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VKA-Präsident zu Tarifkonflikt
Gewerkschaften und Arbeitnehmer müssen in der Realität ankommen

Ulrich Mägde, Verhandlungsführer der Kommunen (VKA), fordert mehr Realitätssinn vonseiten der Arbeitnehmervertreter. Der neue Tarifvertrag müsse die Auswirkungen der Coronakrise berücksichtigen, insbesondere die Last für die Kommunen. Für Pflegekräfte habe man jedoch Zusatzzahlungen vorgesehen.

Ulrich Mägde im Gespräch mit Jörg Münchenberg |
Stuttgart: Ein Plakat hängt an der Haltestelle Hauptbahnhof an einem Schalter der SSB. Die Gewerkschaft Verdi erhöht im Tarifkonflikt des öffentlichen Dienstes den Druck.
VKA-Präsident Ulrich Mägde lehnt "bessere Gehaltssteigerungen" ab - Personalkosten auf Pump zu finanzieren sei mit ihm nicht zu machen, sagte er im Dlf (dpa/ Marijan Murat)
In Hamburg, Niedersachsen, Bremen, Baden-Württemberg, Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt hatte Verdi am Mittwoch (21.10.2020) noch einmal zu Warnstreiks aufgerufen, um die eigenen Mitglieder zu mobilisieren und um den Arbeitgebern klarzumachen: Ihr müsst euer Angebot noch einmal deutlich nachbessern.
Das Angebot der Arbeitgeberseite - eine Lohnerhöhung von 3,5 Prozent in drei Jahresstufen sowie eine Corona-Sonderzahlung von 300 Euro und gesonderten Zuzahlungen für Pflegekräfte sei keine Anerkennung der Arbeit, sagen Gewerkschaftsvertreter. Andrea Kühnemann, stellvertretende Landesleiterin bei Verdi in Berlin-Brandenburg: "Das ist nicht mal der Inflationsausgleich. Deswegen ist das Angebot zu Recht von Verdi abgelehnt worden."
Zähe Verhandlungen zwischen Verdi und den Kommunen
Nun gehen die Verhandlungen weiter. Verdi rechnet frühestens mit einer Entscheidung am Sonntag, schließt aber auch eine vierte Verhandlungsrunde nicht aus. Über den Tarifkonflikt spricht im Interview Ulrich Mädge, der Verhandlungsführer der kommunalen Arbeitgeberverbände und Oberbürgermeister von Lüneburg.
Eine leere Fußgängerzone in der Stadt Öhringen.
Corona drängt Kommunen zu Haushaltssperren
Städten und Gemeinden drohen wegen der Coronakrise Einbußen von bis zu 30 Milliarden Euro. Viele reagieren darauf mit Haushaltssperren – und streichen aus Angst vor dem Steuerloch ihre geplanten Investitionen zusammen.
Jörg Münchenberg: Wie zuversichtlich gehen Sie in die heutigen Verhandlungen?
Ulrich Mädge: Als Kommunalpolitiker ist man immer zuversichtlich, dass man Kompromisse findet, und so bin ich auch heute zuversichtlich, dass wir am Ende des Tages – also nicht heute, sondern übertragen – auch zu einem Ergebnis kommen.
Münchenberg: Bei den Gewerkschaften muss man sagen, klingt das ganz anders, die sagen, da muss das Angebot der kommunalen Arbeitgeber doch erheblich nachgebessert werden, sonst gibt es keine Einigung.
Mädge: Ja, gut, wir haben ja in den letzten acht Wochen erheblich nachgebessert, gerade im Bereich der Pflege, und ich glaube, man muss schauen, gerade vor den Zahlen jetzt und der wirtschaftlichen Situation, die ja nicht besser geworden ist, dass man jetzt in der Realität ankommt. Da bin ich mir sicher, dass es auch da Rückmeldungen gegenüber Herrn Werneke aus seinen Betrieben gibt.
