Archiv

Virologe zum Coronavirus
Geringe Sterblichkeit, überlastetes Gesundheitssystem

Bei einer Pandemie durch das Coronavirus wäre das deutsche Gesundheitssystem überlastet, sagte Christian Drosten, Virologe an der Berliner Charité. Wichtig sei darum, dass sich die Bevölkerung gut informiere, damit jedem klar sei, für welche Personen das Virus wirklich eine Gefahr darstellt.

Christian Drosten im Gespräch mit Silvia Engels |
Illustration des Coronavirus nCoV im Jahr 2019.
Das neue Coronavirus könnte sich auch in Deutschland ausbreiten - darum sollte man sich informieren, sagt Virologe Christian Drosten (imago images / ZUMA Press)
Weltweit steigt die offizielle Zahl derjenigen, die sich mit dem neuartigen Corona-Virus infiziert haben, auf rund 60.000 an. Allein in der besonders betroffenen chinesischen Provinz Hubei meldeten die Behörden an einem Tag über 14.000 Neuinfektionen. Die staatlichen Stellen begründeten das damit, dass die Diagnoseverfahren für das Virus, das nun den Namen COVID-19 trägt, verbessert seien. Die Zahl der an der neuen Lungenkrankheit Verstorbenen stieg auf 1360. Gestern ging ein Expertengipfel der Weltgesundheitsorganisation in Genf zu Ende.
In Deutschland gibt es bislang keine Pandemie durch das Coronavirus. Sie könnte aber früher oder später kommen. Ein Gespräch mit Christian Drosten, Direktor des Instituts für Virologie an der Berliner Charité, über mögliche Probleme für das deutsche Gesundheitssystem und wie die Bevölkerung dann reagieren sollte.
Konzeptionelle Darstellung einer Virusinfektion der Lunge mit einem Mers Coronavirus 
Lungenkrankheit Covid-19: Wie gefährlich ist das Coronavirus?
Die Zahl der mit dem Coronavirus Infizierten in China ist weiter angestiegen. Die Weltgesundheitsorganisation hat Ende Januar den "internationalen Gesundheitsnotstand" ausgerufen. In Deutschland wurden inzwischen über 16 Fälle von Infizierten bestätigt.
Silvia Engels: Wir hatten Sie vor knapp vier Wochen schon einmal hier in den "Informationen am Morgen" zu Gast. Damals war über das sich ausbreitende Virus nicht so viel bekannt. Was wissen Sie mittlerweile Neues in Sachen Gefährlichkeit und Ansteckungsgefahr?
Christian Drosten: Das Virus ist ja jetzt aus Wuhan herausgetragen worden und wir haben inzwischen doch einige Fälle außerhalb von China, und an denen sehen wir, dass das eintritt, was wir eigentlich schon gedacht haben, nämlich dass die Fallsterblichkeit deutlich geringer ist. Die liegt im Bereich von 0,1, 0,5 Prozent, kann man sagen. Wir haben hier ungefähr eine Fallsterblichkeit vor uns, wie man sie auch bei Grippe-Pandemien sieht.
"Wir müssen uns auf eine Pandemie einstellen"
Engels: Als wir damals im Gespräch waren, da war der weltweite Optimismus ja noch groß, die Ausbreitung dieser Krankheit eindämmen zu können. Nun sehen wir Infektionszahlen in der Provinz Hubei, die bei gut 48.000 liegen. Zusammen mit Restchina und weltweit sind wir möglicherweise bei rund 60.000 Infektionen. Sind Sie weiterhin zuversichtlich, oder werden wir eine weltweite Pandemie erleben?
Drosten: Ich denke, es gibt noch eine ganz kleine Restchance, dass man das Ganze eindämmen kann. Aber diese Chance wird immer geringer und im Prinzip müssen wir uns auf eine Pandemie einstellen, ja.
Engels: Das heißt, das ist ein Virus, das gekommen ist, um zu bleiben, was künftig in Wellen um die Welt geht?
