schätzen"
    Lechler: Müssen Sie sich als Musiker nicht ganz neu entdecken, jetzt, wo Sie auf sich selbst gestellt sind? Wie blicken Sie da in die Zukunft?
    Solf: Von Simon habe ich gelernt, dass wir den Augenblick mehr schätzen müssen. Allzu viel über die Zukunft nachzudenken ist nicht wirklich hilfreich. Ich versuche jetzt erst mal neue Songs zu komponieren. Und ich schreibe einen Text nach dem anderen, und natürlich handeln da viele von ihm. Ich schaue, was kommt. Und wenn ich viele Songs beisammen habe, weist mir hoffentlich die Musik den Weg.
    Lechler: Wird dieses Album das einzige von Her bleiben?
    Solf: Ich weiß es noch nicht.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Zum Nachhören im englischen Originalton: das Corsogespräch mit Victor Solf