"Ich hab da ein technisches Problem..." - "...du musst die Leiste da anklicken, dann klappt es.... "
Technisches Einpegeln zwischen Berlin und Jerusalem, bevor die virtuelle Reise beginnt. Die Macher von Alsharq-Reisen setzen auf stabiles Internet, damit es wenigstens noch ein bißchen klingelt in der Reise-Kasse diesen Sommer. "Wenn wir uns die Fakten anschauen: Jerusalem hat keine echte, relevante strategische Lage als Stadt im Osten..."
Pixelige Konturen der Altstadt von Jerusalem
Tobias Pietsch sitzt auf dem Balkon des Willy Brandt Centers. Hinter seinem Kopf pixeln mal schärfer, mal weniger scharf die Konturen der Altstadt von Jerusalem. Ein Dutzend Teilnehmer sind auf dem Bildschirm zugeschaltet. Der Eine oder Andere macht sich Notizen auf der PC-Tastatur, die man im Hintergrund hört.
"Die letzten 60 Kilometer nach Jerusalem hat Napoleon als einziger Herrscher in der Geschichte nicht zurückgelegt, weil er der Einzige war, dem völlig klar war, dass Jerusalem militärisch und strategisch überhaupt keine Rolle spielt."
Das Willy Brandt Center, an dem Pietsch arbeitet, liegt im ehemaligen Niemandsland zwischen palästinensischen und israelischen Gebieten. Stoff für so manche Anekdote:
"Gegenüber ist das französische Hospiz. Genau zwischen dem Hospiz und der Altstadtmauer ist Niemandsland gewesen. Auf einem 20 Meter breiten Korridor. Das französische Hospiz wird von französischen Nonnen unter anderem betrieben. Und einer dieser Nonnen ist vom Balkon des Hospizes ihr Gebiß ins Niemandsland gefallen. Und lag dann dort zwischen Unrat und Stacheldraht. Das war eine der skurrilsten UN-Missionen wahrscheinlich. Die Vereinten Nationen sind hier mit zahlreichen Missionen vertreten. Und es gibt zahlreiche Berichte darüber, wie Vertreter der UN, der israelischen Armee und der jordanischen Armee gemeinsam zwischen Unrat und Stacheldraht unterwegs sind, um dieses Gebiss zu suchen. Und am Ende des Tages steht die Nonne - mit dem Gebiß posierend - zwischen allen Beteiligten. Das ist die absurde Geschichte dieser 19 Jahre politischer Teilung in Jerusalem."
"Die letzten 60 Kilometer nach Jerusalem hat Napoleon als einziger Herrscher in der Geschichte nicht zurückgelegt, weil er der Einzige war, dem völlig klar war, dass Jerusalem militärisch und strategisch überhaupt keine Rolle spielt."
Das Willy Brandt Center, an dem Pietsch arbeitet, liegt im ehemaligen Niemandsland zwischen palästinensischen und israelischen Gebieten. Stoff für so manche Anekdote:
"Gegenüber ist das französische Hospiz. Genau zwischen dem Hospiz und der Altstadtmauer ist Niemandsland gewesen. Auf einem 20 Meter breiten Korridor. Das französische Hospiz wird von französischen Nonnen unter anderem betrieben. Und einer dieser Nonnen ist vom Balkon des Hospizes ihr Gebiß ins Niemandsland gefallen. Und lag dann dort zwischen Unrat und Stacheldraht. Das war eine der skurrilsten UN-Missionen wahrscheinlich. Die Vereinten Nationen sind hier mit zahlreichen Missionen vertreten. Und es gibt zahlreiche Berichte darüber, wie Vertreter der UN, der israelischen Armee und der jordanischen Armee gemeinsam zwischen Unrat und Stacheldraht unterwegs sind, um dieses Gebiss zu suchen. Und am Ende des Tages steht die Nonne - mit dem Gebiß posierend - zwischen allen Beteiligten. Das ist die absurde Geschichte dieser 19 Jahre politischer Teilung in Jerusalem."
Der Sprecher wechselt, Katharina ist jetzt da
Statt klimatisiertem Bus und der Fahrt in den Norden Israels in der realen Reise wechselt am Bildschirm nur der Sprecher. Katharina Konarek ist jetzt da, eine junge, muntere Dozentin für Deutschland- und Europa-Studien in Haifa.
