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Viel Mittelmaß bei Bildung und Betreuung

Sie haben hinter die Türen von Kindergärten, Krippen und Tagespflegestellen geschaut. Sie wollten wissen, wie gut haben es Kinder außerhalb der Familie und wie viel lernen sie dort. NUBBEK heißt die erste nationale Untersuchung, die sich mit der Bildung, Betreuung und Erziehung in der frühen Kindheit befasst. Zwei Jahre lang haben mehrere interdisziplinäre Arbeitsgruppen in acht Bundesländern geforscht, nun wurden die Ergebnisse in Berlin vorgestellt. Am Ende sind die Ergebnisse eindeutig: Der Bildungs-TÜV förderte vor allem Mittelmaß zutage.

Von Doris Arp |
    Lukas, Frieda und Sovi stehen die Haare zu Berge. Drei Erzieherinnen lassen eine bunte Plane über ihren Köpfen auf- und niedergehen. Die Zweijährigen haben viel Spaß dabei. Anders geht es den Wissenschaftlern, die erstmals bundesweit die Qualität solcher Kinderbetreuung untersucht haben. Sie fanden wenig Freude an ihren Ergebnissen, sagt der Koordinator Professor Wolfgang Tietze von der FU Berlin.

    "Die Anzahl der Gruppen, die diese sehr hohen Standards erreichen, die ist sehr klein. Umgekehrt ist der Anteil von Gruppen im Bereich unzureichender Qualität, der ist relativ groß mit deutlich über zehn Prozent und das denken wir, ist nicht wirklich verantwortbar."

    Das Gros der Kinderbetreuung ist Mittelmaß. Und jede zehnte Einrichtung ist ungenügend. Kommt nach dem PISA-Schock nun der Kindergarten-Schock? Gut möglich. Denn nur wer gezielt hinschaut, kann etwas über die Wirklichkeit erfahren. Und die ist eben manchmal anders, als man denkt. Das war bei den internationalen Schulvergleichsstudien so und das zeigt jetzt auch NUBBEK.

    "Das ist ja der gegenwärtige Zustand, niemand weiß, kein Jugendamt, kein Träger, kein Landes- und schon gar nicht ein Bundesministerium, wie ist es eigentlich mit der Qualität beschaffen."

    Pädagogen, Psychologen, Verhaltensforscher wagten sich ins Feld. Sie haben jeweils viele Stunden das Geschehen in den Kindergärten, Krippen und Tagespflegestellen beobachtet, mit den Mitarbeitern gesprochen, die Kinder getestet auf Sprache, Kognition, Sozialverhalten, mit den Eltern lange Interviews geführt, Fragebögen ausfüllen lassen. In acht Bundesländern waren rund 2000 Kinder mit ihren Einrichtungen und Familien beteiligt. So breit und so genau hat bislang noch niemand in Deutschland auf die Qualität vorschulischer Bildung geschaut. Tietze:

    "Bisher haben vorwiegend Fragen des quantitativen Ausbaus im Vordergrund gestanden."

    Seit 1990 ging es um den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz ab drei Jahren. 2005 stand der Ausbau der U3-Betreuung, also für die unter Dreijährigen auf dem Plan. Und das Kinderförderungsgesetz von 2008 sieht für das kommende Jahr einen Rechtsanspruch auf einen Platz für alle Kinder ab einem Jahr vor. Immer ging es vor allem um Masse, doch die Qualität entscheidet über Zukunftschancen.

    Tietze: "Wir haben bislang keine systematische Zuwendung zu der Frage der Qualität, obwohl wir aus zahlreichen Studien wissen, dass das eine ganz entscheidende Frage ist. Denn die frühe Bildung hat eine nachhaltige Auswirkung auf die spätere Biografie der Kinder."

    Doch was heißt das, gute pädagogische Qualität?

    "Wir unterscheiden einmal die Qualität pädagogischer Strukturen."

