Mascha Drost: Eines der rätselhaftesten Stücke der Klavierliteratur, Robert Schumanns "Vogel als Prophet". Unruhig flattert dieser Vogel zwischen den Harmonien, und was er uns durch die Vorhaltung der Dissonanzen und die verhuschten Akkorde sagen will, es bleibt im Dunkel, mehrdeutig, mysteriös. Das haben Prophezeiungen eben so an sich, ob vom Orakel von Delphi, den biblischen Propheten oder ganz aktuell bei Harry Potter, den eine Prophezeiung über die drei letzten Bände hinweg in Atem hält. Aber wie steht es um die Prophetie in der Gegenwart? Woraus besteht sie, was sind ihre Felder, wie unterscheidet sie sich von der Prophetie der Vergangenheit? – Diese Fragen wurden während einer Tagung in Berlin diskutiert, der Jahrestagung des Zentrums für Literatur und Kulturforschung. Der Titel: "Prophetie und Prognostik", organisiert hat sie Professor Daniel Weidner. An ihn nun die Frage: Wie steht es um die Propheten heute? Gibt es sie überhaupt?
Daniel Weidner: Bemerkenswerterweise eigentlich selten. Man hätte ja nun gedacht, nach der Finanzkrise, dass eigentlich eine Untergangsstimmung ausbricht und Endzeit-Szenarien entworfen sind, denken Sie nur an den Jahrtausendwechsel, was da für eine Endzeit-Erwartung war, und es ist eigentlich bemerkenswert, dass das heute hier bei uns eher selten ist.
Drost: Was meinen Sie, woran liegt das? Haben sie keine Wirkungsmöglichkeiten heutzutage?
Weidner: Darüber haben wir auf unserer Tagung viel geredet. Vielleicht gibt es einfach zu viele Propheten. Es wird immer wieder neu ein Weltuntergang beschworen, es wird an jeder Straßenecke darüber gesprochen. Dann ist es natürlich ein Problem der Autorität: Gibt es eigentlich noch autoritäres Sprechen? Prophetisches Sprechen war immer auch autoritäres Sprechen, und das scheint heute schwierig zu sein. Und schließlich ist es natürlich vor allem eben das Übermaß an prognostischem Wissen, was scheinbar so etwas wie prophetisches Sprechen überflüssig gemacht hat.
Drost: Der Titel der Tagung lautet ja auch "Prophetie und Prognostik". Was sind denn da die konkreten Unterschiede?
Weidner: Die Unterschiede sind eigentlich fundamental. Man kann vielleicht das ein bisschen als Geschichte erzählen, wie es zu dieser Tagung kam. Es gab zwei Forschungsprojekte, zwei Interessen, die sich damit verbinden. Das eine ging über prognostisches Wissen, was können wir eigentlich von der Zukunft wissen. Prophetie, jedenfalls biblische Prophetie – das wird Ihnen jeder Bibelwissenschaftler sagen -, hat eigentlich weniger mit Zukunftswissen oder nicht immer mit Zukunftswissen zu tun. Die Propheten ermahnen auch und trösten und drohen und reden den Menschen ins Gewissen. Das heißt, es ist eigentlich eher ein Akt des Sprechens als des Wissens. Und wir haben das dann mal als die Gegenüberstellung von Vorwissen und Fürsprechen genommen. Also das, was kommt, vorauswissen und für jemand anders sprechen, das war eigentlich unser spezielles Interesse an dieser Tagung.
Drost: Ist es denn überhaupt wissenschaftlich, von Prophetie zu sprechen? Müsste es nicht eher so was wie Zukunftsforschung heißen?
