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Vier Jahre nach der letzten Runde

2005 hat die britische Regierung die Sperrstunde in den Pubs des Landes abgeschafft. Damit war die Hoffnung verbunden, dass die Briten ihr Feierabendbier langsam und besonnen trinken, statt kurz vor Toresschluss noch mehrere Gläser zu viel herunterzukippen. Soweit die Theorie, doch wie sieht die Praxis seitdem aus?

Von Ruth Rach | 13.11.2009
    Letzte Runde - der bei britischen Pubgängern so gefürchtete Ruf ist auch heute noch zu hören. Zwar wurde die Sperrstunde vor vier Jahren abgeschafft, aber in der Praxis bleibt vieles beim Alten.

    "Die Neuregelung der Sperrstunden zeigte kaum Wirkung, weder auf Recht und Ordnung, noch auf den Alkoholkonsum, noch auf die Zahl der Notaufnahmen ins Krankenhaus","

    ... sagt allerdings Rachel Seabrook vom Institut für Alkoholforschung in London. Viele Pubs schlössen weiterhin um elf und hängten höchstens am Wochenende noch eine Stunde dran.

    Das hat nicht zuletzt mit den Lizenzbestimmungen zu tun. In guten Wohngegenden wehren sich die Anwohner, wenn der Pub nebenan eine Verlängerung der Sperrstunde beantragt. Gerade Mittelschichtler wissen den Rechtsweg auszuschöpfen. In weniger privilegierten Stadtvierteln hat sich die Situation teilweise verschlimmert, dort kommen schlichtweg keine konzertierten Kampagnen zustande. Und in den Innenstädten führt die Konzentration an Pubs und Clubs, die seit der Aufhebung der Sperrstunden noch später schließen dürfen, lediglich dazu, dass Polizei und Notdienste noch längere Einsätze schieben.

    Auf einen Wirtschaftszweig hat sich die Neuregelung allerdings unbeabsichtigt günstig ausgewirkt, sagt Rachel Seabrook.

    ""Die Supermärkte. Früher durften sie Alkoholika nur zu genau festgelegten Zeiten verkaufen. Bier, Weine und Spirituosen wurden in einer getrennten Abteilung verkauft. Inzwischen setzen die Supermärkte alkoholische Getränke ganz gezielt ein, um Kunden anzulocken und platzieren sie zu Schleuderpreisen auf den zugänglichsten Regalen."
    Aber besonders Jugendliche beziehen Hochprozentiges aus den Supermärkten. Wer zu jung ist, schickt einen älteren Freund vor. Innerhalb der letzten 30 Jahre ist Alkohol im Vergleich zum Einkommen um 70 Prozent billiger geworden. Selbst hochprozentiger Most kostet oft nicht mehr als eine Flasche Cola. Supermärkte hätten die Moral eines Crackdealers, entrüstete sich Professor Martin Plant, Präsident des britischen Ärzteverbands erst vor Kurzem vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss in London:

    "Britische Teenager trinken doppelt so viel wie im Jahre 1990. Immer mehr entwickeln schwere Leberschäden. Die Regierung kann nicht mehr an der Illusion festhalten, dass die Alkoholindustrie zu freiwilliger Selbstkontrolle imstande ist."

    Junge Leute trinken, weil sie erwachsen wirken wollen, weil ihre Freunde trinken, und weil sie sich am nächsten Tag Storys über ihre Abenteuer erzählen wollen, sagt Rachel Seabrook vom Institut für Alkoholforschung. Trinkende Teenager kämen aus allen sozialen Schichten. Einziger Unterschied: Behütete Jugendliche becherten in einem eher behüteten Umfeld, wie zum Beispiel auf Partys. Jugendliche aus sozialen Brennpunkten hingegen an der Straßenecke, auf dem Spielplatz. Im Park.

    "Teenager machen am meisten Krach, und werden deshalb als größte Problemgruppe empfunden. Man darf aber nicht vergessen, dass auch die übrige Bevölkerung immer tiefer ins Glas schaut - fast ohne es zu merken. Weine sind beispielsweise viel hochprozentiger geworden und werden in den Kneipen in wesentlich größeren Gläsern serviert. Auch Rentner sind gefährdet, aber sie betrinken sich still und leise in den eigenen vier Wänden."
    Aufklärungskampagnen, schockierende Werbespots, Appelle an das persönliche Verantwortungsgefühl - was hat die Regierung im Kampf gegen den Alkoholmissbrauch nicht schon versucht. Vergeblich. Die einzigen Strategien, die wirken, sind hohe Preise und knappe Verfügbarkeit, sagen Experten. In der Londoner U-Bahn ist der Konsum von Alkoholika inzwischen verboten. Eine Regelung, die ohne viel Diskussion hingenommen wurde: Die meisten Leute trinken vor oder nach der Fahrt. Ein Alkoholverbot auf öffentlichen Straßen und Plätzen ist umstritten: Damit würde das Problem nur verlagert, heißt es: auf Orte, die weniger sichtbar und somit vor allem für jugendliche Trinker auch gefährlicher sein könnten.