Gut möglich, dass man schon sehr bald in der Zukunft ausgelacht wird, wenn man eine dieser überdimensioniert und klobig groß wirkenden schwarzen Brillen trägt, die manche "Zensurbalken" nennen und die als Interface dienen, um die virtuelle Realität zu betreten.
"Spaß, Entertainment, Arbeitswelt - das kann man alles kombinieren"
Wenn man - wie in Platons Höhlengleichnis - nicht mehr weiß, was real ist, was Schatten und Illusion, dann sind das Gedanken, die mit der Weiterentwicklung der Virtual Reality an Bedeutung gewinnen werden. Alain Bieber, Leiter des NRW-Forums in Düsseldorf, hat im Sommer dieses Jahres das Experiment gewagt, eine Kunstausstellung zu machen, die man nur mithilfe einer VR-Brille sehen kann. Das klingt frech, praktisch und effizient. Künstler müssten keine Farben mehr kaufen, es bräuchte keinen Ausstellungsraum, kein Wachpersonal, wenn man so eine "künstliche Kunst" hätte. Oder fehlt einem da dann etwas? Alain Bieber beschreibt es eher euphorisch:
"Wenn man sich jetzt anschaut, was die Möglichkeiten sind - in den letzten Jahren hat sich das so was von beschleunigt. Jetzt hat man wirklich 360 Grad-Umgebungen, in denen man sich bewegen kann. Sie können aus dem Fenster rausschauen in den Park und es hat so eine tolle Detailtiefe, dass dieses immersive Gefühl halt extrem stark ist."
Für die Ausstellung "Unreal" wurde das NRW-Forum gescannt und digital nachgebaut. Im digitalen Parcours öffneten sich dann Kojen und immer neue Räume, auch schon einmal entgegen den Naturgesetzen. Da konnte man unter Wasser schwimmen, als habe man Kiemen. Oder durch Programmiertext hindurch laufen - philosophisch schön abgründig - weil diese Kunstwelt ja aus Programmiertext besteht, rein materiell gesehen. Und dieser Gaumenkitzel für die Sinne, mal abtauchen zu können und allmächtig zu sein, das ist ja wohl auch der Grund, warum Virtual Reality-Technologie derzeit boomt. Alain Bieber sagt:
"Also ich glaube, dass natürlich diese zwei Ebenen sich immer mehr überlappen. Es ist ja auch so, dass es viele Theoretiker gibt, die sagen, dass wir in Zukunft auch im virtuellen Raum arbeiten werden. In jeder Wohnung gibt es einen VR-Raum, da setzt man sich rein und geht dann morgens zur Arbeit. Und so, wie man dann morgens zur Arbeit geht, kann man auch da in ein Museum gehen. Spaß, Entertainment, Arbeitswelt - das kann man alles kombinieren."
"Was mich interessiert ist, diese Oberflächen zu hinterfragen"
Arbeiten, nur so zum Spaß. Schöne neue Arbeitswelt 4.0! Aber ist auch all das Kunst, was so vielversprechend schillert und blubbert? "Klares Jein!", meint die Medienwissenschaftlerin Inke Arns vom Hartware Medienkunstverein in Dortmund.
"Was Virtual Reality macht oder was das Neue an Virtual Reality ist, ist mir selber gar nicht so ganz klar. Man kann durch diese Brillen, die immer so ein bisschen aussehen, als hätte man einen Balken vor Augen, natürlich in andere Räume eintauchen - Stichwort 'Immersion' - und es umgibt einen so ganz; das bedeutet ja der Begriff Immersion. Aber auch Immersion hat es natürlich ohne Virtual Reality schon lange gegeben. Es geht überhaupt nicht um die Technik oder die Technologie. Es geht darum, ob in unterschiedlichen Kontexten spannende Kunst entsteht."
Für Inke Arns ist Kunst, die die Welt dekorativ und effektvoll bunter macht als sie ist Kitsch; und keine Alternative zum weiterhin geltenden Kunstbegriff: Kunst befragt die Welt und bricht sich an ihr. Spiegelbild für den modernen Menschen, als den wir uns immer noch begreifen.
"Wir bewegen uns ja heutzutage schon in virtuellen Räumen oder virtualisierten Räumen. Diese Immersion findet über unsere Handys statt, alle Geräte, mit denen wir uns umgeben. Aber vieles an dieser Virtual Reality-Kunst feiert nach wie vor die Oberfläche. Was mich interessiert ist, diese Oberflächen zu hinterfragen. Das ist die Aufgabe der Künstler, zu realisieren: Das sind Oberflächen, die sind programmiert und die sind zu bestimmten Zwecken programmiert."
Osmose zwischen echter und virtueller Welt
Das Narrativ dazu ist recht universal: Big Brother, Timekeeper, Terminator, Watchmen und andere Metaphern für die böse Seite der Macht lauern einem auf, sobald man einen Fuß auf den virtuellen Parkettboden setzt.
Dennoch und trotzdem: Es gibt auch die besonderen, weil innovativen künstlerischen VR-Momente. Inke Arns zum Beispiel hat es sehr beeindruckt, wie man sich voran navigiert in dem Multi-Genre-Werk "Osmosis" von der kanadischen Künstlerin Char Davies. Der Clou ist hier gerade das Technische, die Oberfläche. Wieder schwimmt man unter Wasser. Aber nach oben und unten geht es nicht durch Maus- oder Tastatur-Steuerung, sondern indem man ein- und ausatmet. Umso direkter und physischer taucht man ein. Osmose zwischen echter und virtueller Welt. Technologie wie diese verweist auf die nahe Zukunft, wenn es keine unbeholfen und nach digitaler Steinzeit aussehenden Balken-Brillen mehr braucht, sondern Kontaktlinsen als Schnittstelle - oder einfach nur das Ein- und Ausatmen. Schön ruhig bitte, angesichts dessen, was die Zukunft bringt.