In Großbritannien ist eine Mutation des Coronavirus festgestellt worden, die nach Angaben der dortigen Gesundheitsbehörden deutlich ansteckender ist. Die neue Variante des Virus ist auch in anderen Ländern bereits entdeckt worden, in Deutschland bislang noch nicht. Europa schottet sich zunehmend ab. Nach anfänglich zuversichtlichen Äußerungen zeigt sich auch der Virologe Christian Drosten angesichts neuer Daten nun besorgt über die Coronavirus-Mutation in Großbritannien.
Die aktuellsten Zahlen aus Großbritannien zeigen nach Einschätzung des Virologen Martin Stürmer, dass die neue Virusvariante in der Lage sei, "sich etwas effektiver zu verbreiten". Sie sorge aber nicht für schwerere klinische Symptome. Auch der Impfstoff scheine weiterhin zu wirken, so Stürmer.
Die Annahme deckt sich mit den Angaben des Pharmakonzerns und Impfstoffherstellers Biontech. Wie Firmenchef Sahin auf einer Pressekonferenz mitteilte, kann andernfalls das bestehende Vakzin binnen sechs Wochen speziell auf die Mutation zugeschnitten werden.
Es liege in der Natur von Viren, dass sie sich immer besser an den Wirt anpassen. "Die Konsequenz wird aber auch sein, dass höchst wahrscheinlich es weniger gefährlich wird für uns, was die klinische Symptomatik angeht", so Stürmer.
"Keine schwereren klinischen Symptome"
Dirk Müller: Machen Sie sich seit Sonntag noch mehr Sorgen?
Martin Stürmer: Ja und nein. Es ist natürlich eine Variante, die schon wirklich zu beobachten ist und die ernst genommen werden sollte. Auf der anderen Seite ist natürlich noch nicht ganz klar, in welche Richtung das Ganze tatsächlich geht.
Sie ist wohl nach den aktuellsten Daten, die wir jetzt aus England zugespielt bekommen haben, durchaus in der Lage, sich etwas effektiver zu verbreiten, in diesen Ausbruchs-Szenarien, wo sie gefunden worden ist, aber sie macht wohl keine schwereren klinischen Symptome und der Impfstoff scheint auch weiterhin zu wirken. Insofern muss man das Ganze genau beobachten und schauen, in welche Richtung sich das entwickelt.
Müller: Reden wir einmal, Herr Stürmer, bitte über diese Verbreitungsquote. Da haben wir jetzt gehört, bis zu 70 Prozent – das haben wir nachgelesen – sei dieses Virus aggressiver und aufgrund dessen auch ansteckender. Ist das überhaupt messbar?
Stürmer: Ja, es ist natürlich schwierig messbar. Man braucht natürlich irgendwo einen Parameter, wie man das Ganze vergleichen kann, letztendlich zu den bekannten Varianten.
Die Engländer haben, glaube ich, einen ganz interessanten Vorteil. Sie nutzen zum Teil ein Testsystem, wo drei Gene genutzt werden, um ein Signal zu detektieren, und eins davon ist das S-Protein und das scheint bei dieser Variante auszufallen. Insofern haben sie eine ganz gute Idee im Vergleich zu den anderen Varianten, wie sich das Virus verbreitet, und können da möglicherweise durch Modellierungen herausfinden, wie sich tatsächlich die Verbreitung verstärkt oder die Ansteckung verstärkt hat.
Schlüssel-Schloss-Prinzip
Müller: Das heißt, das Virus, mit dem wir es bisher zu tun hatten, war dann gar nicht vom Verbreitungs-Koeffizienten, von der Verbreitungs-Aggressivität gar nicht so schlimm?
