Die Perspektive des Intellektuellen hat erst kürzlich Edward Said als Ortlosigkeit, als Dialektik von lebensweltlicher Vertrautheit und kritischer Distanz charakterisiert. Diese Perspektive zeigt sich in allen vier Essays von Umberto Eco, vielleicht am exemplarischsten in jenem Text zum Golfkrieg, entstanden als der noch in vollem Gange war. Seinerzeit verglich hierzulande Hans Magnus Enzensberger Saddam Hussein mit Adolf Hitler und parallelisierte so insgeheim die UN-Intervention mit dem Kampf der Alliierten gegen Nazideutschland. Und in Frankreich sprach Jean Baudrillard in postmodernem Übermut dem Krieg am Golf die Realität ab, machte ihn zu einem bloßen Medienspektakel. Mit seiner ebenso überraschenden wie luziden These schlägt Eco sich weder auf die Seite der Befürworter der Intervention, noch dezidiert auf die der Kriegsgegner. Er behauptet auch nicht, daß dieser Krieg nicht real sei, sondern daß, was immer da geschah, jedenfalls kein Krieg war. Zumindest keiner nach der üblichen Bedeutung des Wortes 'Krieg'. Eco ist der Meinung, daß die Kriegführung im landläufigen Sinne in der heutigen Zeit überhaupt nicht mehr möglich ist, weil die modernen Kommunikations- und Waffentechniken, die Medienpräsenz und die Globalisierung wirtschaftlicher Macht der klassischen Kriegführung die Grundlage entzogen haben. Weder lassen sich heute noch zwei deutlich getrennte Kombattanten identifizieren, noch ist es möglich, geheime oder überraschende Strategien und Taktiken zu verfolgen. Die Auseinandersetzung am Golf habe so die Lösung politischer Konflikte durch Kriege praktisch ad absurdum geführt.
"Die Tatsache, daß die Menschen", heißt es bei Eco, "über Tausende von Jahren den Krieg als Mittel zur Auflösung von Ungleichgewichtszuständen praktiziert haben, ist nicht beweiskräftiger als die Tatsache, daß die Menschheit in derselben Zeitspanne beschlossen hat, psychische Ungleichgewichte durch Rekurs auf Alkohol (...) aufzulösen." Weil der Krieg als solcher eben nicht mehr die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln sein kann, eine echte Alternative, wie eine Weltpolizei etwa, sich institutionell noch nicht wirklich abzeichnet, kann der Intellektuelle Eco nicht mehr tun, als die Unmöglichkeit des Krieges zu protokollieren.
Diese Essays sind zwar als Augenblicksprodukte entstanden, und das merkt man ihnen auch an, sie zeigen aber etwas über die Physiognomie des Intellektuellen Eco, der statt sich für eine Idee in die Bresche zu schlagen, versucht, das Terrain begrifflich zu klären durch Fragen wie: Was heißt überhaupt 'Krieg'? Was bedeutet eigentlich 'Faschismus’?
Obwohl das direkte 'J'accuse' eines Emile Zola dem Bestsellerautor Eco fern liegt, vermittelt seine wahrheitsorientierte Klärung dem Leser indirekt durchaus eine Stellungnahme. Wenn Eco in dem Essay über den italienischen Faschismus vor allem bemüht ist, die Merkmale des Ur-Faschismus herauszuarbeiten, und so Wachsamkeit vor allen seinen Spielarten anmahnt, erscheint das wie ein flammendes Plädoyer für Freiheit und westliche Demokratie. Deren Wert scheint Eco immer schon als ebenso begründet wie selbstverständlich vorauszusetzen. Moralisch sind diese kleinen Schriften also im allerwörtlichsten Sinne: sie packen uns an den gemeinsam geteilten 'mores', den Sitten und Gebräuchen. Durch den Rekurs auf das uns so Vertraute wie eine 'Kultur der Demokratie' stopft Eco geschickt die Leerstellen der Begründung. Darin zeigt sich der Rhetoriker und der Rhetor Eco, der als Zeichentheoretiker die Bedeutung seiner Sätze von der Wirkung seiner Rede durchaus zu trennen weiß.