Wer in früheren Zeiten sein Opus 1 zum Druck gab, setzte ein deutliches Zeichen: Die musikalische Lehrzeit war abgeschlossen und der Zeitpunkt gekommen, erste eigene Werke der Öffentlichkeit vorzustellen. An der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert war es üblich, in solch einem Opus 1 Triosonaten für zwei Violinen und Basso continuo vorzulegen. So hatte das der römische Violinmeister Arcangelo Corelli 1681 gemacht, und so verfuhr auch 1705 ein junger Komponist in Paris: Jean-François Dandrieu.
Dandrieus sechs Triosonaten hat jetzt das französische Ensemble Le Consort um den jungen Cembalisten Justin Taylor eine CD-Aufnahme gewidmet. Unter dem Titel "Opus 1" kombiniert es Musik von Dandrieu mit Triosonaten von Corelli. Die Produktion beim Label "Alpha Classics" erscheint nach der Veröffentlichung in Frankreich in Kürze auch auf dem deutschen Markt.
Musik: Jean-François Dandrieu, Adagio – Presto aus Triosonate g-Moll op. 1,3
Ein Organist debütiert mit Kammermusik
Dreiundzwanzig Jahre alt war Jean-François Dandrieu und als Organist an der Kirche Saint-Merry in Paris tätig, als er 1705 seine Triosonaten Opus 1 veröffentlichte. Ein schöner Zufall wollte es, so erfährt man im Beiheft der CD, dass auch die Mitglieder des Ensembles Le Consort etwa so alt waren, als sie im September 2015 erstmals zusammenfanden und gleich auch Dandrieus Sonaten auf die Notenpulte stellten.
Le Consort ist eine gemeinsame Gründung des französischen Cembalisten Justin Taylor und seines Violin-Kollegen Théotime Langlois de Swarte. Taylor hatte damals gerade den renommierten Wettbewerb Musica Antiqua in Brügge gewonnen.
Auf dieser zweiten CD des Ensembles ist in der zweiten Violinstimme Sophie de Bardonnèche zu hören, hinzu kommen Hanna Salzenstein am Violoncello und Louise Pierrard an der siebensaitigen Bassgambe. Die beiden tiefen Streicher und Justin Taylor an Cembalo und Truhenorgel teilen sich die Generalbassstimme – und "teilen" ist hier wörtlich zu nehmen. Denn Dandrieu hat in seinen Sonaten an vielen Stellen zwischen einer bewegteren, manchmal auch höheren Violoncello-Stimme und der eigentlichen Fundament-Partie unterschieden. Die heißt schlicht "Basso", konzentriert sich eher auf die harmonisch wesentlichen Gerüstnoten und ist mit Akkordbezifferungen versehen.
So ergeben sich viele komplexe Satzabschnitte mit zwei tiefen Melodielinien, die von der rechten Hand am Tasteninstrument noch harmonisch ausgestaltet werden. Darüber entwickeln die beiden Violinen ihre beredten imitatorischen Dialoge im reizvollen Wechsel von wohlklingenden Terz- und Sextparallelen und spannungsvollen Vorhaltsdissonanzen.
Musik: Jean-François Dandrieu, Presto aus Triosonate D-Dur op. 1,2
Man könnte diese Triosonaten des Franzosen Jean-François Dandrieu für italienische Musik halten. Er war offensichtlich begeistert von der Art, wie man in Italien komponierte – und insbesondere von Arcangelo Corelli. Der gab an der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert nicht nur als Konzertmeister in Rom den Ton an.
Durch den Druck seiner Sonaten für eine oder zwei Violinen und Basso continuo war er europaweit zum Vorbild geworden mit seiner kontrapunktisch ausgeklügelten, gleichzeitig aber sehr eingängigen Instrumentalsprache. Wie bewusst Dandrieu dem nacheifert, das dokumentiert seine Partitur auch darin, dass sie ausschließlich italienische Begriffe für die Instrumente, die Satzbezeichnungen und die Spielanweisungen verwendet. Das war in Paris damals alles andere als selbstverständlich.
Violoncello versus Viola da gamba
Dandrieu ist damit wohl auch der Erste, der in Frankreich das Violoncello erwähnt, das dort gerade begann, der Viola da gamba als solistischer Streichbass den Rang abzulaufen.
Das Ensemble Le Consort verwendet Cello und Gambe: mal in verteilten Rollen; mal im Unisono, in dem die Klänge perfekt verschmelzen. Manchmal vermag man gar nicht zu entscheiden, wer da welche Stimme spielt. Im Siciliana-Satz der 6. Sonate ist es aber doch eindeutig die Viola da gamba mit ihren leicht näselnden Höhen, die sich auf das berückende Triospiel mit den Violinen einlässt.
Musik: Jean-François Dandrieu: Siciliana aus der Triosonate h-Moll op. 1,6
Bei den Violinen und dem Violoncello, die auf der CD von Le Consort zu hören sind, handelt es sich um Originale aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Finanzkräftige Förderer haben sie dem in Frankreich schon mehrfach preisgekrönten jungen Ensemble zur Verfügung gestellt. Die Gambe und das Cembalo sind Kopien nach barocken französischen Vorbildern.
Hinzu kommt eine weniger idiomatisch klingende Truhenorgel mit Holzregistern, die Justin Taylor in ausgewählten Sätzen anstelle des Cembalos spielt. Das ist ein Luxus, den sich vor gut dreihundert Jahren in den Salons von Paris vermutlich kaum jemand leistete – da hätte dann jedes Mal ein Kalkant beispringen müssen, um das zu tun, was heute ein elektrisches Gebläse übernimmt: die Orgel mit Luft zu versorgen.
