Beatrix Novy: Nicht mehr ganz jeder zweite wie noch vor sechs Jahren, aber fast so viele deutsche Arbeitnehmer, 43 Prozent nämlich, beklagen den Stress in ihrem Arbeitsleben: die Termine, die allzu schnell wechselnden Aufgaben, der Zeitdruck. Das ist das Ergebnis des Stressreports 2012, den die Bundesministerin für Arbeit gestern vorstellte und, damit das ernst genommen wird, auch gleich die Folgen von Schlaflosigkeit, Stressgefühlen, Krankheiten ökonomisch umrechnete:
O-Ton Ursula von der Leyen: "Das kostet richtig viel Geld."
Novy: ... , sagt Ursula von der Leyen. - Hartmut Rosa, Philosoph an der Universität Jena, ist seit Jahren mit dem Thema der Beschleunigung unserer Zivilisation befasst und mit dem, was es mit der Identität des Einzelnen und damit der Gesellschaft macht. Auch das Gespräch mit Hartmut Rosa ist auf die Sekunde getimt hier bei uns, denn überhaupt wir hier im Radio schaffen uns ja Tag für Tag mehrere Themen in kurzer Zeit in den Kopf und fühlen in Minuten und Sekunden, und diese kürzesten Zeiteinheiten sind ja auch anderswo Arbeitsalltag, wenn zum Beispiel Leute minütlich ihre Mails checken, und das auch nach Feierabend, immer auf Abruf, und manchmal fragt man sich dann – und das habe ich Hartmut Rosa auch gefragt -, was macht das denn eigentlich mit meinem Gehirn, mit mir selbst.
Hartmut Rosa: Ich glaube, das sind verschiedene Ebenen, die das beeinflusst. Das eine ist natürlich die Art und Weise, wie unser Gehirn funktioniert. Da gibt es ein paar Hinweise darauf, dass sich das tatsächlich verändert, gerade auch unter dem von inzwischen ganz vielen Menschen unternommenen Versuch zum Multitasking. Dann ändern sich einfach auch unsere Arbeitsweisen: Wir sind viel weniger kontinuierlich und lösen eine Aufgabe, sondern haben ganz viele Baustellen gleichzeitig. Das wirkt sich übrigens auch negativ auf die Arbeitszufriedenheit aus, weil zufrieden ist man in der Regel dann, wenn man etwas abschließt. Und es verändert natürlich wenigstens langfristig auch unsere Persönlichkeitsstrukturen, das heißt, die Art und Weise, wie wir über uns und unser Leben nachdenken.
Novy: Es gab aber doch mal eine Zeit – und die ist gar nicht so lange her -, da war es die Monotonie des Arbeitslebens, die abschreckend wirkte. Das wurde ja in unzähligen Romanen, Filmen, Satiren nicht umsonst abgebildet: der kleine Angestellte, der kleine Beamte noch schlimmer mit seinem Acht-Stunden-Tag am Stück, und das ein Leben lang. Das war ein Schrecken noch der 80er-Jahre.
Rosa: Ja, das ist völlig richtig. Monotone, stumpfsinnige Routinen, bei denen die Arbeitnehmenden gar nichts an Kreativität, an Witz einbringen konnten und auch kaum Abwechslung erfahren haben, sind nervtötend und machen Menschen massiv unzufrieden. Aber es gibt eben auch diese andere Seite. In gewisser Weise haben wir jetzt einfach zu viel von dem, was sich Arbeitnehmer immer gewünscht haben, nämlich die Möglichkeit, über Zeit selber zu verfügen, auch viel Abwechslung zu haben. Aber dazu stellen wir natürlich fest: Es ist ja nicht so, dass wir jetzt ganz frei über Zeit verfügen können und kreativ sein können, wie es uns in den Sinn kommt, sondern wir tun das unter einem Diktat von Effizienzdruck und auch natürlich ökonomischer Rationalisierung, die da immer im Hintergrund lauern und deshalb uns ja nicht freie Selbstverfügung der Zeit ermöglichen, sondern oft eine Verfügung über die Zeit und auch permanente Abwechslungen immer im Hinblick auf Wettbewerbsfähigkeit und auf die Steigerung von Kennzahlen.
Novy: Die Sicherheit, die so einem monotonen Arbeitsleben noch zugrunde liegt, die ist ja eben weg und die wurde ja schon in den 90er-Jahren, als das alles sich langsam umwandelte, ihrerseits zur Lachnummer gemacht. Wer will Sicherheit? Liegt das Problem vielleicht eher darin, dass der Arbeitsorganisation von heute diese Unsicherheit zugrunde liegt, dass man ja eigentlich immer nicht genau weiß, wie lange etwas hält, eine Stelle hält?
