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Virus der Gewalt

Sie rauben, erpressen, morden und nehmen harte Drogen: Die Maras, Jugendbanden in Honduras, terrorisieren die zumeist arme Bevölkerung. Seit 2003 sind die Banden verboten, dennoch wollen immer mehr Jungen und Mädchen Mitglied werden. Die meisten landen irgendwann in den ohnehin schon überfüllten Gefängnissen.

Von Anne-Katrin Mellmann |
    Auf den ersten Blick ist das Tamara-Gefängnis ein ganz normaler honduranischer Knast: 3.500 Häftlinge leben hier auf engstem Raum. Aber: streng abgetrennt von den normalen Insassen haben Mitglieder einer der gefährlichsten Jugendbanden Zentralamerikas ihren eigenen Bereich: die Mara Salvatrucha. Ich habe die Erlaubnis sie zu besuchen und weiß: Jeder von ihnen hat mindestens einmal im Leben gemordet.

    Direktor Salomon Ferrera Flores hat das Treffen mit den Mara Salvatrucha arrangiert. Nicht er entscheidet wer rein darf, sondern die Gangmitglieder selbst. Das ist nur eine der Freiheiten, die sie hier genießen. In ihrem Gefängnistrakt gibt es fast nie Ärger, sagt Flores.

    "Diese Gruppe ist außerordentlich diszipliniert. Sie haben eine Führung, an der sich unsere Polizei ein Beispiel nehmen kann. Wir bewundern ihre Disziplin. Es gibt kein schlechtes Benehmen bei den Maras."

    Draußen treten sie anders auf: Voll gepumpt mit Kokain und Crack überfallen und morden sie. Auch Flores Haus wurde schon von einer Bande angegriffen. Aber ihm und seiner Familie sei nichts passiert, sagt er. Auf die Frage, ob die Mara Salvatrucha auch im Knast an Drogen gelangen, nennt Flores nur eine Zahl: 4.800 Lempira, den monatlichen Verdienst eines Gefängniswärters. Das sind gerade mal 200 Euro.

    Am Eingang zum Haus der Mara Salvatrucha ist kein Wärter in Sicht. Nur etwas Federvieh. Flores verabschiedet sich hier. Das ist eine Bedingung der Mara-Salvatrucha-Häftlinge, die mich nur unbegleitet empfangen wollen. Ab jetzt bin ich allein unter 300 Mördern.

    "Jehova gibt seinem Volk Macht und Frieden. Gott ist Liebe. In Frieden gehe ich zur Ruhe. Und ich werde nicht vergessen, warum du mich mit Vertrauen beschenkst."

    haben die Mara Salvatrucha an ihre Hofmauer geschrieben. Tomas liest vor. Er und Ronald, beide Ende 20, empfangen mich. Sie nennen sich Koordinatoren. Nur mit ihnen darf ich sprechen - ein Beschluss der Gruppe. Misstrauisch beäugen sie mich und erklären das Graffiti:

    "Da oben steht "Wir bitten das honduranische Volk um Vergebung", auch wenn wir nicht alles getan haben, was man uns ankreidet. Wir wollen, dass die Gesellschaft uns eine neue Chance gibt und uns nicht wie Abschaum, wie Tiere behandelt. Die Polizei und die Medien machen uns schlecht. Aber wir sind aus Fleisch und Blut, haben Gefühle und Herz."

    Tomas und Ronald haben ihren Text gut gelernt. Ihre Homies, wie sie die anderen Mara-Salvatrucha -Mitglieder nennen, beobachten uns von weitem. Sie haben ein großes sonniges Gelände, mit Fußballplatz und Billardtischen. Auch einen Stall für vier Schweine haben sie sich gebaut, denn auf der Gefängnisspeisekarte stehen nur Reis und Bohnen, beschweren sich meine beiden Begleiter.

    Sie tragen weite Jeans und unauffällige helle T-Shirts. Beide sind an den Armen tätowiert - eindeutiges Merkmal für Mara-Mitglieder, die Mareros. Nur deshalb seien sie in den Knast gekommen, behaupten Ronald und Thomas. Das honduranische Gesetz macht es der Polizei leicht: Wer tätowiert ist und damit Marero, macht sich strafbar, denn Maras sind als kriminelle Vereinigungen verboten. Trotzdem ziehen die Maras an:

    "Es ist wie ein Virus, der alle befällt, auch die Jüngeren. Wir sind in der Mara, weil es uns gefällt, verstehst Du. Für einen, der umgelegt wird, kommen fünf Neue. Man wird es nie schaffen diesen Virus auszuschalten. Darum versuchen wir den Leuten klar zu machen, dass das nie enden wird, dass es für sie besser ist uns zu akzeptieren."

    Jungen und inzwischen auch immer mehr Mädchen wollen in die Banden, obwohl jedes Kind in Honduras von ihren brutalen Aufnahmeritualen weiß. Dazu kann gehören, einen Polizisten oder ein Mitglied einer anderen Mara zu erschießen. Von Raub, Erpressung oder gar Mord wollen Ronald und Thomas aber nichts hören. Auf meine Fragen danach reagieren sie aggressiv. Rechtschaffene Handwerker seien sie draußen gewesen und auch mit Drogen hätten sie nichts zu tun gehabt. Hinter ihnen, an der Mauer, gedeiht eine Marihuana-Pflanze.

