Im Kellergeschoss der Ravenspurger Straße 41 wurden früher Autos repariert, davor Sauerkraut hergestellt und davor wiederum Munition. Heute sitzen hier Moritz Illner, Davis Jahnke und ein Praktikant in den zu Studios umgebauten Räumlichkeiten zwischen Kickertisch, Computerbildschirmen und so altmodischen wie schwergewichtigen Schneidemaschinen. An Aufträgen mangelt es nicht, das Nischensegment Langspielplatte erfreut sich wachsender Beliebtheit, sagt David Jahnke, ein schmächtiger junger Mann mit dicker Nerd-Brille:
"Das Grundproblem ist, dass die Nachfrage wahnsinnig hoch ist, und dass es nur eine begrenzte Anzahl an Maschinen gibt, kaum noch neue Maschinen gebaut werden. Wenn neue Maschinen gebaut werden, die sehr, sehr teuer sind, und dass Platten wieder veröffentlicht werden von den großen Plattenfirmen, weil sie noch mal Geld damit machen wollen, und dass Stückzahlen gepresst werden, die für Wochen Maschinen lahmlegen."
Große Nachfrage, wenige Maschinen
David Jahnke und Moritz Illner sind beide musikbegeistert und selbst Musiker. In den 1980er Jahren sind sie groß geworden und verachteten - wie so viele damals - die neu aufkommende Compact Disc: zu steril, zu tot. Sie suchten und fanden professionelle Schallplatten-Schneidegeräte aus den 70er Jahren, die damals billig zu haben waren. Besonders stolz ist Ilner auf eine Masterschnittmaschine der Marke "Neumann". Sie tat erst in New York ihren Dienst, dann in Los Angeles, und Anfang 2000 kaufte Illner sie einem Presswerk in Budapest ab, für 18.000 Euro. Heute ist sie das Dreifache wert, mindestens, sagt Illner:
"Ich leg jetzt den Rohling auf, der ist größer als 'ne Schallplatte, der wird auf den Teller aufgelegt, dann kommt hier eine Luftansaugung an, weil die Platte über kleine Löcher ganz fest an den Teller festgesaugt wird, dass sie nicht durchrutschen kann, das ist ganz wichtig. Dann schmeiß ich den Riesenteller an. Letztendlich geht's jetzt darum zu gucken: Wie ist der Sound, den der Kunde mir geschickt hat? Und wie klingt das Ganze dann auf Platte?"
Der wuchtige Plattenteller wiegt 50 Kilogramm. Der Rohling darauf aus schwarz lackiertem Aluminium kommt aus Japan, nur noch zwei Fabriken weltweit stellen Rohlinge her. Die Scheibe ist etwas größer als die spätere Schallplatte, damit man sie am Rand noch anfassen kann, ohne die empfindliche Oberfläche zu berühren. Neben dem Tonarm mit dem Schneidekopf, der die Musik gleich zu einem Spiegelbild der Schallwellen fräsen wird, fällt ein weiterer Tonarm wie bei einem ganz normalen Plattenspieler auf. Der tastet die frisch geprägte Masterfolie in Echtzeit ab und bringt sie zum Klingen. Per Mikroskop überwacht Illner den Schneideprozess:
"Ich senke jetzt den Schneidekopf, dass er die Oberfläche berührt."
Keine Aufträge für klassische Musik
Die Nadel fräst jetzt ihre Runden in der gewünschten Geschwindigkeit, je lauter und dichter die Musik wird, desto ausgeprägter die Wellenform der Rille. Verarbeitet wird jedes Musikgenre, bloß Aufträge mit klassischer Musik haben sie keine. Für jede LP-Seite braucht es einen eigenen Rohling. Die werden dann in eines der wenigen noch arbeitenden Presswerke ins norddeutsche Diepholz geschickt, die Grafik-Dateien für das Cover und die Etiketten auf der LP gehen an eine Druckerei in Chemnitz, die mit Spezialformaten umgehen kann. 500 Schallplatten kosten mit vierfarbigem Cover und Etikett etwa 1.800 Euro.
Doch Indie-Labels können sich den Umweg übers Presswerk auch sparen und einen anderen Weg gehen, um zum gewünschten Produkt zu kommen: der LP, gewissermaßen Musik zum Anfassen. Moritz Illner geht rüber in ein anderes kleineres Studio, zieht einen 10''-Rohling aus dem Regal, eine Spezialgröße, die den alten Schellackplatten entspricht, und zieht die Schutzfolie von der PVC-Scheibe:
"Wenn man die abzieht, hat man eine ganz glänzende schwarze Scheibe vor sich, ohne Rillen natürlich, die kommen dann erst beim späteren Prozess hinzu, die Maschine sieht aus wie'n bisschen umgebauter Schallplattenspieler. Darauf wird dann dieser Rohling gespannt und ein sogenannter Schneidekopf, ein Diamant, der ganz scharf geschliffen ist und der in den Rohling einen ganz glatten Schnitt setzen kann und dann im Endeffekt die Rille schneidet."
Rauschen und Knistern gehört dazu
Der millimeterdünne Faden, den der Diamant verursacht, verschwindet durchs Absaugen im Papierkorb. Jede Vinyl-Einzelanfertigung – ein sogenanntes Dubplate – ist mittlerweile so robust oder so anfällig wie eine normale LP. Und kann auch knistern und rauschen wie jene. David Jahnke stört das nicht:
"Die Musik lebt. Jedes Geknistere auf der Platte gibt halt der Musik den Klang. Bei der CD ist das schon sehr steril, außer man hat mal 'n Kratzer drauf dann hört man: krr krr krr ..."
Wird die LP noch zu weiteren Höhenflügen ansetzen? Jahnke glaubt nicht daran, die Nachfrage nach seinem Lieblingsmedium wird sich auf dem gegenwärtigen Niveau einpendeln, meint er.