Rosa: Ich glaube, ein Gefühl, was Menschen dann auch wirklich zur Stresserfahrung bringt oder sogar krankmacht, ist das Gefühl des Ungenügens, dass man die Sachen nicht ganz richtig gemacht hat, dass man auch nicht genau Bescheid weiß über viele Vorgänge. Das hat eine technische Seite, dass wir mit Programmen arbeiten, von mir aus Software-Programmen, Arbeitsprogrammen, Maschinen, die sehr komplex sind, und wir hatten nie wirklich die Zeit, sie uns richtig anzueignen, sodass man immer das Gefühl hat, man macht ja eigentlich nur so Notbehelfe. Das erzeugt so ein nagendes Gefühl der Ungewissheit und des Ungenügens, was tendenziell natürlich Stresspotenzial birgt.
Novy: Sie haben sich mit dem Thema Beschleunigung seit jeher befasst und natürlich nicht nur, um das Individuum dabei zu analysieren, sondern auch das, was gesellschaftlich dann daraus wird. Wie beurteilen Sie die jetzige Situation?
Rosa: Ich glaube, dass wir kollektiv an einem Problem leiden, das gar nicht unbedingt jetzt mit viel Arbeit oder so zu tun hat. Viel Arbeit hatten Menschen zu anderen Zeiten auch. Und es ist übrigens auch nicht so, dass es unser Problem wäre, dass wir nicht selber über unsere Zeit bestimmen dürfen. Häufig denken Menschen, na ja, wenn ich nur selber über meine Zeit bestimmen könnte, dann würde es mir gut gehen, und dann denken sie an so was wie einen Bauernhof in den Bergen. Aber in dem Bauernhof ist es überhaupt nicht so, dass wir frei über unsere Zeit verfügen. Da geben uns die Tiere ganz genau vor, ...
Novy: Das tun die Kühe!
Rosa: Ja, das ist nämlich wirklich so. Also ich glaube, die Hauptwahrnehmung von Menschen am Arbeitsplatz – und das ist auch die Situation der Politik – ist die, dass wir jedes Jahr ein bisschen schneller werden, ein bisschen mehr leisten müssen, nur um unseren Platz zu halten, und das erzeugt so ein Gefühl des rasenden Stillstandes, des kollektiven Stillstandes unter Einsatz von immer mehr Ressourcen. Also dieses Gefühl, dass man jedes Jahr mehr leisten muss, nur damit man nicht zurückrutscht, das erzeugt eine ziemlich pessimistische Zukunftserwartung, die man an anderen Umfragen auch ablesen kann. Menschen erwarten gar nicht mehr, dass das Leben besser wird, sondern nur, dass es anstrengender wird. Das, glaube ich, führt zu dem, dass Menschen sich eben überfordert und tendenziell unglücklich oder entfremdet fühlen.
Novy: So gibt Hartmut Rosa dem Stressreport 2012 den Hintergrund.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
O-Ton Ursula von der Leyen: "Das kostet richtig viel Geld."
Novy: ... , sagt Ursula von der Leyen. - Hartmut Rosa, Philosoph an der Universität Jena, ist seit Jahren mit dem Thema der Beschleunigung unserer Zivilisation befasst und mit dem, was es mit der Identität des Einzelnen und damit der Gesellschaft macht. Auch das Gespräch mit Hartmut Rosa ist auf die Sekunde getimt hier bei uns, denn überhaupt wir hier im Radio schaffen uns ja Tag für Tag mehrere Themen in kurzer Zeit in den Kopf und fühlen in Minuten und Sekunden, und diese kürzesten Zeiteinheiten sind ja auch anderswo Arbeitsalltag, wenn zum Beispiel Leute minütlich ihre Mails checken, und das auch nach Feierabend, immer auf Abruf, und manchmal fragt man sich dann – und das habe ich Hartmut Rosa auch gefragt -, was macht das denn eigentlich mit meinem Gehirn, mit mir selbst.
Hartmut Rosa: Ich glaube, das sind verschiedene Ebenen, die das beeinflusst. Das eine ist natürlich die Art und Weise, wie unser Gehirn funktioniert. Da gibt es ein paar Hinweise darauf, dass sich das tatsächlich verändert, gerade auch unter dem von inzwischen ganz vielen Menschen unternommenen Versuch zum Multitasking. Dann ändern sich einfach auch unsere Arbeitsweisen: Wir sind viel weniger kontinuierlich und lösen eine Aufgabe, sondern haben ganz viele Baustellen gleichzeitig. Das wirkt sich übrigens auch negativ auf die Arbeitszufriedenheit aus, weil zufrieden ist man in der Regel dann, wenn man etwas abschließt. Und es verändert natürlich wenigstens langfristig auch unsere Persönlichkeitsstrukturen, das heißt, die Art und Weise, wie wir über uns und unser Leben nachdenken.