Weidner: Sagen wir mal so: Wenn man davon ausgeht, das, worum es hier geht eben das Sprechen über das Wissen von der Zukunft ist, dann kann man sagen, dass natürlich bei aller Wissenschaftlichkeit letztlich auch immer noch ein Sprechakt erforderlich ist, der das in einer bestimmten Art und Weise inszeniert, und der wird sich dann doch sehr oft der prophetischen Töne, also der Mahnung, des Appells, der Nachdrücklichkeit bedienen. Wenn Sie zum Beispiel denken an die Klimaforscher, die könnten uns natürlich schlicht und ergreifend vorhersagen, dass es immer wärmer wird, aber sie werden natürlich auch immer sagen, darauf müssen wir achten, wir müssen jetzt handeln, und zwar sofort. Diese Art von Rhetorik, die sich damit verbindet, das scheint mir durchaus prophetische Töne zu haben.
Drost: Also gibt es sie doch noch, die Propheten. – Ein wichtiges Thema der Tagung war ja auch die religiöse Prophetie. Was kann man da als Fazit sagen? Gibt es so was heutzutage noch?
Weidner: Es gibt das im Archiv der Kultur. Es gibt die vielen Spuren. Die biblische Prophetie war natürlich schlicht und ergreifend mal eine Praxis, also eine Praxis durchaus auch der Orakel, aber wie ich schon sagte auch eine Praxis des Mahnens, der öffentlichen Rede, der Einrede und eben auch des Versuchs, die Hörer zu erschüttern, und das gibt es natürlich noch. Das gibt es ganz besonders in der Literatur und in der Poesie, wo genau das natürlich versucht wird. Eine Rede, eine öffentliche Rede ohne ein institutionelles Mandat, ohne auch irgendwie ein wissenschaftliches Wissen dahinter, sondern die eben aus so was wie dem Gewissen oder auch aus so was wie einer bestimmten sozialen Gemeinschaft heraus kommt, das gibt es durchaus noch.
Drost: Können Sie da vielleicht ein paar konkrete Beispiele nennen?
Weidner: In der Tagung haben wir uns mit Dichtungen beschäftigt – natürlich. Es geht ja auch um Literaturforschung. Das ist die große romantische Dichtung, aber das ist durchaus auch die Gegenwartsliteratur. Wir hatten eine Lesung von Patrick Roth, ein Autor, der immer wieder mit Formen des prophetischen Sprechens, des Appells, aber auch des Hier, der Gegenwart spielt und das auf ganz interessante Weise mit Sprechen über Film verschaltet. Also in der Literatur ist das immer ein Modus, der in das Spiel gebracht werden kann.
Drost: Dr. Daniel Weidner, Tagungsleiter der Jahrestagung "Prophetie und Prognostik". Sie fand am Wochenende im Berliner Zentrum für Literatur und Kulturforschung statt.
Daniel Weidner: Bemerkenswerterweise eigentlich selten. Man hätte ja nun gedacht, nach der Finanzkrise, dass eigentlich eine Untergangsstimmung ausbricht und Endzeit-Szenarien entworfen sind, denken Sie nur an den Jahrtausendwechsel, was da für eine Endzeit-Erwartung war, und es ist eigentlich bemerkenswert, dass das heute hier bei uns eher selten ist.
Drost: Was meinen Sie, woran liegt das? Haben sie keine Wirkungsmöglichkeiten heutzutage?
Weidner: Darüber haben wir auf unserer Tagung viel geredet. Vielleicht gibt es einfach zu viele Propheten. Es wird immer wieder neu ein Weltuntergang beschworen, es wird an jeder Straßenecke darüber gesprochen. Dann ist es natürlich ein Problem der Autorität: Gibt es eigentlich noch autoritäres Sprechen? Prophetisches Sprechen war immer auch autoritäres Sprechen, und das scheint heute schwierig zu sein. Und schließlich ist es natürlich vor allem eben das Übermaß an prognostischem Wissen, was scheinbar so etwas wie prophetisches Sprechen überflüssig gemacht hat.
Drost: Der Titel der Tagung lautet ja auch "Prophetie und Prognostik". Was sind denn da die konkreten Unterschiede?
