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"Viele der Muslime kritisieren das, was uns angetan wird"

Deutschland müsse Ägypten an seine Verpflichtungen erinnern, auch die sogenannten Minderheiten zu schützen, appelliert Bischof Anba Damian, Generalbischof der koptisch-orthodoxen Kirche in Deutschland angesichts der Gewalt in Kairo.

Anba Damian im Gespräch mit Friedbert Meurer |
    Friedbert Meurer: Anfang des Jahres haben Muslime und Kopten noch gemeinsam in Kairo auf dem Tahir-Platz gegen den Machthaber Mubarak und sein Regime demonstriert, für Freiheit und Demokratie, und schlussendlich hatten sie dann Erfolg mit ihren Protesten. Auch am Sonntagabend marschierten Muslime in den Reihen der christlichen Kopten mit, die gegen Benachteiligung und Gewalt in der ägyptischen Gesellschaft durch die Straßen zogen. Die Demonstration aber endete in einem Blutbad. Das Militär schoss und fuhr gemäß Augenzeugenberichten brutal in die Menge. Die Kopten haben nun Angst, aber den Glauben an das neue Ägypten noch nicht ganz verloren.
    Auch in Deutschland gibt es Kopten unter uns, etwa 7000 Orthodoxe leben hier, die in Gemeinden organisiert sind, und ihr geistliches Oberhaupt ist Bischof Anba Damian, den ich im nordrhein-westfälischen Höxter begrüße.
    Guten Morgen, Bischof Damian.

    Anba Damian: Guten Morgen!

    Meurer: Wie haben Sie das Geschehen in Kairo am Sonntagabend verfolgt und mitbekommen?

    Damian: Also ich konnte die Fernsehberichte sehen. Ich habe eine unendliche Zahl von E-Mails, Facebook-Eintragungen, Telefonaten aus der ganzen Welt und von unseren Freunden, die am Ort des Geschehens mit ihren Handys alles gefilmt haben. So konnten wir genau erfahren, was dort war. Mir fehlt eigentlich das Sprachvermögen, um meine Traurigkeit zum Ausdruck zu bringen.

    Meurer: Was war für Sie am schlimmsten?

    Damian: …, wie ein junger Mann, Mitte 20, Raef hieß er, von über 15 Beamten auf die grausamste Art und Weise geschlagen worden war, von verschiedenen Soldaten, mal mit roten Helmen, mal mit schwarzen, mal mit der typischen bräunlichen Farbe der Uniformen, und alle mit viel Hass und Wut gingen auf den jungen Mann los und am Ende, als er ein Trümmerhaufen war, zogen sie ihn an den Füßen bis zum Bürgersteig und dann ging es weiter, vereinzelte Schlägereien los auf ihn, und irgendwann als Trümmerhaufen hat man ihn aufgestellt und da kam ein schwarzer Kommandeur und schlug ihn auf die Wange mit sehr viel Grausamkeiten und der Mann fiel nieder. Dieses Bild kann ich nie im Leben vergessen.

    Meurer: Das ist ein ganz grausames Bild, das Sie uns schildern, Bischof Damian. Jetzt sehen wir umgekehrt auch Bilder, die zeigen, wie Soldaten massiv und brutal angegriffen werden. Sind die Kopten alle friedlich geblieben in der Demonstration am Sonntagabend?

    Damian: Schauen Sie, welche Waffen haben die Kopten? Die Kopten von der Zahl sind nicht zu vergleichen mit der Armee. Man kann nicht sagen, Lämmer bekämpfen Wölfe. Wir haben keine Lobbys, wir haben kein politisches Gewicht, wir haben keine Waffen, wir haben Schutz per Gesetz, wir erfahren nur tagtäglich, wie unsere Mädchen vergewaltigt werden, wie unsere Leute entführt werden, wie unsere Mitmenschen getötet werden. Nicht mal dürfen die Angehörigen ihre Toten begraben. Bis zu diesem Augenblick sind noch viele Leichen im Krankenhaus am Ramsis-Platz, dem sogenannten Koptic Hospital, und nicht mal die Leichen werden an die Angehörigen übergeben, damit die Zahl der Opfer nicht dargestellt wird. Bab Shinouda und mit ihm 70 Würdenträger haben nur auf vier Särgen die Beerdigungszeremonie sozusagen gefeiert und die restlichen werden bis zu diesem Augenblick werden festgehalten. Was erwartet man noch von den Jugendlichen?

    Meurer: Es gibt viele, die sich ja eigentlich ein besseres Ägypten erhoffen. Auch die Kopten oder zumindest einige von ihnen haben mitdemonstriert Anfang des Jahres. Kommen Sie zu dem Ergebnis, Bischof Damian, es ist jetzt im Nach-Mubarak-Zeitalter eher schlimmer geworden?