Drosten: Das ist relativ schwer vorauszusagen, wie eine Pandemie verlaufen wird. Es gibt bestimmte epidemiologische Parameter, die wir noch nicht so genau kennen. Die Zahlen, die ich bis jetzt gehört habe, andeutungsweise, die lassen eigentlich vermuten, dass wir sicherlich gerade in dicht besiedelten Gebieten, in Ballungsräumen relativ bald eine Verbreitung dieses Virus sehen werden. Es kann aber durchaus sein, dass das nicht gleich eine große pandemische Welle ist, sondern dass wir dann vielleicht über die Sommermonate auch eine Pause einlegen und dann im Winter noch mal wieder damit zu tun haben. Aber wie gesagt, das sind alles reine Spekulationen.
Ich glaube, es ist wichtiger, dass man sich als Bürger jetzt langsam mal mit diesem Krankheitsbild auseinandersetzt und versteht, was das eigentlich bedeutet, was das eigentlich für eine Art von Krankheit ist.
"Man würde sich nicht gut gegen das Coronavirus schützen können"
Engels: Was würden Sie raten, wenn Sie diese Auseinandersetzung vom Bürger anmahnen?
Drosten: Na ja. Es gibt schon gute Medienquellen inzwischen. Es gibt größere Tageszeitungen, die doch längere Berichterstattung machen. Es sind sehr gute Stücke von Wissenschaftsjournalisten zu lesen in den Zeitungen. Ich würde einfach raten, jedem, der sich damit befasst, sich ein bisschen Zeit zu nehmen und auch zu lesen. Man kann so etwas nicht kurz zusammenfassen im Fernsehen oder jetzt auch hier in einem kurzen Radio-Interview. Wir haben es mit einer Erkältungskrankheit zu tun, die aber ihre Besonderheiten hat. Es ist so: Tatsächlich kommt es zu schweren Verläufen vor allem bei älteren Personen. Es ist eine leichte Überbetonung des männlichen Geschlechts dabei. Wir wissen, Kinder sind praktisch nicht betroffen von der Krankheit, können aber wohl infiziert werden. Wir wissen einiges inzwischen auch über die Ausscheidung des Virus. Es sieht so aus, als wäre es doch so übertragbar wie eine Erkältungskrankheit. Das Virus scheint, im Rachen zu replizieren, und das bedeutet, man würde sich, wenn das dann erst mal zirkulieren würde in Deutschland, nicht sehr gut dagegen schützen können, sondern es würde doch in der Öffentlichkeit, in öffentlichen Verkehrsmitteln beispielsweise übertragen werden von Personen, die nicht offensichtlich krank sind. Es ist wie bei einer normalen Erkältung: Man weiß nicht, wo man sich angesteckt hat.
"Eine Erkrankung, vor der man ältere Personen schützen muss"
Engels: Welche Schutzmaßnahmen würden Sie empfehlen?
Drosten: Schutzmaßnahmen für den Einzelnen sind relativ schwer zu empfehlen. Ich glaube, am Ende wird es so sein: Man muss dann wissen, ob das zirkuliert. Im Moment zirkuliert das natürlich gar nicht in Deutschland. Das kann sich aber in Wochen, in mehreren Wochen Frist ändern. Dann sollte man einfach wissen, ob das Virus zirkuliert, und dann muss man überlegen, ob man größere Veranstaltungen zum Beispiel nicht besucht. Solche Dinge muss man einbeziehen. Man muss sich aber auch ganz klar machen: Das ist jetzt für die meisten Mitglieder in der Bevölkerung gar nicht so eine bedrohliche Erkrankung. Es ist eine Erkrankung, vor der man zum Beispiel ältere Personen schützen muss, und da muss man sich dann überlegen, wie man das auch organisiert, in der Familie beispielsweise. Das ist alles kein Hokuspokus. Man sollte sich nicht hingeben, irgendwelche Verschwörungstheorien zu lesen in sozialen Medien oder sich einlassen auf Vorstellungen, die vielleicht aus Hollywood-Katastrophenfilmen kommen. So ist die Situation nicht. Wir haben hier eine Erkältungskrankheit, die auf uns zukommt, und es ist auch bei normalen Erkältungskrankheiten natürlich so, dass die in geringer Zahl schwere Verläufe verursachen können. Da macht man sich dann nicht solche Gedanken darüber, das ist eine Selbstverständlichkeit, eine Normalität. Aber jetzt wird es wahrscheinlich so sein, dass eine Infektionswelle kommt, und das wird über diese Gleichzeitigkeit viele Personen betreffen.
