Die Sommerferien rücken näher und noch immer rätseln viele Menschen darüber, ob und wohin sie in Zeiten der Corona-Pandemie in Urlaub fahren sollen. Jetzt hat die Bundesregierung bekannt gegeben, dass die weltweite Reisewarnung des Auswärtigen Amts Mitte Juni aufgehoben werden soll.
29 Staaten dürfen dann wieder bereist werden. Darunter beliebte Urlaubsziele der Deutschen wie Italien, Spanien und Griechenland. Der Virologe Jonas Schmidt-Chanasit begrüßt die Aufheben zwar, rät aber trotzdem zur Vorsicht.
Das Interview in voller Länge:
Silvia Engels: Für 29 europäische Staaten – wir haben es gehört – soll ab Mitte Juni die Reisewarnung nicht mehr gelten. Kommt das aus Ihrer virologischen Sicht zu früh?
Jonas Schmidt-Chanasit: Nein, das kann man so pauschal nicht sagen. Es ist ja auch ganz klar mitgeteilt worden, auch durch den Minister eben, dass man sich, glaube ich, sehr gut beraten lassen sollte, in welche Länder man fährt und wie die aktuelle Situation vor Ort ist. Das kann man einmal auch über die Seiten des Auswärtigen Amts. Dort werden die Informationen ja immer aktualisiert. Aber ich lege auch jedem ans Herz, unbedingt eine reisemedizinische Beratung in Anspruch zu nehmen - sogar, wenn man innerhalb Europas verreist. Gerade jetzt in dieser Corona-Situation ist das sinnvoller denn je.
Engels: Reisemedizinische Beratung – wo bekomme ich die? Was muss ich mir darunter vorstellen?
Schmidt-Chanasit: Die kann ich beim Hausarzt bekommen. Die kann ich aber auch beim Spezialisten bekommen, der sich auf diese Beratung spezialisiert hat. Da gibt es richtige Zentren. Dort werden die aktuellen Impfempfehlungen noch mal angeschaut, der Impfpass kontrolliert - auch ganz wichtig gerade in Zeiten von Corona. Dort wird zum Beispiel geschaut, habe ich eine Keuchhusten-Impfung, habe ich eine Pneumokokken-Impfung, alles was jetzt auch eine Rolle spielt. Und dann schaut man ganz genau, wie ist die Situation in dem Land, in das ich gerne reisen würde, in die Region. Wir sehen dort sehr starke Unterschiede, das muss man auch noch mal betonen. Italien ist ja nicht gleich Italien.
Wir haben in Norditalien große Probleme gehabt in der Vergangenheit. In Süditalien, Mittelitalien war das nie problematisch in dem Ausmaß, wie wir das in Norditalien gesehen haben. Genau auf solche reisespezifischen Situationen muss man eingehen, und es kann dann natürlich genau so eine Situation geben, dass wir in Deutschland ein viel stärkeres Infektionsgeschehen haben als in einem Reiseland. Insofern ist das jetzt auch in Ordnung, dass diese Reisewarnungen gefallen sind.
"Es ist das Beste, in Deutschland zu verreisen"
Engels: Jetzt haben wir ja gelernt, Infektionszahlen bilden immer nur einen früheren Stand des Infektionsgeschehens ab. Wie aktuell lässt sich denn überhaupt anhand der jetzt vorliegenden Daten ermitteln, wie das Virusgeschehen sein wird, wenn ich dort in andere Länder hinreisen will?
Schmidt-Chanasit: Dort gibt es natürlich immer eine Meldeverzögerung. Das hängt auch von den Ländern ab, wie schnell und gut dort getestet wird und wie schnell diese Ergebnisse auch mitgeteilt werden. Da gibt es leider auch keine pauschale Einschätzung. Manche Länder machen das besser und schneller und andere weniger schnell und gut. Insofern kann ich da nur noch mal darauf hinweisen, das jeweils immer mit dem Arzt zu besprechen.
Die Daten, die dann vorliegen, die werden auch immer verbessert und immer schneller verfügbar. Die sind dann auch nur verfügbar. Ein Restrisiko bleibt, das muss jedem klar sein. Und wenn man mal Corona vergessen will – und ich glaube, das haben viele jetzt auch nötig, nicht ständig daran erinnert zu werden -, dann kann man nur sagen, es ist wirklich das Beste, in Deutschland zu verreisen und dann möglichst natürlich auch in Gebiete zu verreisen, wo jetzt keine Städte sind, wo man nicht letztendlich ständig an den Umgang mit Corona erinnert wird, öffentliche Verkehrsmittel, Bahn, Zug oder Restaurants, sondern der Spaziergang im Wald. Da kann man dann wirklich mal abschalten und Corona vergessen.
"Natürlich liegt in dem Reiseverkehr ein Risiko"
Engels: Sie haben es schon angesprochen. Derzeit haben wir ja sowohl regional hierzulande sehr unterschiedlich hohe Infektionszahlen. Das gilt auch international. Sie haben es angesprochen: Süditalien deutlich weniger als im Norden, in Madrid mehr Infektionszahlen als auf einigen spanischen Inseln. Nehmen wir an, die Reisen in Europa nehmen im Sommer deutlich zu, sind dann die jetzt noch gering infizierten Regionen aber die künftigen Hotspots?
Schmidt-Chanasit: Kann man leider so pauschal auch nicht sagen. Natürlich liegt in dem Reiseverkehr ein Risiko. Insofern ist es hier ganz entscheidend, das Heft des Handelns nicht aus der Hand zu geben, den Überblick zu behalten, und das kann man mit den technischen Möglichkeiten, die wir eigentlich in Europa haben, und gerade in Deutschland. Das heißt, hier könnte man sich vorstellen, dass gerade auch Reisende, die nach Deutschland kommen, erst mal informiert werden, dass die Möglichkeit besteht, sich auch kostenlos testen zu lassen, dass sie sich melden, wenn sie krank werden.