    Damian: Es ist schlimmer für die Kopten, auf alle Fälle, weil die islamische Bewegung eher zur Darstellung kommt, jetzt erfahren wir auf unverschämte Art und Weise, wie man uns behandelt, nicht nur von einzelnen Personen, sondern von der Armee selbst. Seit wann hat es das gegeben, dass die Armee, die ein Volk schützen muss, das Volk angreift und tötet? Das ist wahnsinnig! Anfang des Jahres wurden die betenden Christen in Alexandria mit der aktiven Planung und Durchführung des ägyptischen Innenministeriums angegriffen und getötet und jetzt werden wir von der Armee getötet. Was soll das?

    Meurer: Machen Sie einen Unterschied zwischen Militärrat und Regierung in Ägypten?

    Damian: Es gibt eine Übergangsregierung und es gibt einen Militärrat. Das sind zwei sehr große Kräfte und Mächte in Ägypten.

    Meurer: Ist die Regierung den Kopten gegenüber positiver eingestellt als das, was offenbar bei den Militärs im Moment geschieht?

    Damian: Ich habe das Gefühl, dass die Übergangsregierung nicht sehr mächtig genug ist, um den Frieden des Landes lenken zu können. Ich habe das Gefühl, es gelten nur die Mainstreamer. Man will gerne auf die Musik tanzen und je lauter die Stimme der einzelnen Islamisten ist, desto wirksamer ihre Auswirkung. Zum Glück hat Ägypten sehr viele moderate und sehr viele vernünftige Muslimen. Ich durfte gestern im Fernsehen eine verschleierte Frau schreiend hören, die von der ungerechten Behandlung der Kopten redet, mit sehr viel Ehrlichkeit, mit sehr viel Temperament, mit sehr viel Vernunft. Deswegen möchte ich das Bild nicht als ganz schwarz darstellen. Wir haben sehr viele vernünftige Menschen im Heimatland Ägypten und viele der Muslime kritisieren das, was uns angetan wird.

    Meurer: Sind diese Muslime, die Sie gerade schildern, sind das diejenigen, die am Sonntagabend gemeinsam mit den Kopten demonstriert haben? Unser Korrespondent hat heute Morgen geschätzt, ungefähr 20 Prozent der Demonstranten waren Muslime.

    Damian: Aber die Muslime, die mit den Kopten sympathisierten, sind der festen Überzeugung, dass wir Recht haben und dass wir eine Unterstützung brauchen, und sie zeigen Solidarität. Viele der Muslime gewinnen Liebe und Sympathie zur koptischen Kirche aufgrund der Grausamkeit, die wir erleiden müssen. Heute kommt zu unserem Gottesdienst, Bab Shinouda und die heilige Synode haben veranlasst, dass die Kopten auf Weltebene drei Tage lang fasten und beten, und das fängt heute an. Zu unserem heutigen Gottesdienst kommt ein Moslem, ein Wissenschaftler aus der Universität Göttingen, der einfach seine Solidarität und seine Anteilnahme zum Ausdruck bringt.

    Meurer: Was könnte und sollte Ihrer Meinung nach die Bundesregierung in dieser Situation jetzt tun?

    Damian: Ägypten soll erinnert werden an seine internationalen Vereinbarungen. Der Militärattaché und der Botschafter sollen geholt werden zu Rede und Antwort. Es kann nicht wahr sein, dass man in Luxusvilla und in Marmorgebäuden in klimatisierten Räumen hier in Berlin den Wohlstand genießt und unsere Mitmenschen verlieren ihr Blut auf den Straßen von Kairo. Das darf nicht wahr sein! Deutschland muss klare Sprache sprechen mit der Übergangsregierung, mit dem Militärrat, Deutschland muss Ägypten an seine Verpflichtungen erinnern, auch die sogenannten Minderheiten zu schützen. Es kann nicht wahr sein, dass wir von den eigenen Behörden und dem eigenen Militär angegriffen und terrorisiert werden. Das überragt jede Vorstellung. Seit wann hat es das gegeben, dass man mit schwer bewaffneten Maschinen und gepanzerten Fahrzeugen auf den Bürgersteig links und quer fährt mit höchster Geschwindigkeit, um die demonstrierenden Kopten platt zu machen? Alle Leichen zeigen grausamste Deformationen, grausamste Schüsse. Die Bilder führen nur zum Erschrecken, und das ist von den eigenen Menschen, die eigentlich für den Schutz des Landes da sind und nicht, um die eigenen Leute kaputt zu machen.

    Meurer: Ein eindringlicher Appell von Bischof Anba Damian. Er ist das geistliche Oberhaupt der koptischen Christen in Deutschland. Bischof Damian, besten Dank und auf Wiederhören.

    Damian: Auf Wiederhören.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.