In der Kindertagesstätte "Fuchsbau" vom DRK-Kreisverband Leipzig befestigen Erzieherinnen mit ihren vier- und fünfjährigen Kindern selbstgemalte Bilder am Zaun der Einrichtung. Eltern hatten in der Nacht bereits ein Schriftband angebracht, auf dem "Danke allen ErzieherInnen - Eure Kinder und Eltern" angebracht. 
Gewerkschaften und Arbeitgeber auf Konfrontationskurs
Vor den Tarifverhandlungen des Öffentlichen Dienstes sind die Fronten verhärtet. Die Gewerkschaften fordern mehr finanzielle Anerkennung für die Beschäftigten in der Coronakrise, die Arbeitgeberseite verweist auf die Milliardenlöcher in den kommunalen Haushalten.
Mägde: Wollen Verbesserungen für die Pflege anbieten
Münchenberg: Nun sprechen die Gewerkschaften trotzdem noch von einem dreisten Angebot, das klingt ja schon ziemlich empört.
Mädge: Na ja, ich glaube, da ist jemand von der Abteilung Polemik im Hintergrund tätig, der solche Begrifflichkeiten dort einführt. Das ist nicht mein Begriff und muss Verdi selbst verantworten.
Münchenberg: Ein Vorwurf lautet ja, die Politik habe viel versprochen, gerade jetzt in den Corona-Zeiten, aber jetzt sollten dann die Pfleger und Pflegerinnen doch nur mit 50 Euro Bonus abgespeist werden. Ist da nicht was dran?
Mädge: Was nicht stimmt. Eine Intensivschwester – und die waren die meist belasteten – wird nach unserem Vorschlag mindestens 8 Prozent mehr bekommen, da ist eine deutliche Gehaltssteigerung drin. Und dass wir über die Pflege noch mal reden müssen, haben wir auch immer wieder zugesagt, aber wir haben bewusst unseren Schwerpunkt genau auf die Pflege gelegt, um hier eine Verbesserung anzubieten, und das kann man auch an den Zahlen erkennen.
Ein Tropf hängt in einem Operationssaal in einem Krankenhaus, im Hintergrund verschwommene Lichter.
Corona: Erkenntnisse einer Krise - Lehren für Medizin und Pflege
Das deutsche Gesundheitssystem hat sich in der Coronakrise relativ gut bewährt. Ein Grund dafür ist, dass die Intensivmedizin solide ausgestattet ist, denn sie bringt den Krankenhäusern viel Geld. Genau das ist jedoch auch eine der Schwächen des Systems.
Münchenberg: Trotzdem, die zweite Corona-Welle läuft durch Europa. Jetzt kamen heute Morgen die neuen Zahlen zu Neuinfektionen, mehr als 11.000, das heißt, den Mitarbeitern in den Krankenhäusern stehen jetzt sicherlich auch wieder arbeitsreiche Monate bis zur Belastungsgrenze bevor. Wäre es da nicht sinnvoll, das noch mehr zu honorieren?
Drei Töpfe für Intensivpflegerinnen geplant
Mädge: Na ja, acht Prozent im Jahr mehr Gehalt, ich kenne keine Branche und keinen Beruf, der so viel mehr bekommt in diesem Jahr und im nächsten Jahr, also da honorieren wir es schon an der Stelle.
Münchenberg: Trotzdem war ja das Argument davor, dass eben die Pflege auch zu wenig bekommt.
Mädge: Eine Intensivpflegerin bekommt ja aus drei verschiedenen Töpfen, in Anführungsstrichen, Zulagen. Es gibt ja eine eigenständige Intensivzulage zum Beispiel, die heben wir an. Dann gibt es zum ersten Mal eine Pflegezulage für alle auf Dauer, die wir einführen wollen, insofern summieren sich die Beträge auf. Die Gewerkschaft sieht eben nur diese allgemeine Pflegezulage und nicht das, was wir bei der Intensivschwester besonders tun wollen, weil wie gesagt, das ist der belastetste Beruf wahrscheinlich auch in der Zukunft leider, und da wollen wir auch die honorieren und anerkennen.