"Wie ihr seht: Ich habe keinen so tollen Balkon wie Tobias in Jerusalem. Deshalb hab ich mir gedacht, ich geh mit euch raus. Ich stehe jetzt im Herzen von Haifa. Für die, die schon mal da waren, sehen es im Hingergrund... Ihr seht so eine kleine, goldene Kuppel. Das heisst, ich stehe in der Mitte der Bahai-Gärten. Und man hat von hier einen wunderbaren Blick. Einmal um die ganze Bucht von Haifa. Und ganz am Ende des Bildes, das sind die Trabanten-Städte von Haifa. In meinem Viertel wohnen Palästinenser, Israelis, auch die russische zugewanderte Gemeinschaft. Aber jeder hat dort seine eigenen Cafés, in die er geht. Das heisst: Man sieht sich vielleicht auf der Strasse, aber man sitzt nicht an den gleichen Plätzen."
Bekannt ist Haifa für die Gärten der Bahai. Eine Minderheit, die eine ambivalente Existenz in Israel führt.
"Die Bahai haben hier ihren Schrein, weil sie hier einen ihrer letzten grossen Religionsgelehrte beerdigt haben. Sie haben offiziell Land erworben vom Staat Israel. Und sie dürfen auch offiziell hier sein als Religionsgruppe, mit der Auflage, nicht zu missionieren. Das heisst: zur normalen lokalen Bevölkerung haben sie eigentlich relativ wenig Kontakt, weil sie auch dieses Missionierungsgebot befolgen. Und es kommen Bahais aus der ganzen Welt hierher, und freiwillig, um die Gärten zu pflegen. Für die Stadt selber spielen sie eine wichtige Rolle, weil sie ein Tourismus-Magnet sind."
Die Bahai-Gärten sind unter normalen Umständen Pflicht. Aber was ist in diesen Tagen normal? Auch für Katharina ist Corona in Haifa großes Thema dieser Tage.
"Wie ihr seht: Ich habe keinen so tollen Balkon wie Tobias in Jerusalem. Deshalb hab ich mir gedacht, ich geh mit euch raus. Ich stehe jetzt im Herzen von Haifa. Für die, die schon mal da waren, sehen es im Hingergrund... Ihr seht so eine kleine, goldene Kuppel. Das heisst, ich stehe in der Mitte der Bahai-Gärten. Und man hat von hier einen wunderbaren Blick. Einmal um die ganze Bucht von Haifa. Und ganz am Ende des Bildes, das sind die Trabanten-Städte von Haifa. In meinem Viertel wohnen Palästinenser, Israelis, auch die russische zugewanderte Gemeinschaft. Aber jeder hat dort seine eigenen Cafés, in die er geht. Das heisst: Man sieht sich vielleicht auf der Strasse, aber man sitzt nicht an den gleichen Plätzen."
Bekannt ist Haifa für die Gärten der Bahai. Eine Minderheit, die eine ambivalente Existenz in Israel führt.
"Die Bahai haben hier ihren Schrein, weil sie hier einen ihrer letzten grossen Religionsgelehrte beerdigt haben. Sie haben offiziell Land erworben vom Staat Israel. Und sie dürfen auch offiziell hier sein als Religionsgruppe, mit der Auflage, nicht zu missionieren. Das heisst: zur normalen lokalen Bevölkerung haben sie eigentlich relativ wenig Kontakt, weil sie auch dieses Missionierungsgebot befolgen. Und es kommen Bahais aus der ganzen Welt hierher, und freiwillig, um die Gärten zu pflegen. Für die Stadt selber spielen sie eine wichtige Rolle, weil sie ein Tourismus-Magnet sind."
Die Bahai-Gärten sind unter normalen Umständen Pflicht. Aber was ist in diesen Tagen normal? Auch für Katharina ist Corona in Haifa großes Thema dieser Tage.
