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Violinkonzerte von Brahms und Ligeti
Reizvolle Reibung

Ein lebensgefährlicher Brandunfall hat die Karriere von Geiger Augustin Hadelich fast beendet, doch glücklicherweise hat er sich von den Folgen erholt. Auf seiner jüngsten CD mit dem Norwegischen Radioorchester unter Leitung von Miguel Harth-Bedoya demonstriert Hadelich seine ganz eigene Handschrift.

Am Mikrofon: Marcus Stäbler |
    Der Geiger Augustin Hadelich mit Kopfhörern und geschlossenen Augen
    Der deutsch-amerikanische Geiger Augustin Hadelich zählt zur internationalen Spitzenklasse (Suxiao Yang)
    Musik: Johannes Brahms, Violinkonzert D-Dur, op. 77
    Miguel Harth-Bedoya nimmt sich Zeit, um das Dreiklangsthema zu Beginn des Brahms-Violinkonzerts schwingen zu lassen. Er formt mit dem Norwegischen Radioorchester einen weichen Klang. Doch der verdichtet sich nach und nach und bekommt immer mehr Biss.
    Musik: Johannes Brahms, Violinkonzert D-Dur, op. 77
    Dieser Kontrast aus kantigen und lyrischen Momenten tritt in der neuen Aufnahme des Brahms-Violinkonzerts besonders deutlich zu Tage. Er prägt auch das Spiel des Solisten Augustin Hadelich. Der deutsch-amerikanische Geiger, der Anfang April seinen 35. Geburtstag gefeiert hat, bringt den Klangfarbenreichtum der Stradivari zum Leuchten. In den kantablen Passagen formt Hadelich ein sämiges Legato, er lässt das Instrument singen und vibriert die Töne mit glühender Intensität. Mit diesem romantischen Ansatz erinnert Hadelichs Spiel mitunter an die großen Geiger der Vergangenheit.
    Musik: Johannes Brahms, Violinkonzert D-Dur, op. 77
    Bedingungslose Hingabe und tiefes Verständnis für die Musik
    Augustin Hadelich scheut auch vor Klängen von schneidender Schärfe nicht zurück, wenn es die Musik fordert. Die ariose Schönheit ist eben nur eine Facette des Violinkonzerts von Brahms, zu dessen Wahrheit auch Momente des Ringens, der Melancholie und der Begegnung mit einem brennenden Schmerz gehören. Das ist in der Aufnahme mit Augustin Hadelich zu spüren, die eine bedingungslose Hingabe offenbart. Im Dialog mit dem Norwegischen Radioorchester findet der Geiger einen persönlichen Zugang zu diesem Werk, das ihn schon lange beschäftigt, er hat auch eine eigene Kadenz geschrieben. Sie zeugt vom tiefen Verständnis für die Musik, aber auch von der instrumentalen Meisterschaft des Solisten.
    Musik: Johannes Brahms, Violinkonzert D-Dur, op. 77
    Nach dem Kraftakt im ersten Satz, der sich auf eine Dauer von rund zwanzig Minuten erstreckt, schlägt Johannes Brahms im zweiten Satz des Violinkonzerts einen anderen Ton an. Mit dem Adagio beschwört der Komponist eine friedvolle Stimmung. Sie könnte von der idyllischen Natur des Örtchens Pörtschach am Wörthersee inspiriert sein, wo der damals 45-jährige Brahms den Sommer des Jahres 1878 verbrachte und die Arbeit an seinem Violinkonzert begann.
    Musik: Johannes Brahms, Violinkonzert D-Dur, op. 77
    Johannes Brahms vertraut das liedhafte Thema des Adagio zunächst den Holzbläsern an. Sehr zum Missfallen mancher Solisten wie etwa Pablo de Sarasate, der sich beschwert haben soll, dass er mit der Geige in der Hand zuhört, wie die Oboe dem Publikum "die einzige Melodie des ganzen Stücks vorspielt".
    Musik: Johannes Brahms, Violinkonzert D-Dur, op. 77
    Beseelter Gesang und bodenständiger Charme
    Die Bläser des Norwegischen Radioorchesters spielen unter Leitung von Miguel Harth-Bedoya kultiviert und sensibel, aber nicht ganz mit der klanglichen Wärme und dem Zauber, wie man es von Ensembles der europäischen Spitzenklasse gewohnt ist. Doch wenn der Solist einsetzt, ist dieser Zauber da. Augustin Hadelich fesselt auch hier mit einem Geigentimbre, das Süße, Kern und Sinnlichkeit vereint, und mit seinem Gespür für geschmackvolle Rubati. Indem er das Tempo bei manchen Tönen und Intervallschritten minimal dehnt oder verzögert, beseelt er den instrumentalen Gesang und macht ihn sich zu eigen.
    Musik: Johannes Brahms, Violinkonzert D-Dur, op. 77
    Mit dem anschließenden Allegro giocoso inszeniert Brahms einen saftigen Kontrast. Das Finale ist von ungarischen Tanzrhythmen angeregt und versprüht einen bodenständigen Charme, den die neue Aufnahme zum Leben erweckt.