"Die Belastung liegt hier auf dem Gesundheitssystem"
Engels: Um es noch mal einzuordnen, Sie haben es schon angedeutet: In Deutschland gibt es bislang nicht viele Fälle, 16 bestätigte Fälle. Davon ist auch kein schwerer Verlauf bekannt. Das kann sich jetzt natürlich, sollte das Virus sich weiter so rasant verbreiten, ändern. Aber derzeit ist die Lage ja in der Tat noch recht kontrolliert.
Besucher gehen an einem leeren Stand mit der Aufschrift "China" auf der Fruit Logistica - Internationale Messe für Früchte- und Gemüsemarketing - vorbei. 
China und das Coronavirus: Mehr als ein Gesundheitsproblem
Das Coronavirus lähmt Chinas Wirtschaft. Währenddessen kursieren Videos im Internet, in denen Kritik an der medizinischen Versorgung geäußert wird. Das Misstrauen in der Bevölkerung gegenüber dem Regime wächst.
Blicken wir auf die Impfstoff-Forschung, denn wenn dieses Virus gekommen ist, um zu bleiben, wird das ja entscheidend sein, um es zu bekämpfen. Wir haben es eben im Beitrag gehört: Derzeit wird intensiv geforscht. 18 Monate werden als frühestmöglicher Zeitpunkt für die Entwicklung eines Impfstoffs genannt. Teilen Sie diese Ansicht?
Drosten: Ja, ich teile diese Ansicht. Ich würde sagen, die ist immer noch optimistisch. 18 Monate zu brauchen für einen zugelassenen Impfstoff – ja, kann ich mir vorstellen. Aber nach einer Zulassung kommt dann die Anwendung. Das heißt, dieser Impfstoff muss nicht nur produziert werden, sondern auch ausgeliefert und dann angewandt werden. Das heißt, irgendjemand muss auch die Bevölkerung dann impfen. Das muss alles mal organisiert werden und da sind wir beim eigentlichen Problem, und das ist dasselbe mit und ohne Impfstoff. Wir müssen uns vom Zeitverlauf hier auf eine Pandemie ohne Impfstoff einstellen, um es ganz klar zu sagen, und die Belastung liegt hier auf dem Gesundheitssystem. Das ist es, worüber wir uns jetzt Gedanken machen müssen und worüber wir jetzt vielleicht noch eine ganz kleine Chance haben, Vorbereitungen zu treffen. Wir haben zwei ganz große Schwachpunkte im Gesundheitssystem. Das eine ist die öffentliche Gesundheit. Die Gesundheitsämter sind schlecht ausgestattet in ganz Deutschland. Die haben wenig Personal. Die müssen aber das Meldewesen organisieren, denn diese Gesundheitsversorgung ist ja Ländersache und das kommt in den Kommunen am Ende an als Belastung. Das andere, was ich für ein genauso großes oder eigentlich noch größeres Problem halte, das sind die Krankenhäuser. Wir haben in Deutschland ein äußerst kostenoptimiertes Gesundheitssystem. Die letzte Pandemie, die sogenannte Schweinegrippe damals, die ist jetzt über zehn Jahre her, und alleine in den vergangenen zehn Jahren wurden so viele Reserven aus dem Gesundheitssystem herausgespart, die uns jetzt fehlen werden in einer Pandemie. In einer Pandemie braucht das ganze Gesundheitssystem seine Reserven, um den Anstrom von Patienten zu organisieren. Und wie gesagt: Ich möchte da nicht sagen, von Schwerkranken, sondern einfach von Personen, die dann beispielsweise in Wartebereichen in Kliniken sitzen, weil sie getestet werden müssen, weil sie nicht wissen, ist es jetzt dieses Virus, oder ist es ein anderes Erkältungsvirus. Diese Patientenflut muss bewältigt werden.