"Wir sind seit dem 15. März komplett geschlossen. Ich darf nur noch mit Sondergenehmigung an die Uni. Dann wird mir Fieber gemessen. Für die Studenten ist es ein Stück weit tragisch. Weil der 15.März – das war zwei Wochen nach Semesterbeginn - da waren viele unserer 4.000 ausländischen Studenten noch zuhause. Und man hat gesagt: Ok, ihr könnt noch rein. Ihr müsst aber nachweisen, dass ihr eine Möglichkeit habt, in Quarantäne zu gehen. Und die Quarantäne darf nicht im Studentenwohnheim sein. Ihr müsst euch ausserhalb des Wohnheims einmieten für 14 Tage. Und nur dann dürft ihr wieder einreisen. Da gab es sehr viel Diskriminierung deshalb, Studenten aus Italien oder Deutschland, die versucht haben, eine Wohnung zur Zwischenmiete zu finden. Wo dann klar gesagt wurde, 'Du kommst aus Italien. Du kommst hier bestimmt nicht mehr rein'."
Fragen ploppen im Chat-Fenster auf
Katharina Konarek hält tapfer ihr Smartphone in die Frühlings-Sonne. Mittlerweile haben einige im Chat-Fenster Fragen gestellt, etwa zur Bedeutung Haifas für die Region.
"Die Stadt war halt immer schon im Austausch mit Beirut oder mit Damaskus. Und es gab eine Bahnverbindung von hier nach Beirut. Das ist einfach alles nochmal viel näher als Jeruslaem oder Tel Aviv."
Dann folgt Osama Tanous auf dem Bildschirm. Palästinensischer Arzt in Haifa. Erzählt vom Öl, das die britische Kolonialmacht über Pipelines aus dem Irak nach Haifa leitete. Vom Getreide aus Syrien, das von Haifa aus verschifft wurde. Über boomende Mittelschicht und Nachtleben. Bis zum 2.Weltkrieg und der Naqba. Der Katastrophe, 1948, für die Palästinenser.
"Meine Eltern sind eine traumatisierte Generation. Und deshalb ständig vorsichtig, wenn sie in der Öffentlichkeit über Politik reden. Aber mit der Zeit hat sich das geändert. Nach der Intifada wurden wir selbstbewußter. Stückweise haben sich die Jüngeren dazu bekannt, Palästinenser zu sein, ihre Identität zu zeigen. Auch über soziale Medien. Jetzt ist das Mainstream geworden."
Dann folgt Osama Tanous auf dem Bildschirm. Palästinensischer Arzt in Haifa. Erzählt vom Öl, das die britische Kolonialmacht über Pipelines aus dem Irak nach Haifa leitete. Vom Getreide aus Syrien, das von Haifa aus verschifft wurde. Über boomende Mittelschicht und Nachtleben. Bis zum 2.Weltkrieg und der Naqba. Der Katastrophe, 1948, für die Palästinenser.
"Meine Eltern sind eine traumatisierte Generation. Und deshalb ständig vorsichtig, wenn sie in der Öffentlichkeit über Politik reden. Aber mit der Zeit hat sich das geändert. Nach der Intifada wurden wir selbstbewußter. Stückweise haben sich die Jüngeren dazu bekannt, Palästinenser zu sein, ihre Identität zu zeigen. Auch über soziale Medien. Jetzt ist das Mainstream geworden."
Noam Yatsiv ist Musiker und Touristenführer in Haifa, er mit jüdischen Wurzeln.
"Meine Frau ist Deutsche. Deutsch-Deutsche, keine jüdische Deutsche. Deswegen kann ein wenig Deutsch verstehen. Ich habe ein paar Deutsch-Kurse gemacht. Sie können auf Deutsch fragen. Aber ich bin sehr langsam auf Deutsch."
Haifa war auch das Zuhause deutscher Siedler, anfangs.
"Mit den Deutschen kamen die Dampfmaschinen ins Land, und Pasteurisierung von Milch. Es waren viele Architekten aus Deutschland darunter, Ingenieure auch. Dann kam der zweite Weltkrieg. Einige der deutschen Immigranten waren Mitglieder der Nazi-Partei von Palästina. Und so endet ihre Geschichte im 2. Weltkrieg hier..."
"Ich bin auch Musik-Lehrer. Studiert habe ich Komponieren und Dirigieren. Ich schreibe Arrangements für meine Schüler und für mein Jazz-Trio. Und wir starten in Kürze mit klassischer arabischer Musik. Da arbeite ich auch mit palästinensischen Musikern dann."