Weidner: Die Unterschiede sind eigentlich fundamental. Man kann vielleicht das ein bisschen als Geschichte erzählen, wie es zu dieser Tagung kam. Es gab zwei Forschungsprojekte, zwei Interessen, die sich damit verbinden. Das eine ging über prognostisches Wissen, was können wir eigentlich von der Zukunft wissen. Prophetie, jedenfalls biblische Prophetie – das wird Ihnen jeder Bibelwissenschaftler sagen -, hat eigentlich weniger mit Zukunftswissen oder nicht immer mit Zukunftswissen zu tun. Die Propheten ermahnen auch und trösten und drohen und reden den Menschen ins Gewissen. Das heißt, es ist eigentlich eher ein Akt des Sprechens als des Wissens. Und wir haben das dann mal als die Gegenüberstellung von Vorwissen und Fürsprechen genommen. Also das, was kommt, vorauswissen und für jemand anders sprechen, das war eigentlich unser spezielles Interesse an dieser Tagung.
Drost: Ist es denn überhaupt wissenschaftlich, von Prophetie zu sprechen? Müsste es nicht eher so was wie Zukunftsforschung heißen?
Weidner: Sagen wir mal so: Wenn man davon ausgeht, das, worum es hier geht eben das Sprechen über das Wissen von der Zukunft ist, dann kann man sagen, dass natürlich bei aller Wissenschaftlichkeit letztlich auch immer noch ein Sprechakt erforderlich ist, der das in einer bestimmten Art und Weise inszeniert, und der wird sich dann doch sehr oft der prophetischen Töne, also der Mahnung, des Appells, der Nachdrücklichkeit bedienen. Wenn Sie zum Beispiel denken an die Klimaforscher, die könnten uns natürlich schlicht und ergreifend vorhersagen, dass es immer wärmer wird, aber sie werden natürlich auch immer sagen, darauf müssen wir achten, wir müssen jetzt handeln, und zwar sofort. Diese Art von Rhetorik, die sich damit verbindet, das scheint mir durchaus prophetische Töne zu haben.
Drost: Also gibt es sie doch noch, die Propheten. – Ein wichtiges Thema der Tagung war ja auch die religiöse Prophetie. Was kann man da als Fazit sagen? Gibt es so was heutzutage noch?
Weidner: Es gibt das im Archiv der Kultur. Es gibt die vielen Spuren. Die biblische Prophetie war natürlich schlicht und ergreifend mal eine Praxis, also eine Praxis durchaus auch der Orakel, aber wie ich schon sagte auch eine Praxis des Mahnens, der öffentlichen Rede, der Einrede und eben auch des Versuchs, die Hörer zu erschüttern, und das gibt es natürlich noch. Das gibt es ganz besonders in der Literatur und in der Poesie, wo genau das natürlich versucht wird. Eine Rede, eine öffentliche Rede ohne ein institutionelles Mandat, ohne auch irgendwie ein wissenschaftliches Wissen dahinter, sondern die eben aus so was wie dem Gewissen oder auch aus so was wie einer bestimmten sozialen Gemeinschaft heraus kommt, das gibt es durchaus noch.
Drost: Können Sie da vielleicht ein paar konkrete Beispiele nennen?
Weidner: In der Tagung haben wir uns mit Dichtungen beschäftigt – natürlich. Es geht ja auch um Literaturforschung. Das ist die große romantische Dichtung, aber das ist durchaus auch die Gegenwartsliteratur. Wir hatten eine Lesung von Patrick Roth, ein Autor, der immer wieder mit Formen des prophetischen Sprechens, des Appells, aber auch des Hier, der Gegenwart spielt und das auf ganz interessante Weise mit Sprechen über Film verschaltet. Also in der Literatur ist das immer ein Modus, der in das Spiel gebracht werden kann.
Drost: Dr. Daniel Weidner, Tagungsleiter der Jahrestagung "Prophetie und Prognostik". Sie fand am Wochenende im Berliner Zentrum für Literatur und Kulturforschung statt.