    Dazu gehören unter anderem die Aus- und Fortbildung der Mitarbeiter, die räumliche und materielle Ausstattung und der Personalschlüssel, also wie viele Kinder von einer Erzieherin betreut werden.

    Tietze: "Ein 2. Bereich ist das, was wir pädagogische Orientierung nennen. Hat die Einrichtung ein ausgewiesenes pädagogisches Konzept, werden neue Mitarbeiterinnen auf dieses Konzept eingearbeitet, wirken Eltern mit bei der Erstellung, sind sie darüber informiert."

    Die zentrale Frage aber ist, was kommt bei den Kindern an? Wie und was erleben sie in ihrem Kindergarten-Alltag. Wird gesungen, gelesen, gebastelt, experimentiert? Tietze:

    "Ein ganz zentraler Bereich ist das, was wir die Qualität pädagogischer Prozesse nennen, wie gehen Erzieherinnen tatsächlich mit Kindern um, welche Erfahrungen können Kinder in der Gruppe machen."

    Auf dem Tisch liegen bunte Dreiecke, Quadrate, Rechtecke und Kreise, die mit Hilfe von Magneten frei verbunden werden können. Der dreijährige Max baut aus Fünfecken einen Ball, Kevin versucht einen Stern.

    Die evangelische Kindertagesstätte im Berliner Viertel in Monheim am Rhein liegt in einem sozialen Brennpunkt mit einem hohen Anteil von Migranten. Vor einigen Jahren haben sich die fünf dort ansässigen Kindertagesstätten zu Familienzentren zusammengeschlossen, um Eltern und Kindern mehr bieten zu können. Christa Werner-Pfeifer leitet seit über 30 Jahren die evangelische Einrichtung.

    "Wir sagen immer, nur wenn es den Eltern gut geht, geht es auch den Kindern gut. Das ist so ein Slogan bei uns. Da haben wir ganz verschiedene Standbeine, um die Elternkompetenz zu stärken. Es laufen immer wieder in allen fünf Einrichtungen Rucksackgruppen, wo gleichzeitig mit Eltern und Kindern gearbeitet wird. Dann haben wir das Heidelberger Elterntraining. Da geht es darum, Kinder sprachlich zu begleiten. Da sind Mitarbeiter von uns extra ausgebildet worden. Es gibt einfache Dinge, wie das tägliche Elterncafé."

    Die Stadt Monheim entschied sich 2002, ein deutliches Signal für ihre Kinder zu setzen. Seither ist ein dichtes Netzwerk entstanden zwischen Kindergärten, Schulen, Familienberatung, Sportvereinen. Überall in Deutschland gibt es vereinzelt solche Leuchttürme. Viel zu wenige, das zeigt nun deutlich die NUBBEK-Studie. Gefragt ist die Politik, sagt Koordinator Professor Tietze:

    "Rund 30 Prozent der Prozessqualität, also das, was Kinder direkt erfahren, werden determiniert durch vorgegebene Strukturbedingungen. Insofern liegt hier ein erheblicher Anteil der Verantwortung bei Politik, die für Strukturbedingungen verantwortlich ist."

    Dass kleinere Gruppen, gut aus- und weitergebildete Pädagogen, anregungsreiches Material sich auch für den Kämmerer einer Kommune rechnet, zeigt das Beispiel Monheim. Die Gesamtkosten der Jugendhilfe sind gesunken, obwohl die Ausgaben für die vorschulische Erziehung gestiegen sind. Frühe Prävention rechnet sich, das belegt auch eine entsprechende UN-Studie in den OECD-Ländern. Es braucht natürlich zusätzlich engagierte Mitarbeiter, sagt die Leiterin der evangelischen Kindertagesstätte Christa Werner-Pfeiffer:

    "Dadurch, dass sie gute professionelle Fortbildungen bekommen haben, sind sie sicherer geworden und nehmen sich der Probleme auch an und wenn man sicherer in seiner Arbeit ist und merkt, dass das auch etwas bringt, dann macht das auch mehr Spaß und man lässt sich auch darauf ein."



