Seit dem gewaltsamen Tod des Afroamerikaners George Floyd demonstrieren in den USA Tag für Tag Zehntausende Amerikanerinnen und Amerikaner gegen Rassismus, Polizeigewalt und gegen US-Präsident Donald Trump. Trotz der Ansteckungsgefahr durch Coronaviren fühlten sich die Menschen dazu verpflichtet, auf die Straße zu gehen, sagte Kenton E. Barnes, Dozent der Technischen Universität Braunschweig am Institut für Anglistik und Amerikanistik, im Dlf.
Wenn er mit seinen Verwandten in den USA spräche, würden diese vor allem ihre Besorgnis darüber äußern, dass auch der Tod von George Floyd nichts an der Polizeigewalt ändern könne. Immer wieder seien Polizisten in anderen Fällen freigesprochen worden. Sie hofften nun, dass dieser Fall einen Wendepunkt darstelle.
Dirk-Oliver Heckmann: Kenton E. Barnes kommt ursprünglich aus Toledo in Ohio und ist seit 2002 in Deutschland. Er ist Vizevorsitzender der Democrats Abroad Germany. Das ist die Auslandsorganisation der amerikanischen Demokraten. Und stolzer Afroamerikaner. Kann man das so sagen, Herr Barnes?
Kenton E. Barnes: Ja, man kann es sehr gut sagen.
Heckmann: Mit wieviel Sorge begleiten Sie denn als stolzer Afroamerikaner die Entwicklung in Ihrem Heimatland?
Barnes: Sehr, sehr besorgnisvoll, dass ich dort mit meinen Mitbrüdern und Schwestern in den USA nicht protestieren kann. Aber auf der anderen Seite ist es auch ein bisschen gefährlich wegen der Coronakrise, dass die Menschen auf die Straße gehen. Aber sie fühlen sich gezwungen, das zu tun, weil es ist so lange her, dass es keine Gerechtigkeit für Afroamerikaner in den USA gegeben hat. Sie werden hoffentlich etwas bezwecken mit ihren Protesten, dass die Maßnahmen der Polizei in den USA geändert werden.
"Hoffen, dass das hier ein 'turning point' ist"
Heckmann: Wie erleben Sie denn die Stimmung in Ihrem Land? Sie haben ja sicherlich vielfältige Kontakte und telefonieren mit Ihren Leuten.
Barnes: Genau. Mit meinen Verwandten zum Beispiel in den USA. Sie machen sich darum Sorgen, dass nichts passieren wird. Das ist nur noch eine Person, die gestorben ist durch die Polizei, aber in der langen Reihe von Polizeigewalt gegen die Afroamerikaner wird nichts anderes passieren, weil so oft in den anderen Fällen nichts passiert ist, oder die Polizei wird immer freigesprochen. Sie hoffen, dass das hier ein turning point ist, aber sie haben nicht so viele große Hoffnungen.
Heckmann: Herr Barnes, die Generalstaatsanwaltschaft von Minnesota hat jetzt Anklage gegen alle vier beteiligten und inzwischen entlassenen Polizisten erhoben. Die Anklage gegen den Hauptbeschuldigten wurde auf Mord zweiten Grades hochgestuft und den anderen Beteiligten wird Beihilfe oder Anstiftung auch zum Mord vorgeworfen. Das berichtet eine Tageszeitung. Zeigt das nicht doch, die Justiz funktioniert in den USA?
Barnes: Das können wir nur hoffen! Keith Ellison, der Attorney General von Minnesota, der diesen Fall vor Gericht bringen wird, hat gesagt, es wird schwer werden, das zu beweisen, dass die Polizisten schuldig sind, und dass die schuldig gesprochen werden, wird auch sehr schwer. Aber er wird alle Mittel dagegen einsetzen, damit hoffentlich dann eine Schuldsprechung gegen die Beschuldigten gefunden wird.
"Er wird das mit allen Mitteln machen, auch mit Gewalt"
Heckmann: Das werden wir abwarten müssen, wie das am Ende ausgeht. Sie sagten selber, es gab auch schon Freisprüche in solchen Fällen. – Donald Trump hatte ja gedroht, Soldaten in die Staaten und in die Städte zu schicken, die nicht in der Lage seien, für Ruhe zu sorgen. Aus Ihrer Sicht: Wie stellt sich das dar? Welche Motive treibt Donald Trump? Ist das allein seine Wiederwahl?