Das sind alles Maßnahmen, die meines Erachtens wichtig sind, um dieses Heft des Handelns nicht aus der Hand zu geben. Gerade wenn der Reiseverkehr, der innereuropäische Reiseverkehr sich beschleunigt, wir auch viele Touristen aus anderen Ländern bei uns begrüßen dürfen, ist es ganz wichtig, dass sie diese technischen Möglichkeiten voll ausnutzen.
"Eine Rückreise ist dann nur sehr eingeschränkt möglich"
Engels: Schauen wir noch einmal speziell auf Spanien, denn dort sind die Infektionszahlen teilweise noch hoch. Die Regierung wird erst am 1. Juli überhaupt die Grenzen für ausländische Touristen öffnen. Ist es aus virologischer Sicht vielleicht doch besser, Spanien in diesem Jahr zu meiden?
Schmidt-Chanasit: Momentan kann man das genau nicht empfehlen – schon aufgrund der sehr strengen Regelungen -, und ich muss auch immer noch mal die Reisenden (und das passiert ja genau in der reisemedizinischen Beratung) darauf hinweisen: Sollten Sie in diesen Ländern erkranken, ist es zum Teil relativ schwer, eine Ausreise zu ermöglichen, gerade wenn Sie positiv getestet sind. Das heißt, Sie müssen sich damit auseinandersetzen, dass Sie dann in dem Land auch behandelt werden, wenn es ein schwerer Verlauf ist. Das muss jedem klar sein. Es ist dann eine Rückreise nach Deutschland nur sehr eingeschränkt oder gar nicht möglich, und genau mit diesen Sachen muss man sich jetzt auseinandersetzen. Was passiert, wenn ich vor Ort erkranke? – Das mache ich normalerweise auch außerhalb von Corona-Zeiten. Da muss ich mir auch überlegen, was passiert, wenn ich einen Motorrad-Unfall habe, wo lasse ich mich gerne behandeln, wie sind die Möglichkeiten der Behandlung vor Ort, und das ist jetzt wichtiger denn je.
"Abgelegene Regionen, wo man nicht so viele Menschen trifft"
Engels: Das heißt, aus Ihrer Sicht sollte man nur in Länder mit einem sehr guten Gesundheitssystem fahren? Viele Regionen außerhalb Europas scheiden dann aus?
Schmidt-Chanasit: Das muss man von Fall zu Fall auch unterscheiden. Leider ist dort auch eine pauschale Aussage nicht möglich. Wir haben auch in Spanien zum Teil sehr, sehr gute Behandlungsmöglichkeiten. Wie gesagt: Ich kann nur noch mal darauf hinweisen, das mit dem Arzt zu besprechen, sich ein Konzept zu überlegen, wenn man gerne in dieses Land fahren will. Ich denke, bestimmte Sachen lassen sich umsetzen, ohne jetzt ein sehr großes Risiko dabei einzugehen. Aber ich kann auch nur noch mal sagen: Wer Corona vergessen will – ich glaube, das ist am besten hier in Deutschland, wenn man in eher abgelegene Regionen fährt, wo man auch nicht so viele Menschen trifft.
Engels: Falls aber doch in diesem Sommer mehr gereist wird, werden wir dann am Ende des Sommers in den genannten europäischen Staaten ähnliche Infektionsraten haben – seien sie hoch oder niedrig -, weil dann einfach die Durchmischung und möglicherweise auch eine gewachsene Immunität dafür sorgt?
Schmidt-Chanasit: Ja, das könnte ein reelles Risiko sein. Das sehe ich auch so. Insofern kann ich nur noch mal betonen, dass es jetzt umso wichtiger ist, die technischen Möglichkeiten, die wir haben, bei der Testung, bei der Fallverfolgung, zu stärken, weiter hochzufahren und das intensiv einzusetzen, um genau diese Weiterverbreitung des Erregers, die unkontrollierte Weiterverbreitung möglichst einzudämmen und zu verhindern.
"Die Fallzahlen sind nach wie vor niedrig"
Engels: Dann schauen wir am Ende noch mal ganz kurz auf die Lage in Deutschland. Zuletzt meldete ja das Robert-Koch-Institut leicht steigende Infektionszahlen. Dazu beobachten wir lokale Ausbrüche wie etwa in Göttingen, aber auch in einem Paketzentrum in Duisburg. Wie schätzen Sie die Infektionslage hier derzeit ein?
Schmidt-Chanasit: Ja, die Fallzahlen sind nach wie vor niedrig. Das ist sehr gut. Wir haben hier keinen starken Anstieg gesehen, jetzt auch in einem gewissen zeitlichen Abstand zu Beginn der Lockerungen. Ich hoffe, dass das so bleibt, dass wir wahrscheinlich ein Szenario haben, dass wir diese Ausbrüche auch weiter sehen werden, diese regionalen Ausbrüche, und dass dann sehr schnell reagiert werden muss, so wie in Göttingen auch, umfangreich reagiert wird, aber dass dadurch andere Regionen in Deutschland erst mal nicht in Mitleidenschaft gezogen werden, was die Maßnahmen betrifft. Insofern hoffe ich, dass sich das so in den Griff halten lässt – unter Berücksichtigung der erlernten Hygieneregeln und Maßnahmen – und dass wir so jetzt durch die nächsten Monate kommen werden. Das wäre natürlich ein sehr gutes, wünschenswertes Szenario.
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