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Vincent Warnier
Camille Saint-Saëns und die Königin der Instrumente

Camille Saint-Saëns war Pianist, Organist und Musikwissenschaftler. Seine 3. Sinfonie trägt zwar den Beinamen "Orgelsinfonie", doch hat das Instrument darin wenig zu tun. Der Organist Vincent Warnier und das Orchestre National de Lyon unter Leonard Slatkin haben nun diese und andere Orgelwerke von Saint-Saëns für das Label Naxos eingespielt.

Von Klaus Gehrke |
    Der französische Komponist (u.a. "Samson und Dalila") in einer zeitgenössischen Darstellung.
    Camille Saint-Saëns wurde am 9. Oktober 1835 in Paris geboren und ist am 16. Dezember 1921 in Algier gestorben. (picture-alliance / dpa - Belga)
    Zu Beginn des letzten Satzes darf die oft so bezeichnete Königin der Instrumente fast alle Register ziehen und ihre ganze Klangpracht entfalten; diese Eröffnung des Finales aus Camille Saint-Saens' dritter Sinfonie in c-Moll op. 78 ist gleichzeitig eine der markantesten und bekanntesten Stellen des gesamten Werkes. Was seinen Part angeht, so dürfte der Organist vermutlich hin und wieder mal neidisch zum Pianisten hinüber schielen: Denn der hat wenigstens mal ein paar schnelle Tonleitern zu spielen.
    Mehr Klangfarbe als Solorolle
    Auch wenn Saint-Saens' dritte Sinfonie den Beinamen "Orgel-Sinfonie" erhielt, spielt die Orgel darin keine wirkliche Solorolle, etwa mit einem technisch anspruchsvollen Part; stattdessen bezog der Komponist sie mehr als Klangfarbe in den Orchesterapparat mit ein. Dennoch verweist gerade dieses Werk deutlich auf den Stellenwert der Orgel im Frankreich des späten 19. Jahrhunderts: Hier gehörte sie bereits in den Konzertsaal, während man in Deutschland mit ihr vor allem das Instrument für den sakralen Gebrauch verband.
    Mit Kirchensonaten hatten die französischen Orgelsinfonien, die beispielsweise Saint-Saens neun Jahre jüngerer Kollege Charles-Marie Widor komponierte, wenig zu tun; in ihnen versuchte er vielmehr, die Prinzipien der Orchestermusik auf sein Instrument zu übertragen. Dafür boten die von Aristide Cavaillé-Coll gebauten Orgeln zahlreiche Möglichkeiten. Eine solche steht auch im Auditorium Maurice Ravel in Lyon; sie ist Frankreichs größte Konzertsaalorgel und geradezu prädestiniert für effektvolle Bearbeitungen von Orchesterwerken.
    Originelle "Danse macabre"
    Auf ihr spielt Vincent Warnier das wohl bekannteste Orchesterwerk von Saint-Saens: die "Danse macabre" op. 40 in einer Bearbeitung für Orgel solo, die der englische Organist Edwin Lemare 1919 erstellte. Ob der Komponist diese Version noch kennengelernt und was er dazu gesagt hat, ist nicht bekannt. Allerdings gibt es von der "Danse macabre" mehrere Bearbeitungen, die Saint-Saens zum Teil selbst erstellte, etwa für Violine und Klavier oder für Klavier zu vier Händen. Doch keine ist so farbig und dem Orchesterklang so nahe wie die auf der CD eingespielte Fassung für Orgel von Edwin Lemare, die Vincent Warnier wiederum für das Instrument in Lyon bearbeitete. Für die Darstellung des spukhaften Totentanzes zieht er raffiniert zusammengestellte Register.
    Königin mit 6.500 Pfeifen
    Die Orgel im Lyonner Auditorium Maurice Ravel hat eine bewegte Geschichte hinter sich: Ursprünglich von Cavaillé-Coll anlässlich der Pariser Weltausstellung 1878 im großen Saal des Palais du Trocadéro erbaut, entsprach sie nicht nur dem damaligen modernsten Stand der Orgelbautechnik, sondern spiegelte mit ihren 66 Registern und vier Manualen ein orchestrales Klangideal wider. Nach einigen Renovierungen, Um- und Einbauten erreichte Louis Pradel, der damalige Bürgermeister von Lyon, 1975 ihre Überführung in das neu erbaute Auditorium Maurice Ravel, wo das nun auf 82 Register erweiterte Instrument mit insgesamt 6.500 Pfeifen am 27. November 1977 erstmals erklang.
    Mit dem Klangkörper des Hauses, dem Orchestre National de Lyon, tritt Vincent Warnier seit 2013 als Artist in residence gemeinsam auf. Der 47-Jährige gehört zu den renommiertesten Organisten seines Landes, spielt regelmäßig in Paris und der Kathedrale von Verdun und gibt zahlreiche Konzerte im In- und Ausland.
    Trauer und Siegesgefühle
    Zu den mit dem Orchestre National eingespielten Werken auf der CD gehört auch die Fantasie "Cyprès et Lauriers", "Zypressen und Lorbeer", op. 156 für Orgel und Orchester. Saint-Saens komponierte das Werk im März 1919 als Reflektion auf den Sieg der Alliierten Mächte im Ersten Weltkrieg. Entsprechend dem Titel besteht die Komposition aus zwei Teilen: Im ersten, "Zypressen", steht die Orgel mit einem mal aufgewühlten und dann wieder düsteren Solo im Vordergrund, das Trauer und Schmerz über die Gefallenen darstellt. Der Zweite, "Lorbeer", zeigt unüberhörbar die Freude über den Sieg.
    Bei der Uraufführung im Juli 1919 im Casino des belgischen Nordseebades Ostende spielte der Komponist höchstpersönlich den Orgelpart; die zweite Aufführung fand unter Saint-Saens Leitung im großen Saal des Pariser Palais du Trocadéro mit Eugene Gigout an der Cavaillé-Coll-Orgel statt. Das einstmals überaus gefeierte Werk ist heute eher selten auf den Konzertspielplänen zu finden. Zusammen mit der raffinierten Bearbeitung der "Danse macabre" und der populären "Orgel-Sinfonie" haben Vincent Warnier und Leonard Slatkin mit dem Orchestre national eine CD zusammengestellt, deren Konstellation einfach hörenswert ist.
    Sinfonie Nr. 3 ‚Orgelsinfonie'/Danse macabre/Cyprès et Lauriers von Camille Saint-Saëns mit Vincent Warnier und dem Orchestre national de Lyon unter Leonard Slatkin, Berlin Classics 0300603BC