Für jene, die in der Europäischen Union immer wieder mit dem ungarischen Ministerpräsidenten aneinandergeraten sind, schließt sich das, was Viktor Orbán an diesem Junitag vorhat, fast aus. Eine "Budapester Europa-Rede" soll er halten, bei einer Veranstaltung zu Ehren des vor einem Jahr verstorbenen ehemaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl. Und so scherzt Viktor Orbán gleich zu Beginn:
"Wir haben uns mit dem Herrn Vorsitzenden über die Arbeitsteilung verständigt, dass ich geradeheraus und unverblümt sprechen werde, und er danach bei den Anwesenden um Entschuldigung bittet, dass es so gekommen ist."
Geradeheraus und unverblümt spricht Viktor Orbán oft über die EU. Und so spricht er auch an diesem Junitag über einen ihrer - in seinen Augen - "schwerwiegendsten Fehler" der vergangenen Jahre: Europa mit seinen christlichen Werten nicht vor Migranten "geschützt" zu haben.
Flüchtlinge unerwünscht
An seiner Haltung in dieser Frage lässt der ungarische Ministerpräsident keinen Zweifel: "Ist ein Kompromiss in der Debatte um die Migranten möglich? Nein. Er ist gar nicht nötig. Wir kennen kein einziges Dokument, in dem stünde: 'Wenn du der Europäischen Union beitrittst, musst Du zu einem Einwanderungsland werden.' Als wir beitraten, haben wir uns zu nichts dergleichen verpflichtet."
Und so ist der Appell an die ungarische Regierung, sich innerhalb der Europäischen Union in der Flüchtlingsfrage "solidarisch" zu zeigen, auch immer wieder ungehört verklungen. Doch das gilt nicht nur für das Transitland Ungarn. Auch aus Tschechien, wie die Slowakei bislang eher im "toten Winkel" der Fluchtrouten, sind ähnliche Worte von Ministerpräsident Andrej Babiš zu hören: "Wir können nicht zulassen, dass die Flüchtlinge auf unser Territorium kommen. Denn dann wären sie unser Problem, und wir wollen das nicht."
Und vom polnischen Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki kam vergangene Woche diese deutliche Ansage: "Wir gehören nicht zu diesem Klub der Freunde der Umverteilung von Flüchtlingen und beabsichtigen auch nicht, daran teilzunehmen." Verbunden mit dem Verweis, dass Polen schon viele Flüchtlinge aufgenommen habe, aus Tschetschenien und der Ostukraine.
Die "V4" gibt es seit 1991
Ungarn, Tschechien, Polen und die Slowakei eint also ihre Haltung in der Flüchtlingsfrage und inzwischen bilden sie ein anderes Kerneuropa, als jenes, das vormals in westlichen Hauptstädten erdacht wurde. Die "V4", die Visegrád-Staaten, sind seit 1991 ein Verbund. Damals im Februar hatten sie sich in dem kleinen ungarischen Städtchen getroffen, um zu vereinbaren, die gemeinsamen Probleme nach dem Ende von Ostblock und Kaltem Krieg möglichst auch gemeinsam zu lösen. Nicht selten waren sie in den folgenden Jahren Mittler in der Europäischen Union. Ein loser regionaler Verbund, ähnlich wie die nordischen Länder.
Bis sie 2015 die Flüchtlingskrise als gemeinsames "Problem" erkannt und eine gemeinsame Haltung entwickelt haben, die Milan Nič, Senior Fellow bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, so skizziert:
"Sie wollen keine verpflichtende Umverteilung von Flüchtlingen. Das ist für sie die Blaupause für einen Kontrollverlust, wer ins Land kommt. Sie wollen Teil einer europäischen Lösung sein, wenn es um den Schutz der Außengrenzen geht. Hier aber setzen sie eher auf nationale Kräfte als auf die europäische Grenzschutzagentur Frontex."
Differenzen bei anderen Themen
Doch so einig sich die "V4" in manchen Fragen zeigen, so deutlich sind die Unterschiede. Polen und Ungarn setzten auf starke Nationalstaaten, sie träten zunehmend populistisch und konfrontativ auf, eckten mit Blick auf die Rechtsstaatlichkeit in Brüssel an. Tschechien und die Slowakei hingegen seien pragmatischer veranlagt und in Teilen sogar für eine vertiefte Integration der EU, erklärt Wissenschaftler Milan Nič. Schließlich sei Tschechien wirtschaftlich eng mit Deutschland verbunden und die Slowakei Teil der Eurozone.
Anders als in der Flüchtlingsfrage lägen die vier also bei anderen zentralen Themen überkreuz:
"In der Energiepolitik zum Beispiel: Polen und die Slowakei sind gegen die Erdgaspipeline Nord-Stream, Ungarn dafür. Oder in der Geopolitik: Ungarn will mit Russland ein Atomkraftwerk bauen. Das wäre für Polen unvorstellbar! Grundsätzlich sind Polen und Tschechen eher pro-ukrainisch und stehen Russland sehr viel skeptischer gegenüber als Slowaken und Ungarn."
Druck der EU hilft nicht
Den Zusammenhalt in der Migrationsfrage dürfe man dennoch nicht unterschätzen, mahnt Wissenschaftler Milan Nič von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Je größer der Druck der EU-Kommission, der Druck der anderen, größeren europäischen Staaten sei, desto mehr rückten die vier Visegrád-Staaten zusammen:
Und so mahnte der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán noch vor wenigen Tagen in seiner "Budapester Europa-Rede":
"Sie sollen uns nicht belehren, sie sollen uns nicht erpressen und sie sollen uns nicht nötigen, sondern sowohl uns als auch den Mitgliedsstaaten den ihnen zustehenden Respekt geben und dann wird Friede auf dem Ölberg herrschen."