    - "Wir sprechen halt mal so, mal so, mal marokkanisch, dann kommt das Deutsche auch wieder vor."
    - "Ich habe bis drei Jahre mit meinem Sohn türkisch gesprochen und ab dem Altern nur deutsch. Der Vater redet zuhause türkisch und ich deutsch."
    - "Ich spreche mehr zuhause türkisch mit meinen Kindern. Weil die meisten, die hier geboren sind, die sprechen ja sehr schlecht türkisch. Das möchte ich nicht bei meinen Kindern."


    "Es gibt einige Studien in der letzten Zeit, die zeigen, dass Kinder die bilingual aufwachsen, dass die enorme Vorteile auch im kognitiven Bereich haben. Und das ist ein Kontext, den wir auch in der NUBBEK-Studie zeigen konnten","

    sagt Professor Birgit Leyendecker, Psychologin an der Universität Bochum. Sie hat den Schwerpunkt der NUBBEK-Studie betreut, in dem die beiden größten Migrantengruppen, türkische und russische Familien, untersucht wurden.

    ""Kinder, die in ihrer Herkunftssprache und in Deutsch relativ gut waren, und das waren immerhin bei den Vierjährigen so knapp 50 Prozent, dass das diejenigen waren, die auch bei unseren kognitiven Tests sehr gut abgeschnitten haben. Dann haben wir geguckt, aus welchen Elternhäusern kommen die. Und dann haben wir festgestellt, dass die auch eine wesentlich anregungsreichere Umwelt noch mal zu Hause erfahren."

    Das ist ein zentrales allgemeines Ergebnis der nationalen Studie: Kinder aus interessierten, bildungsnahen Elternhäusern kommen früher in Einrichtungen und sie sind meist auch in den qualitativ besseren Kindergärten, Krippen und Tagespflegeplätzen.
    Im Schnitt kommen Kinder aus Migrationsfamilien ein Jahr später in einen Kindergarten, belegt die Studie. Das Gleiche gilt für Kinder aus anregungsarmen Familien. Das von der Regierung geplante Betreuungsgeld für Eltern, die ihr Kind zuhause betreuen, halten die NUBBEK-Forscher deshalb eindeutig für falsch, sagt Leyendecker:

    "Das heißt wir würden wirklich Gefahr laufen, dass diejenigen, die sowieso eine geringe Förderung zuhause haben, dass die erst sehr viel später in die Betreuung reinkommen würden, als wenn es kein Betreuungsgeld gäbe."

    Das Geld wäre besser im Ausbau der U3-Betreuung angelegt, meint die Psychologin. Doch dafür ist der Bund nicht zuständig. Vor allem die westdeutschen Länder sind weit davon entfernt, den geschätzten Bedarf von 30 Prozent für 2013 zu decken. Doch unter dem notwendigen Ausbau darf die Qualität nicht leiden, fordert der Koordinator der NUBBEK-Studie Professor Wolfgang Tietze. Es gehe um Masse und um Klasse:

    "Einmal brauchen wir ein systematisches Programm der Qualitätsentwicklung. Durchschnittlich mittelmäßige Qualität, das kann so auf Dauer nicht bleiben. Dann werden wir unser Augenmerk primär auf diese Einrichtungen richten müssen, die unzureichende Qualität aufweisen. Es kann nicht sein, dass jede 10. Gruppe in diesen Bereich fällt. Hier ist an erster Stelle Handlungsbedarf angesagt. Politik wird natürlich nicht genötigt auf dieses Feld zu antworten, solange wir keine soliden Qualitätsdaten haben. Deswegen plädieren wir für ein Qualitätsmonitoring, sprich einer Dauerbeobachtung der pädagogischen Qualität in den Einrichtungen, durch aus Stichprobenbasis, aber damit Politik informiert ist."