Carl-Johan, kurz "Calle" Viktor, zu kontaktieren, ist nicht einfach. Eine Homepage hat er nicht. Die Telefonnummer auf seiner Facebook-Seite funktioniert nicht.
Am besten man fährt einfach hin zu der angegebenen Adresse in das südschwedische Urshult, einem 800-Seelen-Dorf in Småland. Im Industriegebiet unweit eines Sägewerks rollt man auf einen eingezäunten Parkplatz, zwängt sich dann durch eine kleine Tür in eine Fabrikhalle, in der mehrere kleine Firmen mit ihren Maschinen sitzen. Und dann steht er plötzlich vor einem: Calle Viktor. Ein kleiner, drahtiger Mann Mitte Vierzig im karierten Hemd. Das Haar nass zurückgekämmt, die Arme voller Tattoos. "Ein Hipster", könnte man nun denken. Aber nein: Das hier ist der einsame Kämpfer für die analoge Vinyl-Scheiben im Mutterland des Streamings. Viktor:
"Vor neun Jahren war es noch ungewöhnlicher, Vinyl zu pressen. Deshalb war es sehr schwer, zum Beispiel zu einer Bank zu gehen und sie davon zu überzeugen, dass Vinylpressen eine gute Idee ist. Heute würde es leichter gehen."
Schallplatte erlebt Revival
In Viktors kleiner Werkhalle stehen zwei Pressmaschinen des schwedischen Fabrikanten Toolex Alpha: grüne Ungetüme, aus denen ein paar Kabel herausschauen. Daneben steht eine blaue Plastiktonne mit einem Haufen Objekte, die aussehen wie Eishockeypucks: Es ist das Polyvinylchlorid, das später auf dem silberglänzenden Teller in eine Schallplatte verwandelt wird. Doch es bewegt sich nichts. Seit Tagen wartet Viktor auf ein Ersatzteil.
Ob Heavy Metal, Blues, Folk oder Punk - Viktor presst seit fast einem Jahrzehnt die unterschiedlichsten Musikrichtungen. Auch drei Alben der schwedischen Musikerin Anna Ternheim hat Viktor bereits aufs Vinyl gebracht.
Schweden ist zwar das Streaming-Land Nummer eins in Europa, doch in der Nische erlebt auch die Schallplatte ein Revival. Dank Musikfans, die Haptik und guten Klang lieben.
Platten pressen, einpacken, verschicken - dafür steht Viktor zwei bis drei Tage die Woche in seiner Halle.
"Es ist nicht gerade leicht. Es ist mehr eine Mischung aus Arbeit und Hobby. Wenn man nur Geld verdienen will, dann sollte man etwas anderes machen. Wenn die Maschinen laufen, dann ist es körperlich noch nicht mal so anstrengend. Es sind eher die Temperaturen, die einem zu schaffen machen: Hier kann es bis zu 35 Grad warm werden. Eigentlich sollte ich hier Schutzkleidung tragen, aber das tue ich nicht - es wird einfach zu warm!"
700-800 Platten pro Tag
Auch in Schweden erleben Schallplatten seit Jahren ein Comeback. Wurden im Jahr 2008 in dem Land noch rund 20.000 Platten verkauft, waren es im Jahr 2013 bereits an die 200.000. Mittlerweile werden immerhin zwei Prozent aller Tonträger in Schweden auf Vinyl verkauft. Das spürt auch Calle Viktor. An einem guten Tag presst er im Alleingang 700 bis 800 Platten. Dabei sei die Nachfrage höher. Doch um mehr Platten herzustellen, müsste er ein bis zwei Personen einstellen, sagt er.
"Doch das kann ich aus mehreren Gründen nicht: zusätzliches Personal kostet Geld. Und die Maschinen sind ja auch nicht ganz ungefährlich, da kann man sich dran verletzten. Und dann ist da noch obendrein die schwedische Bürokratie."
Nach der Schule war er lange Mechaniker für Autos, später auch für Sägewerke und die Lebensmittelindustrie. Er bezeichnet sich selbst als "Hobbymusiker". In fünf Gruppen spielt er Kontrabass, den Stil der Bands bezeichnet Viktor selbst als US-Road-Musik. Außerdem führt Viktor das kleine Musiklabel Victone Records.
Eines seiner Alben hat Viktor in Jönköping aufgenommen. Der Besitzer des dortigen Studios besaß damals seit mehreren Jahren schon eine Schallplattenpresse.
"Dann fing er an, davon zu erzählen, dass er vielleicht eine Familie gründen und die Maschinen verkaufen wolle… so kam das."
Viktor schlug zu, witterte darin ein neues Hobby und die Gelegenheit, auch seine eigenen Alben pressen zu können. Auch wenn gerade keine Schallplatten gepresst werden - eine akustische Kostprobe kann Viktor trotzdem bieten. Einmal in Gang gesetzt, erinnert die grüne Maschine mit ihren faszinierenden Geräuschen und Bewegungen ein wenig an ein Kunstwerk des Schweizer Bildhauers Jean Tinguely: Es zischt und dampft, roboterhaft bewegen sich Kolben und Hebel, die genauso abrupt stoppen wie sie auch eingesetzt haben.
Traum vom eigenen Musikstudio
Viktor selbst schwärmt für die USA und ihre Musik. In seiner Werkstatt ist eine Wand mit Plattencovern und Schwarz-Weiß-Fotos aus den 50er Jahren geschmückt. Solche Musik presst Viktor besonders gerne. Dabei sei die eigentliche Rettung der schwedischen Schallplattenszene aus einer ganz anderen Richtung gekommen:
"Es wird sehr viel Punk-Musik auf Vinyl gepresst. Eigentlich muss man dem Punk dafür danken, denn er war es, der die Vinylproduktion am Leben gehalten hat."
Calle Viktor hat auch Kontakt zu Schallplattenpressern aus anderen europäischen Ländern, der Umgang sei kollegial.
Doch in zehn Jahren will er hier nicht mehr stehen. Stattdessen träumt er von einem eigenen Musikstudio. Vielleicht könnte dann eines seiner drei Kinder die Schallplattenpresse mal übernehmen?
"Sie haben keine Lust auf Vinyl, deshalb glaube ich nicht, dass sie es machen werden. Es ist eigentlich lustig, sie sind ja sozusagen 'vinylgeschädigt'. Meine Kinder sind 7,11 und 13 Jahre alt, die sind mit Vinyl aufgewachsen. Für sie war es etwas ganz natürliches, Schallplatten zu hören. Es ist das erste Musikmedium gewesen, mit dem sie in Berührung kamen."