    Im Gebäude herrscht Klubatmosphäre. Aus einer Stereoanlage dröhnt Reggae. Das sei ihre Lieblingsmusik, erklären Ronald und Thomas. Ihre CD- Sammlung soll ich mir genau ansehen. In einer Ecke klimpern Videospiele, in den Zellen flimmern US-amerikanische Sport- oder Musikfernsehkanäle. Verschlossene Türen sind nicht zu sehen.

    "In jedem Zimmer wohnen zwei bis drei Personen. Zwei teilen sich das Bett. Einer schläft auf dem Boden. Dann wechseln sie sich ab."

    Die Zellen sind eng, aber gemütlich eingerichtet. Ein Hauch Marihuana weht durch den Flur und mischt sich mit Essensgeruch. Als ich die Küche besichtigen will, zögern Ronald und Tomas, laufen langsamer. Sie scheinen genaue Instruktionen zu haben. Einer, mit tätowiertem Gesicht, der uns entgegen kommt, beantwortet Ronalds fragenden Blick mit unauffälligem Kopfnicken. Wir dürfen eintreten. Junge Männer kochen Spaghetti, andere lesen Zeitung. Sie haben zu meiner Begrüßung eine finstere Mine aufgesetzt. Einer wetzt die Messer. Alle schweigen. Ronald und Tomas antworten plötzlich sehr zögerlich auf meine Fragen:

    "Wir haben alles selbst gebaut. Wir haben hier Tischler, Schreiner, Schmiede - alle Berufe."

    Weniger bequem leben die sieben Pesetas in einem weit abgelegenen Gefängnistrakt. Peseta kommt von Peso, der mexikanischen Währung und bedeutet in Mara-Kreisen: so viel wie nichts, wertlos. Wertlos werden Mareros genannt, die ihre Gruppen verlassen.

    "Die Mara Salvatrucha dort hinten sprechen nicht ehrlich mit Dir, weil sie nicht dürfen. Sie werden von der Gruppe beobachtet. Niemand darf Klartext sprechen über das, was draußen gelaufen ist. Wer es doch tut, wird geschlagen oder umgebracht. Wir gehören zu niemandem, zu keiner Gruppe. Darum haben wir die Freiheit zu sprechen."

    Ihre einzige Freiheit. Schon seit neun Jahren ist der 28-jährige Ricardo in einem winzigen, fensterlosen Verschlag eingesperrt. Als 19-Jähriger wurde er wegen Mordes zu 33 Jahren Gefängnis verurteilt. Mit 12 Jahren ist er Mitglied der "Mara diesyocho", "Mara 18" geworden, Hauptfeind der Mara Salvatrucha. Dass er nicht nur einmal getötet hat, gibt Ricardo offen zu.

    "Viele schlimme Dinge habe ich getan, nichts, was mir heute nützt. Ich habe die Menschen in meinem Viertel terrorisiert. Ich habe gestohlen und Drogen genommen."

    Er und die sechs anderen Ex- Mareros dürfen ihren Knast im Knast nie verlassen. Sie würden sonst von den anderen Häftlingen umgebracht, erzählt mir Ricardo durch die Gitterstäbe hindurch. Auch draußen, in Freiheit, würden sie nicht lange überleben.

    "Draußen ist es sehr gefährlich für uns. Es gibt da niemanden, der uns schützt, auch die Polizei nicht. Die Polizei ist nichts wert, weil sie selbst Angst hat. Ein Freund von uns ist draußen gestorben: Er ist ausgestiegen und deshalb hat ihn seine ehemalige Mara umgebracht. Jeder, der bei den Maras war und raus möchte, muss sterben. So sind die Regeln."

    Honduras Regierung will den Ausstieg trotzdem attraktiv machen. Die Zeit drängt. Alvaro Romero, Minister für Sicherheit, schätzt, dass es heute schon 35.000 Mareros und 70.000 Sympathisanten gibt. Das kleine, bitterarme Honduras begegnet dem Problem mit gerade mal 7.000 Polizisten. Und die Gefängnisse sind längst überfüllt.

    "Den Jugendlichen, die in dieser Sackgasse stecken, muss man Möglichkeiten bieten, sich zu rehabilitieren. Sie fordern das von der Gesellschaft. Ich glaube, das schwierigste wird sein, sie wieder in die Gesellschaft zu integrieren. Wie kann sie die Gesellschaft von neuem akzeptieren?"

    Pläne für staatliche Rehabilitationsprogramme gibt es bislang aber nur auf dem Papier. Für die Umsetzung ist kein Geld da. Und es hagelt Kritik. Viele Honduraner verlangen, dass Mareros für immer weggesperrt werden. Ronald und Thomas, die beiden Mara-Salvatrucha-Mitglieder, zeigen mir ihren Friseur. Bei ihm haben sie später einen Termin. Alles wirkt hier ganz ordentlich. Die beiden gefallen sich sichtlich in der Rolle der Harmlosen. Was sie eines Tages in Freiheit tun werden, will ich zum Abschied wissen:

    "Wenn sie mich irgendwann rauslassen, will ich arbeiten. Wer nicht arbeitet, der isst auch nicht. Ich will wieder in mein Viertel zurück, aber ich werde auch immer Mara Salvatrucha sein."