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Visafreiheit mit der Türkei
Deutsche Politik unbeeindruckt von türkischen Drohungen

Deutsche Bundestagsabgeordnete und Regierungsvertreter zeigen sich unbeeindruckt von der Drohung Ankaras, den Flüchtlingsdeal platzen zu lassen, sollte die Visafreiheit für türkische Bürger nicht im Oktober kommen. "In keinem Fall darf sich Deutschland oder Europa erpressen lassen", betonte Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD).

    Eine türkische Wahlberechtigte zeigt am 03.08.2014 vor dem Olympiastadion in Berlin ihren türkischen Pass, um in das Wahlzentrum für die türkische Präsidentenwahl in Deutschland zu gelangen.
    Türkischer Reisepass (picture alliance / Daniel Naupold)
    Gabriel betonte, die Türkei müsse zunächst die nötigen Standards erfüllen, damit die Visafreiheit umgesetzt werden könnte. Mit Blick auf die Entwicklungen im Land sagte er: "Ein Land, das sich auf den Weg macht, die Todesstrafe wieder einzuführen, entfernt sich so drastisch von Europa, dass natürlich damit auch alle Beitrittsverhandlungen letztlich überflüssig werden." Es liege an der Türkei selbst, ob es Visafreiheit geben könne.
    Der CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach sieht ebenfalls Ankara in der Pflicht. Es gebe 72 Bedingungen, die die Türkei erfüllen müsse; dazu gehöre unter anderem die Änderung der Anti-Terror-Gesetze, sagte Bosbach im ZDF-Morgenmagazin. Die Linken-Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen forderte die EU auf, die Verhandlungen über die Visafreiheit auf Eis zu legen. Dafür fehle jede Grundlage.
    Regierung: Kann nicht in türkischem Interesse sein, dass Menschen ertrinken
    Auch der Sprecher des Auswärtigen Amtes, Martin Schäfer, sagte in Berlin, es bleibe dabei, dass die Voraussetzungen für eine Visaliberalisierung zunächst erfüllt sein müssen. Regierungssprecherin Ulrike Demmer sagte, man gehe davon aus, dass die Türkei das Flüchtlingsabkommen weiterhin erfülle. Sie betonte, es sei im gegenseitigen Interesse, dass nicht mehr alltäglich Menschen im Meer ertrinken. Der Pakt sieht vor, dass alle in Griechenland ankommenden Bootsflüchtlinge wieder in die Türkei zurückgeschickt werden können.
    Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu hatte in einem Gespräch mit der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" klargestellt: Wenn türkische Bürger nicht bis spätestens Oktober visumfrei in die EU-Staaten einreisen können, werde die Türkei das am 18. März mit der EU geschlossene Flüchtlingsabkommen nicht mehr anerkennen. Dies hatte zusammen mit dem Bau des Grenzzauns in Mazedonien dazu geführt, dass weniger Flüchtlinge auf die griechischen Inseln übersetzen und sich über die nunmehr geschlossene Balkanroute Richtung Norden und vor allem nach Deutschland durchschlagen.
    EU-Kommission und EU-Politiker wollen sich nicht beeinflussen lassen
    Die EU-Kommission lässt das Ultimatum kalt. Sie will sich von neuen Drohungen aus Ankara nicht beeinflussen lassen. Eine Sprecherin der Brüsseler Behörde betonte gegenüber der Deutschen Presse-Agentur: Die Visumfreiheit für türkische Bürger werde es nur dann geben, wenn alle Bedingungen erfüllt seien. Auch CDU-Europapolitiker Michael Gahler betonte in Deutschlandfunk, man werde sich nicht auf Kompromisse einlassen: "Es müssen alle 72 Punkte erfüllt sein, sonst gibt es keine Visumfreiheit." CDU-Politiker Jürgen Hardt äußerte sich ebenfalls skeptisch über die geforderte Einigung bis Oktober. "Ich glaube nicht, dass die Visaliberalisierung unter den Bedingungen des ausgerufenen Notstands in der Türkei möglich sein wird", sagte Hardt. Auch CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer hält dies in "der aktuellen Lage für völlig ausgeschlossen."
    Die Visumpflicht für türkische Staatsbürger sollte ursprünglich ab Juli aufgehoben werden, wurde aber wegen nicht erfüllter Bedingungen verschoben. Die EU-Kommission sah in ihrem jüngsten offiziellen Bericht noch 5 der 72 Vorgaben für eine Visaliberalisierung als nicht erfüllt an. Kritisch gesehen werden unter anderem folgenden Punkte:
    • Kampf gegen Korruption
    • Die Zusammenarbeit bei Strafermittlungen und in Auslieferungsfragen
    • Der Abschluss und die Umsetzung eines Kooperationsabkommens mit Europol
    • Schutz personenbezogener Daten nach EU-Standard
    • Entschärfung der Anti-Terror-Gesetzgebung
    "Praxis im Bezug auf die Terrordefinition präzisieren"
    Die Türkei müsse ihre Gesetzgebung und auch ihre Praxis im Bezug auf die Terrordefinition präzisieren, "indem sie ganz einfach den Umfang dessen, was sie als Terror bezeichnet, einschränke", so Gahler. Die Reform der türkischen Anti-Terror-Gesetze gilt als eine noch offene Bedingung für die Gewährung der Visafreiheit. Die EU will, dass sie so geändert werden, sodass sie nicht gegen politische Gegner missbraucht werden können.
    Gahler bezog sich im Deutschlandfunk auch auf die Reaktionen nach dem Putsch und forderte von der EU-Kommission, genau hinzuschauen, ob auch andere Punkte von der Türkei nicht erfüllt werden. In den Tagen nach dem Putschversuch und den "Säuberungsaktionen" hagelte es hefige Kritik für die türkische Regierung. Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) mahnte die Regierung in Ankara, "ihre selbstgesetzten Maßstäbe sowie ihre internationalen Verpflichtungen einzuhalten."
    (sima/vic/tzi/ach)