Wenn ein Mensch stirbt, hinterlässt er Geld, vielleicht ein Haus, Bücher und Schmuck. Aber immer mehr hinterlassen auch ein Leben in der digitalen Welt: Online-Konten, Bilder, wertvolle Daten.
Wie der Komponist Rolf Alexander Wilhelm. Über viele Jahre pflegte er per Mail Kontakt mit anderen Künstlern, Auftraggebern und Wissenschaftlern. Als er starb, kümmerte sich seine Tochter Catharina Wilhelm um das E-Mail-Konto. Bis sie eines Tages einen komplett leeren Account vorfand.
Nach sechs Monaten gelöscht
"Da war nichts mehr. Da gab’s die Ordner alle noch, aber keine einzige Mail mehr. Ich dachte zunächst, das wäre ein technischer Fehler", sagt Wilhelm. "Ich habe mich aus- und wieder eingeloggt, und es gab wieder nichts. Dann hab ich beim Kunden-Support angerufen und bekam dort die lapidare Antwort: Ja, wenn man sich sechs Monate nicht eingeloggt hat, dann löschen wir alle Mails."
Das steht in den Geschäftsbedingungen des Mailanbieters – aber wer liest die schon so genau. Ein halbes Jahr ist für Trauernde nicht unbedingt eine lange Zeitspanne.
"Das ist ein Schock"
"Es fühlte sich so an, als wäre mein Vater das zweite Mal gestorben. Da kam eine zweite Welle der Trauer wieder. Wenn Sie wissen, dass er in seiner Korrespondenz, in seinen Briefen früher, in seinen Mails heute, weiterlebt, hat das was Tröstliches. Und wenn das alles plötzlich weg ist, das ist ein Schock."
Neben den privaten Erinnerungen löschte der Mailanbieter im Fall des Komponisten Wilhelm auch einen digitalen Nachlass, der für Musikwissenschaftler hätte interessant sein können. Wer heute stirbt, hinterlässt im Netz häufig emotionale Werte wie Fotos, aber auch Sachwerte, sagt Armin Fimberger, Geschäftsführer der Münchner Firma ‚Digitales Erbe‘.
"Wer hat denn heute kein Online-Banking, wer hat denn heute nicht PayPal, wer kauft nicht bei Amazon? Das machen auch die 70-Jährigen unterdessen. Man weiß nicht, war mein Vater, war meine Mutter wirklich nicht aktiv, oder waren sie aktiv."
Keine gesetzliche Regelung
Was mit dem Eigentum Verstorbener passiert, ist gesetzlich geregelt. Nicht aber, was mit ihrem virtuellen Nachlass geschieht. Der ruht oft auf Servern in den USA, sagt IT-Fachmann Fimberger. Bei Apple etwa sei ein Kundenkonto verknüpft mit einem lebenden Menschen.
So könne die Firma Hinterbliebenen den Zugang zu Geräten sowie darauf gespeicherten Daten und Apps verweigern. Ähnlich Facebook: Aufsehen erregte jüngst der Fall eines verstorbenen Mädchens in Berlin, deren Eltern keinen Zugriff auf den Facebook-Account ihrer Tochter bekamen.
Fimberg meint dazu: "Es besteht immer das Risiko, dass die Seite gelöscht wird oder in den Gedenkzustand gesetzt wird. Dann kann man nicht mehr einsteigen und alles mitlesen. Es bleibt in einer gewissen Starre, oder wenn’s gelöscht wird, sind die Daten weg."
Vorsorge kann hilfreich sein
Was das digitale Erbe angeht, urteilen deutsche Gerichte uneinheitlich. Erbrecht und Datenschutz stehen in Spannung zueinander. Armin Fimberger rät deshalb zur Vorsorge: Wer sich im Internet bewegt, sollte seine Zugangsdaten für Angehörige hinterlassen und verfügen, was nach dem Tod mit den verschiedenen Konten passieren soll.
"Der E-Mail-Account ist meistens der Dreh- und Angelpunkt zu allen anderen Accounts. Wenn ich darüber mit meiner Familie spreche, ist schon viel geholfen. Dann können auch die Hinterbliebenen handeln."
Digitales Testament
Manche Anbieter haben auch eine Familienfreigabe oder die Möglichkeit, einen Nachlasskontakt anzugeben. Catharina Wilhelm jedenfalls hat aus der Erfahrung mit den gelöschten Mails ihres Vaters entsprechende Konsequenzen gezogen.
"Ich habe alle meine Passwörter notiert und meiner Mutter hinterlegt. Und ich habe auch ein digitales Testament tatsächlich angelegt. Ich fühle mich sehr viel wohler, denn letzten Endes ist es ja auch leichter für Hinterbliebene, mit diesem Thema umzugehen, wenn klar ist, was der Tote sich gewünscht hat."