"Kommunale Häuser sind finanziell am Limit"
Münchenberg: Das heißt aber, Herr Mädge, Sie sehen genau an diesem Punkt jetzt wenig Spielraum, noch mehr nachzubessern.
Mädge: Es gibt immer ein bisschen Spielraum, und wir werden heute – das ist unser Vorschlag – gleich in den Verhandlungen als Erstes damit beginnen, um hier diesen Bereich abzuschließen. Letztendlich sind alle kommunalen Häuser finanziell am Limit sozusagen. Wenn Land und Bund dort mehr erstatten und die Kassen auch, und Sie sehen, hören aber auch und lesen die Diskussion um die Kassen, dann geht da auch noch mehr nach oben. Wir halten uns in den Spielräumen, die wir haben, weil es hilft nichts, wenn wir dann im nächsten Jahr kommunale Häuser verkaufen oder privatisieren. Ich glaube, damit helfe ich auch nicht der Pflegerin. Aber wie gesagt, 8 Prozent für eine Intensivpflegerin ist doch schon etwas, was wir da angeboten haben.
Kommunen haben 30-Milliarden-Hilfspaket vom Bund gefordert
Münchenberg: Verdi verweist ja bei seinen Forderungen auch auf die vielen kommunalen Überschüsse in den Vorjahren, außerdem werden ja die Mehrwertsteuerausfälle durch den Bund jetzt Corona-bedingt ausgeglichen, also ist doch eigentlich genug Geld da, um noch mal deutlich nachzulegen.
Mädge: Nein, erst mal, der Bund gleicht ja einen Teil der Gewerbesteuer aus, ungefähr 60 Prozent, den Verlust aber nur für dieses Jahr, nicht für die nächsten beiden Jahre, und wir rechnen in den nächsten jeweils auch noch mal mit neun Milliarden Ausfällen an der Stelle. Wenn es heißt, es ist genug Geld da, ja, bei einigen wenigen Städten war das da, aber wir haben doch nicht umsonst ein 30-Milliarden-Hilfspaket für die Kommunen gefordert, schon vor Corona, insbesondere für die Städte in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und auch in Niedersachsen. Wenn ich es an meiner Stadt sehe, dann war ich jetzt gerade so weit, die Verluste aus der Finanzkrise 2008/2009 auszugleichen, weil wir mussten ja zwischendurch auch ganz massiv in Bildung investieren. Also das stimmt so nicht, das weiß auch Herr Werneke, der ja auch mir immer sagt, er kämpft für uns, dass wir dieses 30-Milliarden-Paket bekommen sollen, also dann bräuchten wir das ja nicht.
"Wir haben auch mächtig investiert in Schulen"
Münchenberg: Trotzdem, Herr Mädge, haben die Kommunen ja teilweise – vor Corona sind ja die Steuereinnahmen kräftig gesprudelt, und davon haben ja auch dann die Kommunen profitiert.
Mädge: Ja, aber wir mussten ja auch ausgleichen. Wir sind ja doppisch unterwegs, das heißt kaufmännisch, man kann ja die Bilanzen sich angucken. Wenn ich mir meine Bilanz angucke, dann haben wir immer gerade ein abgeschlossenes Jahresergebnis bekommen, aber wir haben auch mächtig investiert in Schulen. Ich hab alleine 150 Millionen in den letzten zehn Jahren in Schulen investiert, das Geld fällt ja auch nicht vom Himmel. Von daher muss man hier die Ansprüche ausgleichen. Und jetzt zu sagen, wir müssen da bedeutend nachlegen und dann das aus Kontokorrentkrediten, also auf Pump zu finanzieren, ich glaube, ich kenne keinen Arbeitgeber, der auf Dauer Personalkosten auf Pump finanziert. Ich lehne das jedenfalls ab.
"Echte Katastrophe, die wir noch jahrelang handeln müssen finanziell"
Münchenberg: Halten Sie eigentlich Streiks jetzt bei Kitas und auch im öffentlichen Nahverkehr in Corona-Zeiten für angemessen?
