"Schluss mit der Völkermord-Verleumdung - Nimm deine Fahne und komm!" - So steht es in Türkisch auf dem Plakat, mit dem mehrere türkische Vereine am Samstag zu einer Demonstration in Berlin aufrufen. Es habe keinen Völkermord gegen die Armenier gegeben. Deutschland dürfe den Begriff Genozid nicht benutzen, sagen die Wortführer des Organisationskomitees. Einer von ihnen ist der Präsident der konservativen Türkischen Gemeinde zu Berlin, Bekir Yilmaz. Er spricht von einer Verschwörung gegen die türkische Regierung.
"Es ist natürlich irgendwo auch so ein Beigeschmack, dass man ein Land verurteilen will, weil vielleicht die Politikmacher in der Türkei seit einigen Jahren nicht immer das tun, was die Welt von ihnen erwartet. Jetzt will man sie auf diesem Wege bestrafen, habe ich das Gefühl."
Die Türkische Gemeinde zu Berlin - nicht zu verwechseln mit der liberalen Türkischen Gemeinde in Deutschland - hat 76 Mitgliedsvereine. Sie sind mehrheitlich politisch und islamisch konservativ, darunter sind aber auch nationalistische und faschistische Vereine wie die Grauen Wölfe. Die Mehrheit der türkischen Bevölkerung stehe hinter der Position der Türkischen Gemeinde zu Berlin und werde eine Einstufung der Ereignisse als Genozid nicht akzeptieren, sagt ihr Präsident Yilmaz. Nur ein Gericht dürfe darüber urteilen, ob es ein Völkermord gewesen sei oder nicht. Der Bundestag, der Bundespräsident, der Papst oder Parlamente seien für eine geschichtliche Wahrheitsfindung nicht geeignet, sagt Bekir Yilmaz, selbst islamisch-konservativ und SPD-Mitglied:
"Wir sind nicht bereit, vor eine Tatsache gestellt zu werden. Ich kann es nicht akzeptieren, dass irgendwelche Bezirkspolitiker darüber entscheiden, was vor hundert Jahren geschehen ist."
Zu ihrer Demonstration erwarten die türkischen Vereine mehr als 10.000 Teilnehmer aus dem gesamten Bundesgebiet. Das türkische Konsulat äußert sich nicht zu der Genozid-Debatte. Aber es schickt das Plakat der Demonstration als Aufruf über seinen E-Mail-Verteiler.
"Deutschland spielt leider mit"
Unterdessen gibt es auch andere Vereine, die sich mit den Armeniern solidarisieren und dazu aufrufen, den Völkermord anzuerkennen. Dazu gehören die Kurdische Gemeinde in Deutschland, die Alevitische Gemeinde und der Verein Akebi von den türkeistämmigen Aktivisten gegen Rassismus, Nationalismus und Diskriminierung. Nihat Kentel von Akebi sagt, es sei eine Gewissensfrage, den Genozid anzuerkennen. Eine Leugnung könne dazu führen, dass Völkermorde wiederholt werden könnten.
"So wie letztens der türkische Staatspräsident die restlichen 100.000 Armenier bedroht hat, dass sie eventuell deportiert werden können, ist es immer der gleiche Kopf des Völkermörders, der immer noch gültig ist."
Der türkische Staatspräsident Erdogan hatte nach dem Beschluss des EU-Parlaments und der Äußerung von Papst Franziskus gesagt, die Türkei könnte ihre armenischen Staatsbürger deportieren, aber sie tue es nicht, sondern behandle sie als Gäste. Eine Aussage, die Fevzi Aktas vom Kurdistan Kultur- und Hilfsverein, Komkar, nicht überrascht:
"Die Türkei ist dominant bei dieser Frage und versucht, auf jedes Land Druck auszuüben, dass keiner diesen Völkermord anerkennen soll. Deutschland spielt leider mit. Es gibt Hinweise und Spuren, dass die damalige deutsche Regierung bei den Massakern einigermaßen mitgemacht hat."
In ihrem Antrag nehmen die Koalitionsfraktionen Bezug auf die "unrühmliche deutsche Rolle" bei der Deportation und Vernichtung der Armenier und reihen die Ereignisse ein in die Liste der "Massenvernichtungen, der ethnischen Säuberungen, der Vertreibungen, ja der Völkermorde, von denen das 20. Jahrhundert auf so schreckliche Weise gezeichnet ist". Der Vorsitzende der Alevitischen Gemeinde Berlin, Halit Büyükgöl, hofft, dass der Bundestag den Genozid anerkennen werde. Deutschland habe lange genug Rücksicht auf die Beziehungen mit der Türkei genommen.
"Wenn sie einen Völkermord erkennen, muss man nicht hundert Jahre warten. Die hätten auch früher anders reagieren können. Wenn politisch und geschäftsmäßig die Sachen benutzt werden, das finden wir nicht schön."
Die Aleviten und Kurden wollen sich am Samstag der Demonstration der Armenier anschließen und eine Anerkennung des Genozids fordern.