Fast zehn Jahre sind seit der Ankündigung von "The Last Guardian" vergangen. Das fertige Spiel in der Hand zu haben ist deshalb ein wenig surreal, fast wie ein neuer Roman von J. D. Salinger.
Man steuert darin einen Jungen, der gemeinsam mit einer riesigen Kreatur durch gewaltige Bauwerke, die Ruinen einer vergangenen Zivilisation wandert, auf der Suche nach einem Ausgang.
Das Spiel beginnt mitten in der Geschichte und man fühlt sich in der fremden Welt erstmal verloren. Gelegentlich kommentiert der Protagonist, inzwischen erwachsen, aus dem Off. Diese Stimme aus der Zukunft meldet sich, wenn der Spieler nicht mehr weiter weiß.
Oberflächlich ist "The Last Guardian" ein Action Adventure: Ich erkunde, klettere, springe, ziehe an Hebeln und überwinde immer wieder neue Hindernisse, mal durch Nachdenken und mal durch Geschicklichkeit. Gelegentlich laufe ich vor geisterhaft besessenen Ritterrüstungen mit glühenden Augen davon, die versuchen, den Jungen, also mich, durch eine unheilvolle Tür in ein gleißendes Licht zu zerren.
Freundschaft mit Höhen und Tiefen
Die Spielmechaniken sind vertraut und doch ist "The Last Guardian" einzigartig: Das liegt zum einen an der Umgebung und der Musik, die eine besondere Stimmung erzeugen. Vor allem aber bleibt Trico, die Kreatur, in Erinnerung. Die ist optisch eine Kreuzung aus Maus und Vogel, verhält sich oft aber wie ein Hund. Durch gutes Zureden, Streicheleinheiten und Futter lässt sie sich zähmen, und so entwickelt sie nach und nach eine Bindung zur Hauptfigur - und damit eben auch zu mir als Spieler. Hundertprozentig gehorcht Trico nie, und das ist manchmal echt frustrierend. Vor allem, wenn das Tier, das einen eigenen Willen zu haben scheint, sich beharrlich weigert, etwa durch einen gefluteten Tunnel zu tauchen, und wir eine gefühlte Stunde am selben Ort feststecken.
Figuren in Videospielen sind ja sonst - außer in einigen Rollenspielen der letzten Jahre - entweder wie Marionetten oder wie Romanfiguren. Die Interaktion mit Trico, der nicht nur kreativ designt, sondern auch unglaublich ausdrucksvoll animiert ist, ist dagegen anders. Sie wird zwar von mir beeinflusst, aber eben nicht vollständig kontrolliert. Man freut sich, wenn Trico gute Laune hat, leidet, wenn er verletzt ist, vermisst ihn, wenn er mal nicht da ist und ist erleichtert, wenn er in einer brenzligen Situation zur Hilfe eilt. Eben wie eine echte Freundschaft - im Schnellvorlauf - mit allen Höhen und Tiefen.
Schwierige Steuerung, bewegende Story
Nur leider hat die lange Entwicklungszeit von "The Last Guardian" auch ihre Spuren hinterlassen. Die Steuerung geht nicht so leicht von der Hand, wie man es von aktuellen Titeln gewohnt ist, und auch die Kamera-Perspektive ist oft frustrierend. Wenn zum Beispiel bei einem schwierigen Sprung oder einem Balanceakt die Spielfigur plötzlich nicht mehr im Bild ist, möchte man am liebsten den Controller an die Wand werfen.
Doch wenn man nach zehn oder fünfzehn Stunden zusammen mit seinem gefiederten Freund das Ziel der gemeinsamen Reise erreicht, ist das Ende so poetisch und so bewegend, dass der Unmut schnell vergessen ist. Mir hat die wunderschöne Geschichte gleich mehrmals das Herz gebrochen und als um zwei Uhr nachts die Worte "The End" auf dem Fernseher standen, konnte ich gar nicht anders, als direkt wieder von vorne anzufangen.