Dann ist es natürlich so, dass Sie auch schwere Verläufe haben. Wenn Sie sehr viele Fälle haben, dann haben Sie auch ein paar schwere, und diese Personen müssen auf Intensivstationen behandelt werden und auf Intensivstationen sind die Betten immer knapp. Da brauchen wir normalerweise die Betten für Operationspatienten oder Patienten mit anderen schweren Erkrankungen.
Engels: Sie haben die Schwierigkeiten, die auf das deutsche Gesundheitssystem zukommen könnten, beschrieben, wenn diese Krankheit zur grassierenden Krankheit werden sollte. Heute beraten ja auch die EU-Gesundheitsminister über ein gemeinsames Vorgehen. Was mahnen Sie denn auf dieser Ebene als erstes an?
Drosten: Politische Koordination ist sicherlich ganz wichtig. Unter dieselbe Überschrift fällt im Prinzip auch das, was jetzt gerade in Genf passiert ist. Natürlich müssen alle an einem Strang ziehen und natürlich ist die Herausforderung in allen Ländern die gleiche. Wir müssen aber, glaube ich, den Blick auf Deutschland lenken und schauen, was wir machen können, um das deutsche Gesundheitssystem vorzubereiten, denn es wird uns wenig nützen, beispielsweise jetzt nach Frankreich oder England zu schauen. Die haben dort einfach dieselben Probleme.
Drosten: Bei Erkältung einfach zu Hause bleiben
Engels: Die haben dieselben Probleme. – Das was jetzt kommen muss, nämlich sehr viel mehr Geld, sehr viel mehr auch Man Power und Woman Power, um die Krankenhäuser aufzustocken, mahnen Sie auch an. Kann das so schnell geschehen?
Drosten: Es ist relativ schwierig. Ich glaube, das erfordert unbedingt die Koordination und Auseinandersetzung mit der Bevölkerung. Das Medizinsystem kann jetzt nicht schnell so viele neue Krankenpflegekräfte oder Ärzte einstellen. Auch Gesundheitsämter werden nicht so schnell jetzt ganz viele neue Amtsärzte finden. Die müssen erst mal ausgebildet werden. Das heißt, es ist hier ganz besonders wichtig, dass die Bevölkerung sich jetzt über diese Erkrankung informiert und zu einer gemeinsamen besonnenen Umgangsweise beiträgt. Dazu gehört in allererster Linie aufzuhören, was man jetzt manchmal in den Medien schon hört, irgendwem hier Vorwürfe zu machen. Gerade auch der Politik ist hier kein Vorwurf zu machen. Das führt alles überhaupt nicht weiter. Was die Normalbevölkerung tun sollte ist, sich mit dieser Erkrankung in sinnvoller Weise beschäftigen, und das bedeutet, gerade Beiträge in seriösen Medien zu lesen und gerne auch noch ein zweites Mal zu lesen, um wirklich zu verstehen, dass es hier nicht jetzt um ein Weltuntergangsszenario geht, wohl aber um eine Belastung eines Gesundheitssystems, wo man sich als Patient auch in jedem Fall immer fragen muss, muss ich das mit belasten, oder kann ich auf andere Weise beitragen. Beispielsweise stellen wir uns vor, es gäbe eine Infektionswelle, dass man sagt, wahrscheinlich habe ich die Erkrankung, ich bleibe jetzt diese Woche zuhause.
Achim Kessler (Die Linke) spricht bei einer Sitzung des Deutschen Bundestages.
Linkenpolitiker kritisiert Gesundheitssystem
Der Gesundheitspolitiker der Linksfraktion, Achim Kessler, fordert die Privatisierung der Krankenhäuser rückgängig zu machen. Dort rechne es sich derzeit nicht, die entsprechenden Vorhaltungen für Pandemien zu treffen, sagte er im Dlf.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.