Novy: Es gab aber doch mal eine Zeit – und die ist gar nicht so lange her -, da war es die Monotonie des Arbeitslebens, die abschreckend wirkte. Das wurde ja in unzähligen Romanen, Filmen, Satiren nicht umsonst abgebildet: der kleine Angestellte, der kleine Beamte noch schlimmer mit seinem Acht-Stunden-Tag am Stück, und das ein Leben lang. Das war ein Schrecken noch der 80er-Jahre.
Rosa: Ja, das ist völlig richtig. Monotone, stumpfsinnige Routinen, bei denen die Arbeitnehmenden gar nichts an Kreativität, an Witz einbringen konnten und auch kaum Abwechslung erfahren haben, sind nervtötend und machen Menschen massiv unzufrieden. Aber es gibt eben auch diese andere Seite. In gewisser Weise haben wir jetzt einfach zu viel von dem, was sich Arbeitnehmer immer gewünscht haben, nämlich die Möglichkeit, über Zeit selber zu verfügen, auch viel Abwechslung zu haben. Aber dazu stellen wir natürlich fest: Es ist ja nicht so, dass wir jetzt ganz frei über Zeit verfügen können und kreativ sein können, wie es uns in den Sinn kommt, sondern wir tun das unter einem Diktat von Effizienzdruck und auch natürlich ökonomischer Rationalisierung, die da immer im Hintergrund lauern und deshalb uns ja nicht freie Selbstverfügung der Zeit ermöglichen, sondern oft eine Verfügung über die Zeit und auch permanente Abwechslungen immer im Hinblick auf Wettbewerbsfähigkeit und auf die Steigerung von Kennzahlen.
Novy: Die Sicherheit, die so einem monotonen Arbeitsleben noch zugrunde liegt, die ist ja eben weg und die wurde ja schon in den 90er-Jahren, als das alles sich langsam umwandelte, ihrerseits zur Lachnummer gemacht. Wer will Sicherheit? Liegt das Problem vielleicht eher darin, dass der Arbeitsorganisation von heute diese Unsicherheit zugrunde liegt, dass man ja eigentlich immer nicht genau weiß, wie lange etwas hält, eine Stelle hält?
Rosa: Ich glaube, ein Gefühl, was Menschen dann auch wirklich zur Stresserfahrung bringt oder sogar krankmacht, ist das Gefühl des Ungenügens, dass man die Sachen nicht ganz richtig gemacht hat, dass man auch nicht genau Bescheid weiß über viele Vorgänge. Das hat eine technische Seite, dass wir mit Programmen arbeiten, von mir aus Software-Programmen, Arbeitsprogrammen, Maschinen, die sehr komplex sind, und wir hatten nie wirklich die Zeit, sie uns richtig anzueignen, sodass man immer das Gefühl hat, man macht ja eigentlich nur so Notbehelfe. Das erzeugt so ein nagendes Gefühl der Ungewissheit und des Ungenügens, was tendenziell natürlich Stresspotenzial birgt.
Novy: Sie haben sich mit dem Thema Beschleunigung seit jeher befasst und natürlich nicht nur, um das Individuum dabei zu analysieren, sondern auch das, was gesellschaftlich dann daraus wird. Wie beurteilen Sie die jetzige Situation?
Rosa: Ich glaube, dass wir kollektiv an einem Problem leiden, das gar nicht unbedingt jetzt mit viel Arbeit oder so zu tun hat. Viel Arbeit hatten Menschen zu anderen Zeiten auch. Und es ist übrigens auch nicht so, dass es unser Problem wäre, dass wir nicht selber über unsere Zeit bestimmen dürfen. Häufig denken Menschen, na ja, wenn ich nur selber über meine Zeit bestimmen könnte, dann würde es mir gut gehen, und dann denken sie an so was wie einen Bauernhof in den Bergen. Aber in dem Bauernhof ist es überhaupt nicht so, dass wir frei über unsere Zeit verfügen. Da geben uns die Tiere ganz genau vor, ...
Novy: Das tun die Kühe!
Rosa: Ja, das ist nämlich wirklich so. Also ich glaube, die Hauptwahrnehmung von Menschen am Arbeitsplatz – und das ist auch die Situation der Politik – ist die, dass wir jedes Jahr ein bisschen schneller werden, ein bisschen mehr leisten müssen, nur um unseren Platz zu halten, und das erzeugt so ein Gefühl des rasenden Stillstandes, des kollektiven Stillstandes unter Einsatz von immer mehr Ressourcen. Also dieses Gefühl, dass man jedes Jahr mehr leisten muss, nur damit man nicht zurückrutscht, das erzeugt eine ziemlich pessimistische Zukunftserwartung, die man an anderen Umfragen auch ablesen kann. Menschen erwarten gar nicht mehr, dass das Leben besser wird, sondern nur, dass es anstrengender wird. Das, glaube ich, führt zu dem, dass Menschen sich eben überfordert und tendenziell unglücklich oder entfremdet fühlen.
Novy: So gibt Hartmut Rosa dem Stressreport 2012 den Hintergrund.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.