Stürmer: Was heißt gar nicht so schlimm. Wir sehen ja im Prinzip, wie sich die Dynamik weltweit entwickelt hat, und da ist es schon eigentlich sehr, sehr effektiv gewesen, erstaunlich effektiv dafür, dass das Virus ja relativ kurz erst bei uns Menschen aktiv ist, maximal oder Pi mal Daumen ein Jahr lang. Dafür hat sich das Virus schon sehr, sehr gut verbreitet und letztendlich ist es evolutionär einfach nur eine Frage der Zeit, wann es mehr und mehr Varianten gibt, die sich noch besser an den Menschen anpassen.
Man muss das ein bisschen mit dem Schlüssel und dem Schloss vergleichen. Das Virus hat einen Schlüssel, mit dem es bei uns in die Zellen reinkommt. Wir haben ein Schloss bei uns und am Anfang knirscht das Ganze ein bisschen. Das funktioniert nicht reibungslos. Diese Veränderungen, die wir jetzt zum Teil wahrscheinlich sehen, sorgen dafür, dass sich der Schlüssel viel, viel leichter im Schloss dreht und damit das Ganze viel effektiver funktioniert.
Stürmer: Viren passen sich mit der Zeit besser an den Wirt an
Müller: Effektiv war das wohl richtige Wort für die Beschreibung. Danke dafür. – Ich habe gesagt schlimm; damit meinte ich ja, wie aggressiv und wie erfolgreich ist dieses Virus. Aber dann gibt es doch, wenn wir das jetzt alles zusammenzählen – Sie haben das etwas relativiert -, unterm Strich keinen Zweifel daran, dass die Effektivität zunehmen wird.
Stürmer: Diese Variante scheint auf jeden Fall schon mal effektiver zu sein, wenn wir die britischen Daten letztendlich intensiv betrachten, und in der Zukunft würde ich erwarten, dass das Ganze sich auch evolutionär weiterentwickelt. Es liegt in der Natur von Viren, dass sie sich immer besser an den Wirt anpassen. Die Konsequenz wird aber auch sein, dass höchst wahrscheinlich es weniger gefährlich wird für uns, was die klinische Symptomatik angeht.
Das ist insgesamt ein Trend in der Natur, dass das Virus letztendlich, auch wenn es aktiv nicht solche Aussagen machen würde, optimal verbreiten möchte, und dafür braucht es einen angepassten Vermehrungsweg und der Wirt darf nicht krank werden. Das ist das Optimum und über kurz oder lang wird das wahrscheinlich auch weiter passieren.
Müller: Sagen Sie noch einmal etwas zu diesen Auswirkungen. Das heißt, wie intensiv werden dann die Erkrankungen?
Stürmer: Ich gehe davon aus, dass die Erkrankungsrate im Laufe der Zeit deutlich geringer wird, weil es liegt natürlich in der Natur der Dinge, dass ein Virus ja den Wirt nicht schwerkrank machen möchte oder kann oder sollte, damit es sich weiter verbreitet. Eines der besten Beispiele ist Ebola, wo ja die Menschen erst dann infektiös sind, wenn sie so schwerkrank sind, dass sie gar nicht mehr mobil sind, und das sorgt ja dafür, dass wir Ebola bis auf ganz wenige Ausnahmen in ganz kleinen lokalen Ausbrüchen nur sehen. Insofern kann es das evolutionäre Ziel eines Erregers nicht sein, den Wirt nachhaltig zu schädigen, und die neue Variante, die wir jetzt kennen, da gibt es auch aktuell keine Hinweise darauf, dass es da in irgendeiner Form schwerere Verläufe gibt.
"Mit ziemlicher Sicherheit wird der Impfstoff gegen diese Variante noch aktiv sein"
Müller: Dann reden wir über den Schutz, über die Schutzvorrichtung, über den Impfstoff. Wie wirksam ist er gegenüber dieser neuen Mutation?
Stürmer: Da gab es jetzt auch ein bisschen Bedenken. Es gibt ja eine Veränderung von vielen, die diese neue Variante trägt, die in einem ganz wichtigen Bereich des Oberflächen-Proteins, in der sogenannten Rezeptorbindungsdomäne, kurz genannt RBD liegt. Das ist dieser Strukturbereich in dem Virus-Protein, was letztendlich mit unseren Zellen interagiert, dort diesen Schlüssel-Schloss-Kontakt aufnimmt, um die Zellen reinzukommen.