"Mit den Deutschen kamen die Dampfmaschinen ins Land, und Pasteurisierung von Milch. Es waren viele Architekten aus Deutschland darunter, Ingenieure auch. Dann kam der zweite Weltkrieg. Einige der deutschen Immigranten waren Mitglieder der Nazi-Partei von Palästina. Und so endet ihre Geschichte im 2. Weltkrieg hier..."
"Ich bin auch Musik-Lehrer. Studiert habe ich Komponieren und Dirigieren. Ich schreibe Arrangements für meine Schüler und für mein Jazz-Trio. Und wir starten in Kürze mit klassischer arabischer Musik. Da arbeite ich auch mit palästinensischen Musikern dann."
90 Minuten Mittagspause
Mittagspause. Die Kopfhörer sind ausgestöpselt, 90 Minuten lang. Dann Teil zwei des ersten Tages; Netz-Verbindung in den Gaza-Streifen. Zu Roni Keidar zunächst, einer Friedensaktivistin auf der israelischen Seite des Grenzzauns:
"Falls es jetzt einen Alarm gibt jetzt, muss ich das Gespräch beenden. Dann hab ich 15 Sekunden um in den Bunker meines Hauses zu kommen. Da hört man Einschläge. Die Raketen sind immer relativ unpräzise, zum Glück. Aber es sind viele. Man weiss nie."
Dann aus Gaza selbst, die Stimme von Mohammad über sein Smartphone, der für Ärzte ohne Grenzen vor Ort ist.
"Was haben wir an Krankenhäusern hier? Nichts. Wir haben nichts, aber wir versuchen immer wieder, etwas zu machen aus dem Nichts hier. Wir probieren es zumindest. Aber wir sind nicht frei. Wir leben unter einer Besatzung."
Die Musik bringt uns ans Ziel des zweiten virtuellen Reisetages, zu den Golanhöhen. Bis zum Sechstage-Krieg syrisches Territorium, seit 1981 von Israel annektiert. Sheefa Abu Jabal ist hier gross geworden und Fan der Musik von Toot Ard.
"Die Band ist so beliebt, weil sie als eine von wenigen im typischen arabischen Akzent der Golan-Höhen singt. Aber bis auf einen sind alle Musiker inzwischen im Ausland mittlerweile."
Sheefa Abu Jabal ist, wie viele der Bewohner von den Golanhöhen, gebürtige Drusin. Sie studiert in Haifa und kommt regelmäßig ihre Eltern besuchen.
"Einige Drusen sehen es als Segnung, dass sie jetzt zu Israel gehören. Ich nicht. Nachdem Krieg in Syrien haben sich viele mit Israel mehr identifiziert, einige haben den israelischen Pass angenommen. Ich dagegen pflege meine syrischen Wurzeln, und die meiner Eltern."
"Einige Drusen sehen es als Segnung, dass sie jetzt zu Israel gehören. Ich nicht. Nachdem Krieg in Syrien haben sich viele mit Israel mehr identifiziert, einige haben den israelischen Pass angenommen. Ich dagegen pflege meine syrischen Wurzeln, und die meiner Eltern."
Datteln und arabischer Kaffee zu Mittag
Dann ist die Leitung tot. 16.30 Uhr. Zeit für eine Feedback-Runde mit den Veranstaltern.
"Es war gut, hat einen guten immersiven Charakter. Vielleicht könnte man die Pausen länger gestalten. Damit man sich etwas zu Essen holen kann."
"Ich hätte nicht gedacht, dass das so gut funktioniert. Auf einer echten Reise würde man jetzt zusammen etwas Essen."
"Die Premiere ist echt geglückt. Aber vor dem Bildschirm sitzen den ganzen Tag ist schon anstrengend. Essen? Ja. Ich hab mir Mittags immer einen arabischen Kaffee und ein paar Datteln geholt und mir so die Atmosphäre geschaffen."
(Anmerkung der Redaktion: Der Autor hat eine erweiterte Fassung seines Manuskripts mit längeren O-Ton-Passagen zur Verfügung gestellt. Der Beitrag wurde entsprechend aktualisiert.)