Mädge: Überhaupt nicht, das hab ich immer gesagt, weil es gibt ja nicht nur 2,4 Millionen Heldinnen und Helden im öffentlichen Dienst, sondern daneben noch 24, 25 Millionen andere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die genauso die Wirtschaft und unser Land in Gang halten. Und die werden hier abgestraft für das, dass sie dort mehr arbeiten und ihre Kinder nicht unterbringen können. Es bringt auch in der Sache nichts. Das sind die Rituale der vergangenen Jahre, und man muss einfach mal wahrnehmen, dass Corona nicht nur ein vorübergehendes Problem ist, sondern dass wir hier eine echte Katastrophe haben, die wir jahrelang noch handeln müssen finanziell, aber auch mit unseren Leuten. Wir brauchen die Leute, das ist richtig, aber sie kriegen ihre Anerkennung, das ist auch richtig, aber es ist auch unser Job, diese Arbeit so zu machen, wie das der Handwerker auch machen muss oder eben auch derjenige, der irgendwo am Hochofen steht oder bei VW Autos schraubt.
Dreijährigen Tarifvertrag "um über diese Krise zu kommen"
Münchenberg: Herr Mädge, Sie haben die schwierigen Zeiten angesprochen, da stellt sich ja schon die Frage, wäre es nicht sinnvoller gewesen, diese Tarifverhandlungen zu vertagen? Die Gewerkschaften waren dazu ja bereit.
Mädge: Ja, aber mit einer Gegenleistung ein halbes Jahr vertagen, 1.500 Euro Einmalzahlung, das wäre eine Gehaltserhöhung von 12 Prozent gewesen. Und was wäre denn im Frühjahr anders gewesen? Dann können wir vertagen um zwei Jahre, so lange brauchen wir schätzungsweise, um nach Impfungen wieder wirtschaftlich auf eine Basis zu kommen. Ich finde, gerade in Krisenzeiten muss man verlässlich sein und Planungssicherheit geben, das ist meine berufliche Erfahrung, und deswegen wollen wir auch einen dreijährigen Tarifvertrag haben, um über diese Krise zu kommen. Und nach der Krise, wenn es uns wirklich gut geht, auch finanziell, sind wir ja wie in den letzten Jahrzehnten bereit, dann auch über neue prozentuale und vielleicht bessere Steigerungen zu entscheiden und zu verhandeln als jetzt. Aber wir sind in einer Krise, das muss man doch mal deutlich sehen.
"Arbeitsplatzsicherung im Moment das Entscheidende"
Münchenberg: Aber Verdi sagt ja, vielleicht hätten die Arbeitgeber auch darauf gehofft, dass die Gewerkschaften jetzt in Corona-Zeiten eher kompromissbereit sind.
Mädge: Das ist Quatsch. Wer mich kennt, der weiß, dass ich an solche Ideen gar nicht rangehe, sondern ich gehe fair mit den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und versuche da eine Lösung zu finden, die situationsbezogen dabei ist. Ich bin jetzt seit 15 Jahren in den Verhandlungen dabei, auch insbesondere beim Erziehungsdienst, und habe immer genau geschaut und sehe, das weiß auch Verdi, was geht und was geht nicht. Aber man muss jetzt mal einsehen, dass im Moment die Arbeitsplatzsicherung das Entscheidende ist für alle Kolleginnen und Kollegen, dass sie nicht wie bei Airbus bei mir in Hamburg vor der Tür hören, morgen kommt die Kündigung – das gibt’s bei uns nicht. Das pflegen wir ein, da sind wir verlässlich, und wir tun etwas bei der Pflege, und wir bieten denen ja etwas an, was über der Inflationsrate liegt. Ich glaube, das ist schon ein Paket, das sich sehen lassen kann, wenn man in der Realität ist. Wenn man natürlich irgendwo auf Wolke sieben ist, dann kann man das nicht sehen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.