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Vivien Goldman über Frauen im Punk
"Der Anfang einer stetig wachsenden, globalen Bewegung"

Die Journalistin Vivien Goldman schreibt ein Buch über Punk-Musikerinnen der ersten Stunde. "Revenge Of The She-Punks" soll es heißen. Seit den 70en sei für Frauen in der Musikszene viel Positives passiert, sagt sie: "Wenn wir negieren, was wir erreicht haben, das macht einen doch fertig!"

Vivien Goldman im Gespräch mit Christoph Reimann |
    Sängerin Vivien Goldman
    Vivien Goldman lehrt an der Universität von New York Musikgeschichte. (picture alliance/dpa/Foto: Brent N. Clarke)
    Christoph Reimann: Was hat Sie in den 70ern zum Punk gebracht?
    Vivien Goldman: Ich glaube, ich hatte einfach Glück, zur Zeit des Punks erwachsen zu werden. Schon immer hat man mich als Freigeist bezeichnet. Der vorgezeichnete Weg, der sich aus meinem konservativen Umfeld ergab, hat mich da eingeengt – also die Erwartung, einen Partner zu finden, mich fortpflanzen zu müssen, so etwas. Mich selbst konnte ich darin nicht wiedererkennen.
    Und dann kam Punk. Ich hatte schon vorher Musik gemacht und die patriarchalen Strukturen der Musikwelt kennengelernt. Aber als der Punk kam, fühlte ich mich auf einmal nicht mehr allein. Es gab andere Frauen, mit denen ich reden – und später sogar Musik machen und auftreten konnte. Obwohl ich das gar nicht wollte. Als Journalistin fühlte ich mich viel wohler.
    "Mädchen würden doch eh keine Musik hören"
    Reimann: Sie sind in London aufgewachsen. Es gab eine Zeit, in der Sie mit der Post-Punkband Flying Lizzards gespielt haben, auch als Solokünstlerin haben Sie Musik gemacht. Sie waren die Tochter von Immigranten, die vor den Nazis aus Deutschland geflohen sind. Wer genau war Ihr Feindbild, denn im Punk geht es ja auch immer um das Dagegen-Sein. Was war das?
    Goldman: Irgendwann gab es in der Redaktion, für die ich damals als Musikjournalistin gearbeitet habe, Streit – es wurde nicht handgreiflich, aber es wurde laut. Da wurde tatsächlich die Frage gestellt, warum man überhaupt über Frauen im Pop nachdenken sollte. Mädchen würden doch eh keine Musik hören. Das regt mich heute noch auf! Damals gab es viele ideologische Streitereien. Nicht mit den Musikern, die waren schon viel weiter und liberaler. Aber solche Momente, wie der, den ich gerade beschrieben hatte, die haben bei mir einiges ausgelöst.
    Reimann: Und wie geht es Ihnen jetzt damit, fast 40 Jahre später?
    Goldman: Nun, man fragt sich, was gerade los ist. Denn es scheint gerade viel lockerer zu werden, was Frauen angeht. Es fühlt sich so an, als wäre es einfacher für uns, mitreden zu dürfen.
    Reimann: Jetzt plötzlich? Oder im Zuge eines Prozesses?
    Goldman: Es ist mehr ein allgemeines Gefühl, so nehme ich das zuhause in den USA wahr. Im nächsten Jahr erscheint ein Buch von mir, "Revenge Of The She-Punks". Darin geht es um Frauen im Punk und die Freiheiten, die der Punk uns Frauen gebracht hat. Und eine der Frauen, mit denen ich für dieses Projekt gesprochen habe … Kennen Sie diese sehr frühe afroamerikanische Funk-Gruppe, ein Schwestern-Trio mit dem Namen ESG …
    Reimann: … aus New York.
    Goldman: Genau. Ihre Songs wurden sehr oft gesampelt, sie waren sehr einflussreich. So etwas wie sie gab es kein zweites Mal. Und als ich nun mit ihnen für mein Buch gesprochen habe, sagten sie: Wir wünschten, wir könnten heute noch einmal neu anfangen, weil man heute mit dem Internet viel mehr erreichen kann. Selbst wenn es auch heute noch schwer ist, ein Publikum zu finden, selbst, wenn auch heute noch der Spagat zwischen kommerziellem Erfolg und künstlerischer Unabhängigkeit schwierig ist – den Frauen stehen heute mehr Türen offen.
    "Ich will nicht alle Männer über einen Kamm scheren"
    Reimann: Gestern, im Talk hier auf dem Pop-Kultur-Festival, sagten Sie, dass der Niedergang der alten Musikindustrie den Frauen geholfen habe.
    Goldman: Ja, so sehe ich das auch heute noch. Ich will nicht alle Männer über einen Kamm scheren, ich rede hier über Männer mit einen eingeschränkten Verständnis davon, was sexy ist oder was sich vermarkten lässt. Aber denken wir mal an eine Punk-Musikerin wie Poly Styrene von X-Ray Spex. Ihre Schönheit war eher unkonventionell und ließ sich damals schlecht verkaufen. Aber heute ist ihre Stimme vielleicht diejenige, die noch am lautesten nachhallt. Jedem fällt der Song "Oh Bondage! Up Yours" ein, wenn er oder sie an Frauen im Punk denkt.