Barnes: Ja, das glaube ich auch. Das ist nur ein Trick sozusagen, um seiner Basis zu zeigen, dass er ein starker Mann ist und dass er alleine die Probleme der USA lösen kann. Er wird das mit allen Mitteln machen, auch mit Gewalt, wenn nötig, und ich glaube, das ist nur für seine Anhänger, die sehr an ihm hängen.
Heckmann: Aber andererseits, Herr Barnes, kann man ja auch sagen, oder muss man vielleicht auch sagen, es gibt ja auch massive Gewalt vonseiten von Demonstranten. Wir haben die Bilder gesehen. Gewalttäter, Plünderer nutzen die Gelegenheit vielleicht auch. Muss man da nicht sagen, da muss der Staat eingreifen?
Barnes: Das würde ich nicht sagen. Ja, es gibt Plünderungen. Das ist richtig. Aber ich glaube, das ist nur eine Minderheit von den Protestanten, die die Chancen ausnutzen, etwas zu tun. Sie wollen das hijacken sozusagen. Ich glaube, die meisten Menschen werden friedlich sein. Sie wollen beweisen, dass George Floyd im Vordergrund steht und nicht im Hintergrund. Diese Plünderungen wird alles viel schlimmer machen und sie geben sich sehr viel Mühe, dem Land zu zeigen, dass es nicht um Plünderungen geht, sondern um George Floyd.
Wenn diese Nachricht nicht gehört wird, oder von einer ganz kleinen Minderheit entgleist wird, dann ist das nicht das Ziel der Protestanten. Sie wollen zeigen, sie haben die Nase voll von dieser Polizeigewalt, und sie wollen den weißen Menschen auch zeigen, hey, wir haben auch ein Leben und unser Leben ist wertvoll.
Barnes: Müssen intensiv mit den Menschen sprechen
Heckmann: Die Proteste richten sich ja gegen Polizeigewalt, aber auch natürlich gegen Rassismus. Sie sind ja seit 2002 in Deutschland. Dennoch: Haben Sie Rassismus erfahren in Ihrem Heimatland?
Barnes: Habe ich auch anhand der Polizei, würde ich sagen. Es gibt einen Pressesprecher, der für CNN arbeitet, und der hat eine Frage gestellt, und das war für schwarze Männer. Der hat gesagt, wann war es das erste Mal, als Du von der Polizei bedroht wurdest oder etwas mit der Polizei zu tun hattest. Einer hat geantwortet, Hauptsache, dass Du "wann" gefragt hast, statt "ob überhaupt". Das war sehr bemerkenswert und ich finde auch, dass viele Afroamerikaner immer Angst vor der Polizei haben oder auch vor Rassismus von weißen Menschen. Zum Beispiel gab es in Georgetown vor drei Jahren, 2016. Es gibt zu viel Rassismus und wir haben die Probleme von Jim Crow noch nicht gelöst und das muss gelöst werden. Wir müssen eine ganz tiefe Sprache oder ein ganz tiefes Gespräch mit allen Menschen haben, um diese Probleme zu lösen.
Heckmann: Ganz kurz vielleicht noch: Wie erleben Sie es hier in Deutschland im Vergleich?
Barnes: In Deutschland gibt es Probleme, aber die sind nicht so stark wie in den USA, und ich glaube, das ist so, weil es gibt nicht so viele Ausländer hier oder schwarze Menschen oder People of Color hier in Deutschland. Ich glaube, wenn Deutschland die Kolonien in Afrika noch behalten hätte können, dann gäbe es vielleicht mehr Probleme wie zum Beispiel in Großbritannien oder in Frankreich, wo sie viele Schwarze oder Leute aus Afrika als Bürger haben. Wir sehen, in den Ländern gibt es immer Probleme, es kommt immer zu Gewalt oder so was, und es ist manchmal ähnlich wie in den USA. Aber hier in Deutschland ist das nicht so, aber man sieht trotzdem ein paar Gedanken aus den Kolonialismus-Zeiten, die hier noch überlebt haben, zum Beispiel mit Logos oder so was in der Art.
Heckmann: Das werden wir sicherlich bei Gelegenheit vertiefen können. Das Thema wird uns ja weiter begleiten.
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