Der Orgelton ruft aber in Erinnerung, dass man solche Triosonaten auch in den Gottesdiensten verwendete – nicht umsonst unterscheidet Arcangelo Corelli in seinen Notendrucken zwischen Kammer- und Kirchensonaten.
Musik: Jean-François Dandrieu, Allegro aus Triosonate F-Dur op. 1,5
Hommage an das italienische Vorbild
Le Consort hat drei der Triosonaten von Arcangelo Corelli in sein Programm eingestreut, die Dandrieu als Vorbild für die eigenen Werke dienten. Die erste dieser Sonaten, die Nummer 1 in C-Dur aus Corellis Opus 4, wird von einem kurzen Charakterstück in der gleichen Tonart aus Dandrieus zweiten Cembalobuch eingeleitet. Der Franzose nannte diesen Suitensatz dem römischen Meister zu Ehren "La Corelli". Justin Taylor hat das Tastenwerk für die Aufnahme zum Trio umgeschrieben. Fast nahtlos folgt darauf Corellis Sonate, als stamme sie aus der Feder desselben Komponisten.
Musik: Jean-François Dandrieu, La Corelli / Arcangelo Corelli, Preludio aus Triosonate C-Dur op. 4,1
Le Consort spielte die Triosonaten im Oktober 2018 im nordfranzösischen Beauvais ein. Dort hat man die Scheune eines mittelalterlichen Leprosenhauses vor gut zehn Jahren zum Konzertsaal umgebaut. Die Aufnahme lässt die Größe des Raumes erahnen, doch vermittelt der Tonmeister Ken Yoshida den Eindruck, man säße mitten unter den fünf Musikerinnen und Musikern. Und das ist bei dieser detailreichen Kammermusik nur von Vorteil.
Das klangvolle, immer konzentrierte und sehr differenzierte Spiel des Ensembles wirkt gleichzeitig locker und im besten Sinne musikantisch: Jeder Satz blüht auf, dass es eine Freude ist. Hier und da helfen die Interpreten etwas nach. Da reichern sie die Musik mit improvisierten Einleitungen an, die prägnante Motive oder Harmoniefolgen aus den Sonatensätzen aufgreifen oder auch vorwegnehmen. Einige typisch französische Stilelemente erlauben sie sich auch bei Corelli: etwa die Verzierung von Schlussakkorden durch Terz-Triller oder die inegale Ausführung rhythmisch gleichmäßig notierter Tonfolgen. Und in der vierten Dandrieu-Sonate spielen sie den kurzen koketten vierten Satz schon vor dem dritten Satz und danach noch einmal, jetzt nur gezupft. Effekt macht das durchaus.
Musik: Jean-François Dandrieu, Vivace – Largo – Vivace aus Triosonate A-Dur op. 1,4
Widmungsträgerin "Madame"
Jean-François Dandrieu stand noch am Anfang seiner Karriere, als er seine Triosonaten veröffentlichte. Gewidmet hat er sie einer Persönlichkeit, die im Druck nur als "Madame" bezeichnet wird.
Gemeint ist Liselotte von der Pfalz, die verwitwete Gemahlin von Philippe dʼOrléans, dem Bruder Ludwigs des Vierzehnten. Ihr Umfeld war für seine Aufgeschlossenheit gegenüber der italienischen Musik bekannt. Der Karriere von Dandrieu war das später noch förderlich: Liselottes Sohn Philippe übte nach dem Tod des Sonnenkönigs zunächst die Regentschaft aus und ernannte ihn 1721 zu einem der Organisten an der königlichen Kapelle. In den folgenden Jahren veröffentlichte Dandrieu Ausgaben seiner Tastenmusik. Ein Lehrwerk zur Begleitpraxis auf dem Cembalo hatte er schon 1718 publiziert.
Musik: Jean-François Dandrieu, Vivace aus Triosonate h-Moll op. 1,6
Le Consort lässt die letzte Sonate aus Dandrieus Opus 1 eher verhalten ausklingen. Am Ende steht dann noch einmal Corelli: die Ciacona in G-Dur, die seine Sonaten Opus 2 beschließt. Das ist ein nicht allzu langes Stück über ein beständig wiederholtes Bass-Thema. Ähnliche Ostinato-Variationen rundeten unter dem französisierten Namen "Chaconne" auch am Hofe des Sonnenkönigs regelmäßig die großartigen Divertissements und Operndarbietungen ab – wenn auch in weit pompöserer Besetzung.
Da beleuchtet Le Consort also noch eine weitere Facette der vielfältigen Querverbindungen zwischen der französischen und der italienischen Musik um 1700.
Musik: Arcangelo Corelli, Ciacona G-Dur op. 2,12
Jean Francois Dandrieu (1682-1738)
Opus 1
Triosonaten op.1, Nr.1-6
Mit weiteren Werken von Arcangelo Corelli (1653-1713)
Le Consort
Alpha Classics/ Outhere
Veröffentlichungsdatum in Deutschland: 9. September 2019
Opus 1
Triosonaten op.1, Nr.1-6
Mit weiteren Werken von Arcangelo Corelli (1653-1713)
Le Consort
Alpha Classics/ Outhere
Veröffentlichungsdatum in Deutschland: 9. September 2019