Diese Veränderung, die man dort gesehen hat, ist in dieser Form noch nicht studiert worden. Deswegen können wir da noch nicht genau was zu sagen. Aber es ist eine Region, wenn die verändert ist, dass möglicherweise der eine oder andere Antikörper nicht optimal bindet.
Aber da kommen wir genau schon zu dem Punkt. Der Impfstoff ist ja nicht nur ein Antikörper, der bindet, sondern man gibt uns das gesamte Oberflächen-Protein von Sars Cov 2, womit unser Immunsystem doch sehr breit reagieren kann, und mit ziemlicher Sicherheit wird auch der Impfstoff gegen diese Variante noch aktiv sein.
Müller: Das hat BioNTech-Chef Ugor Sahin angedeutet, dass er davon überzeugt ist, mit großer Wahrscheinlichkeit, dass dieser Impfstoff dementsprechend nach wie vor schützt. Da können wir uns aber nicht sicher sein. Ist das so?
Stürmer: Hundertprozentig sicher sein kann ich natürlich nicht. Das würde ich jetzt erst mal sagen, wenn ich wirklich die Daten sehe, dass diese Variante, die wir da haben, in der Form tatsächlich durch den Impfstoff auch unterbunden wird in ihrer Ausprägung. Aber letztendlich ist unser Immunsystem ja doch auch relativ breit aufgestellt.
Das heißt, es wird auf so einen Impfstoff nicht mit einem einzigen Antikörper gegen eine bestimmte Stelle reagieren, sondern wir gehen davon aus, dass das eine multiple, eine etwas größere Ausprägung der Immunantwort sein wird, und deswegen bin ich mir immer noch relativ sicher. Wenn Sie mich in Prozenten festnageln wollen, dann würde ich eine 99,und ein paar Zerquetschte oben draufgeben, dass der Impfstoff funktionieren wird.
Rückkehr zur Normalität "sehe ich nicht vor Herbst 2021"
Müller: Wenn wir schon bei den Zahlen sind, blicken wir nach vorne. Wenn Sie Perspektiven schon im Kopf haben beim Thema Hoffnung auf den Impfstoff, auf die Effektivität des Impfstoffes. Die Zahlen wiederum, wie viele Dosen letztendlich zur Verfügung stehen, vor allen Dingen, wie schnell sie zur Verfügung stehen, wie schnell das Ganze umgesetzt wird, das ist alles noch unklar. Aber mit Blick auf das kommende Jahr – wann rechnen Sie durch die Impfungen mit einer klaren Entspannung?
Stürmer: Das ist ein bisschen das berühmte Schauen in die Glaskugel. Es sind natürlich viele unbekannte Variablen. Sie haben ja ein paar schon angedeutet. Lieferengpässe beim Impfstoff-Produzenten, Verteilungsschwierigkeiten, Impfmüdigkeit oder Impfverweigerung durch die Bevölkerung und und und. Meine Hoffnung – und das ist, denke ich, ein realistisches Ziel -, dass wir Ende des Sommers nächsten Jahres doch den deutlichen Effekt sehen werden.
Ich sage immer, ohne jetzt ein genaues Zeitfenster festzulegen: Wenn wirklich der Impfstoff flächendeckend zur Verfügung steht, das heißt wenn Sie einfach zum Arzt gehen können wie jetzt bei der Grippe-Impfung und sagen, ich möchte mich gerne impfen lassen, und der Arzt sagt, alles klar, ich gebe Ihnen einen Termin und dann kommen Sie, wenn das wirklich flächendeckend verfügbar ist, dann, bin ich der Meinung, ist der Punkt gekommen, wo wir über Rückkehr zur Normalität reden können. Das sehe ich allerdings nicht vor Herbst 2021.
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