    Musik: Johannes Brahms, Violinkonzert D-Dur, op. 77
    Zum Vergleich ein kurzer Ausschnitt aus der Aufnahme mit Hilary Hahn und der Academy of St. Martin in the Fields von 2001.
    Musik: Johannes Brahms, Violinkonzert D-Dur, op. 77
    Fest der Spielfreude
    Hier wirkt das Temperament der Musik etwas gebremst. Dagegen hat die Einspielung mit Augustin Hadelich und dem Norwegischen Radioorchester unter Miguel Harth-Bedoya deutlich mehr Würze. Durch die Triller in den Holzbläsern bekommt die Wiederholung des Themas eine volksmusikantische Färbung.
    Musik: Johannes Brahms, Violinkonzert D-Dur, op. 77
    Mit ihrer Mischung aus Präzision und Feuer machen die Interpreten dieses Finale zu einem Fest der Spielfreude.
    Musik: Johannes Brahms, Violinkonzert D-Dur, op. 77
    Augustin Hadelich und das Norwegische Radioorchester unter Miguel Harth-Bedoya mit dem Finale aus dem Violinkonzert von Johannes Brahms. Nachdem die ungarischen Farben des Stücks in der Aufnahme so klar heraus kommen, wirkt die Verbindung mit dem anschließenden Werk plötzlich ganz organisch. Das Programm konfrontiert Brahms mit dem Violinkonzert von György Ligeti von 1993. Es stammt aus einer ganz anderen Welt als das Brahms-Konzert, und doch klingt Ligetis ebenfalls folkloristisch inspirierte Musik im Anschluss an die knackigen Rhythmen bei Brahms gar nicht mehr so fremd, wie man meinen könnte.
    Musik: György Ligeti, Violinkonzert
    In seinem knapp halbstündigen Violinkonzert nutzt György Ligeti unterschiedlichste Einflüsse und Sounds, die er collagenhaft aufeinander prallen lässt oder zu einem bunten Mix vereint. Dieser Mix lebt nicht zuletzt vom fingerbrecherisch virtuosen Solopart, den Augustin Hadelich beeindruckend souverän im Griff hat und sicher mit den Einwürfen des Orchesters synchronisiert.
    Musik: György Ligeti, Violinkonzert
    Vertrackter Groove und exotische Farben
    Im ersten Satz des Violinkonzerts schichtet der Komponist verschiedene rhythmische Ebenen übereinander und erzeugt so einen eigentümlich vertrackten Groove. Die exotisch anmutenden Farben und Muster sind von Musiktraditionen aus Ostasien und dem südlichen Afrika beeinflusst und von Ligeti mit Formen und Motiven der westeuropäischen Kunstmusik verwoben.
    Musik: György Ligeti, Violinkonzert
    Im zweiten Satz, "Aria, Hoquetus und Choral" betitelt, legt György Ligeti der Geige ein tonal anmutendes Thema in die Saiten. Es beginnt sanglich und scheinbar konventionell, mündet dann aber in einen ungewohnten Sound.
    Musik: György Ligeti, Violinkonzert
    Ligeti instrumentiert diese Passage mit einem Chor aus vier Okarinas. Die Okarina ist eine mehrere Jahrtausende alte Flötenart, die in vielen Hochkulturen vorkommt und mit ihren Tonhöhen von der Stimmung der europäischen Konzertmusik abweicht.
    Musik: György Ligeti, Violinkonzert
    Solche Reibungen zwischen dem vertrauten und dem für unsere Ohren fremdartigen System haben György Ligeti in vielen seiner Werke beschäftigt, sie geben dem Klang eine unreine Schwebung, die einen eigentümlichen Reiz entfaltet. Im vierten Satz, den der Komponist "Passacaglia" nennt, rücken ebenfalls die irisierenden Effekte von Obertonschwingungen ins Zentrum, wenn der Solopart der Geige auf die Bläserstimmen von drei Klarinetten, gedämpfter Trompete und gestopftem Horn gebettet ist.
    Musik: György Ligeti, Violinkonzert
    Augustin Hadelich und das Orchester spüren den Farbeffekten der Musik mit Sorgfalt nach und verströmen dabei eine große Ruhe vor dem Sturm des Appassionato, das Ligetis Konzert effektvoll beschließt. In diesem Finale wendet sich Ligeti wie schon Brahms in seinem Violinkonzert der Sphäre der Volksmusik zu und geht lustvoll aufs Ganze. Manche Passage des Stücks, von Augustin Hadelich und seinen Partnern mitreißend gespielt, erinnert an das folkloristische Feuer bei Béla Bartók.
    Musik: György Ligeti, Violinkonzert
    Das Finale aus dem Violinkonzert von György Ligeti, mit Augustin Hadelich und dem Norwegischen Radioorchester unter Leitung von Miguel Harth-Bedoya. Ein Ausschnitt aus der neuen Aufnahme mit den Violinkonzerten von Ligeti und Brahms, die bei Warner Classics erschienen ist.
    Violinkonzerte von Johannes Brahms und György Ligeti
    Augustin Hadelich, Violine
    Norwegian Radio Orchestra
    Ltg.: Miguel Harth-Bedoya
    Warner Classics