"Armenier und Türken können in diesem Lande nicht zusammen leben, eine der Rassen muss gehen. Ich tadle die Türken nicht für das, was sie mit den Armeniern machen, ich halte das für völlig gerechtfertigt, die schwächere Nation muss verschwinden."
Mit seinen Äußerungen zu den Deportationen der Armenier ergriff der deutsche Marineattaché Hans Human im Frühjahr 1916 nicht nur dezidiert Partei für die Türkei, er fiel damit auch seinem Vorgesetzten in den Rücken: Der deutsche Botschafter im Osmanischen Reich, Graf Wolf Metternich, hatte Berlin wiederholt über Massaker an den Armeniern berichtet und die Reichsregierung aufgefordert, Druck auf den Bundesgenossen auszuüben. Auch der evangelische Theologe und Orientalist Johannes Lepsius hatte seinen Bericht "Über die Lage des armenischen Volkes in der Türkei" bereits 20.000 Mal im Deutschen Reich verteilt, bevor er im Krieg von der Zensur verboten wurde. Die deutsche Regierung wusste also, was im Südosten der Türkei geschah, doch sie blieb untätig, so der Leiter des Lepsiushauses in Potsdam, Rolf Hosfeld.
"Sie hat es sehenden Auges zugelassen, was dort passierte, man kann nicht behaupten, dass gar nichts gemacht worden ist, es gab Demargen, es gab auch Proteste bei der osmanischen Regierung seitens des deutschen Botschafters, aber es gab keine entschiedenen Maßnahmen. Man hat sozusagen über die Verbrechen eines Verbündeten aus Eigeninteresse hinweggesehen, um eben mit allen Mitteln den Krieg siegreich beenden zu wollen."
Aus Eigeninteresse weggesehen
Das Osmanische Reich war im Herbst 1914 an der Seite der Mittelmächte in den Ersten Weltkrieg eingetreten und hoffte dadurch, Gebiete, die es an Russland verloren hatte, wiederzugewinnen. Vor allem aber verfolgte die jungtürkische Regierung an der Spitze des Reiches eine Politik der ethnischen Homogenisierung. Aus dem Vielvölkerstaat sollte ein türkischer Nationalstaat werden, wobei türkisch hieß: kulturell islamisch geprägt. Die christlichen Armenier, die in Ostanatolien ein Drittel der Bevölkerung ausmachten, wurden als Fremdkörper angesehen, den es zu beseitigen galt.
Nachdem armenische Nationalisten, die ihrerseits für einen unabhängigen Staat kämpften, die russische Armee unterstützten, nutzte die türkische Regierung dies als Vorwand für ein systematisches Vorgehen gegen die Volksgruppe. Am 24. April 1915 ließ sie in Istanbul 250 armenische Politiker und Intellektuelle verhaften und umbringen, einen Monat später trat das "Gesetz über die Bevölkerungsumsiedlung" in Kraft, das für die meisten Armenier einem Todesurteil gleichkam. Sie wurden aus ihren Häusern vertrieben, ermordet oder in Richtung syrische Wüste deportiert. Insgesamt fielen den Massakern und Todesmärschen mehr als eine Million Armenier zum Opfer.
"Was die Frage anbetrifft, war das sozusagen ein Kollateralschaden des Krieges oder war das ein geplanter Genozid, ist diese Frage im Grunde genommen bereits während des Ersten Weltkrieges definitiv beantwortet worden, und zwar seitens des Auswärtigen Amtes in Berlin, das eine klare Stellungnahme dazu bezogen hat und das auch wusste, dass dort eine geplante exterminatorische Politik vorliegt, es war ein Völkermord."
Völkermord von der Türkei nicht anerkannt
Doch genau davon will die türkische Regierung bis heute nichts wissen. Als das französische Parlament im Herbst 2011 ein Gesetz erließ, das die Leugnung des Völkermords unter Strafe stellte, reagierte der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan ausgesprochen scharf.
"Ab sofort werden alle auf bilateraler Ebene geplanten politischen, militärischen und wirtschaftlichen Arbeitsbesuche gestrichen, bilaterale militärische Manöver mit Frankreich werden ab sofort auch annulliert."
Das Oberste Gericht in Frankreich kippte das Gesetz zwar wenige Wochen später, da es gegen die Meinungsfreiheit verstoße, doch der Streit ist damit nicht beigelegt - und das nicht nur in Frankreich, so der armenische Historiker Ashot Melkonyan:
"Die Türken wissen ganz genau, dass sie in eine schwierige Lage kämen, wenn sie den Völkermord anerkennen würden. Denn der Völkermord wurde eigens zu dem Zweck geplant, uns aus unserer Heimat zu vertreiben. Wenn die Türkei das zugeben würde, könnte das zu territorialen Streitigkeiten führen, bei denen es um mehrere hundert Milliarden Dollar geht."
Es geht aber nicht nur um Geld, sondern auch um das eigene Selbstbild. Der Vorwurf des Völkermords sei Teil einer Kampagne gegen die Türkei, hat Erdogan erst vor Kurzem wieder betont, und damit deutlich gemacht, dass nationale Ehre für ihn stärker wiegt als das Eingeständnis einer historischen Schuld.