    Bei der Recherche meines Buches habe ich festgestellt, dass es immer noch sehr wenige Frauen gibt, die als Produzentin oder in Führungspositionen von Labels arbeiten. Jetzt, da es andere Kommunikationsmöglichkeiten gibt, wachsen vielleicht auch die Möglichkeiten für Frauen.
    Reimann: Nur reicht es heute kaum noch, wenn man sich allein aufs Musikmachen beschränkt. Man muss auch noch soziale Medien bedienen, seine eigenen Gigs buchen – kurz gesagt: Geschäftsmann oder Geschäftsfrau sein.
    Goldman: Ja, darin liegt eine gewisse Ironie. Jetzt, wo der Zugang für Frauen einfacher wird, fließt am wenigsten Geld.
    Reimann: Versuchen Sie in Ihrem Buch "Revenge Of The She-Punks" auch in die Gegenwart oder sogar Zukunft zu gucken?
    Goldman: Das Buch beginnt mit der Geburtsstunde des Punk in den 70ern, aber ich interessiere mich auch für das, was kommt. Was mich dazu gebracht hat, dieses Buch zu schreiben, war, dass viele Leute die Vergangenheit trivialisieren. Das hat mich gelangweilt. Was ich darin gesehen habe, war der Anfang einer stetig wachsenden, globalen Bewegung.
    Reimann: Die nach Ihrer Ansicht immer noch aktiv ist.
    Goldman: Absolut.
    "Klar, der Kampf geht immer weiter"
    Reimann: Sie haben damals über Männer gesungen, die sich nur schwer abschütteln ließen, Sie haben über Rassismus gesungen. Darüber singen die Leute ja heute noch. Ist überhaupt etwas passiert in dieser Hinsicht, in den letzten 30, 40 Jahren?
    Goldman: Viel! Viel ist passiert! Als ich für das Buch Lesley Woods von der Punkband The Au Pairs interviewt habe – sie ist heute eine Anwältin und setzt sich für die Rechte von Immigranten ein – hat sie sich an ihre Anfänge als Musikerin erinnert: Damals durften Frauen kein eigenes Haus kaufen, wenn ein Mann seine Frau geschlagen hat, konnte die Frau dagegen nicht rechtlich vorgehen. Klar, der Kampf geht immer weiter. Aber wenn wir negieren, was wir erreicht haben, das macht einen doch fertig! Das führt doch nur dazu, dass wir den Mut verlieren, weiter zu machen.
    Ich habe ein Buch über Bob Marley geschrieben: "The Book Of Exodus". Es endet mit einem Satz von ihm, der mich sehr beeindruckt hat. Meine Frage war: Wie geht es Ihnen damit, dass einer ihrer Freunde aus Kindheitstagen, Claudie Massop, der immer auch in politischer Hinsicht an Ihrer Seite war, nach dem berühmten Friedenskonzert auf Jamaika im Jahr 1979 – dass er nur kurz darauf von der Polizei erschossen, besser gesagt: mit Kugeln durchlöchert wurde? Und Bob sagte: "I and I is Rasta. And the struggle continues." Wir gehören vielleicht nicht zur Rasta-Kultur, aber der Punkt ist: Die Probleme mögen uns noch immer begleiten. Nur: Wenn wir vergessen, welche Fortschritte wir gemacht haben, sind wir verloren.
    Reimann: Glauben Sie, dass Musik heute noch gesellschaftliche Veränderungen herbeiführen kann?
    Goldman: Ich glaube nicht nur daran, irgendwie muss ich auch daran glauben. Jeder trägt seine Probleme mit sich herum, muss seine eigenen Kämpfe ausfechten – und das mit den ganz individuellen Fähigkeiten. Meine Fähigkeiten sind das Schreiben und die Musik. Und ich sehe immer noch, dass Musik begeistern kann, selbst wenn sie vielleicht nicht mehr dieselbe Kraft wie früher hat. Ich unterrichte Musikgeschichte an der Universität von New York. Und, meine Güte, was waren meine Studierenden berührt, als ich ihnen den Coachella-Auftritt von Beyoncé gezeigt habe. Den Auftritt mit der Marching Band. Sie hat sich auf verschiedene Traditionen der afroamerikanischen Gesellschaft bezogen, auf Gruppen, die für ihr Trommelspiel bekannt sind. Und das hat meine Studierenden total berührt, es hat sie richtig gepackt!
    Beyoncé ist eine Frau, die nicht viel redet. Aber sie macht sich viele Gedanken, wenn es um ihre Musik geht. Und sie ist ein großer Star, so etwas muss also nicht immer aus dem Underground kommen. Und meine Studierenden, die fühlten sich befreit von diesem Auftritt. Ich war ganz ergriffen!