Schon 1842 zogen Missionare der Rheinischen Missionsgesellschaft nach Namibia, das dann 1884 als Deutsch-Südwestafrika Kolonie des Deutschen Reiches wurde. In ihrer Missionsarbeit standen sie in unmittelbarem Kontakt zu der sehr heterogenen Bevölkerung des afrikanischen Landes. Sie waren aber immer auch eng verbunden mit der Kolonialmacht. Später waren die christlichen Missionare, wie auch die kirchlichen Amtsträger der deutschsprachigen evangelisch-lutherischen Gemeinde, Zeugen eines unvorstellbaren Verbrechens, denen Schätzungen zufolge annähernd 90.000 Menschen zum Opfer fielen. Vor dem Hintergrund dieser historischen Erfahrung sieht sich die Evangelische Kirche im Rheinland bis heute in besonderer Weise in der Verantwortung, sagt die Oberkirchenrätin Barbara
"Weil wir sehen, dass die Auswirkungen der Kolonialzeit bis heute spürbar und erfahrbar "sind. Die Kombination der kolonialen Besetzung des Landes, die dann überging in die Apartheidzeit, führt dazu, dass bis heute in einem Land, das eigentlich reich sein könnte an Rohstoffen und Landwirtschaft, die Bevölkerung der Bevölkerungsgruppen die damals in dem Krieg auch involviert war, bis heute unter der Armutsgrenze leben. Das können wir einfach in der Partnerschaft nicht akzeptieren und müssen daran arbeiten."
"Missionare haben sehr ambivalente Rolle gespielt"
Die evangelisch-lutherische Kirche in Namibia verstand sich ganz selbstverständlich als Teil des Deutschen Reiches. Sie war geprägt vom imperialen Zeitgeist, dem in den Kolonien immer auch ein gehöriges Maß an Rassismus zugrunde lag. Frei davon waren auch die rheinischen Missionare in den vorwiegend von den Schwarzen geprägten Gemeinden nicht. Den Herero-Aufstand schlugen die deutschen Kolonialherrn mit äußerster Brutalität nieder. Von Seiten der evangelischen Geistlichen kam dagegen kein Widerstand, geschweige denn von der Amtskirche. Lauten Protest suchte man vergebens. Er blieb auch aus, als die Überlebenden des Massakers in Konzentrationslager gepfercht oder in die Wüste getrieben wurden, wo Tausende zugrunde gingen.
"Die von der Rheinischen Missionsgesellschaft entsandten Missionare haben eine sehr ambivalente Rolle gespielt in der Zeit des Völkermordes. Sie haben eine hohe Identität und Loyalität mit dem Deutschen Reich gehabt und haben aber aufgrund ihrer guten Kenntnisse der indigenen Bevölkerung auch eine Loyalität zu den Herero und Nama und Damara gehabt und haben versucht, beides in einen Ausgleich zu bringen. Aber insgesamt kann man sagen, dass sie versagt haben in diesem Versuch der doppelten Loyalität. Und ein Teil dieser Missionsgeschichte ist eben auch eine Versagensgeschichte an den Herero, Nama und Damara und deswegen begleitet uns das bis heute als Kirche."
Gleichwohl hat es Hilfeversuche gegeben, so Ulrich van der Heyden, Theologe an der Humboldt-Universität und zugleich stellvertretender Vorsitzender der Berliner Gesellschaft für Missionsgeschichte:
"Die Missionare gerade der Rheinischen Mission waren nicht beteiligt am Aufbau und der Verwaltung von Konzentrationslagern, sondern im Gegenteil: Sie haben versucht, das Schicksal, die Situation in die die gefangenen Nama und Herero gekommen sind, zu lindern. Die deutsche Kolonialverwaltung ist ja bekanntlich mit äußerster Härte vorgegangen gegen die einheimische Bevölkerung. Aber die Missionare haben versucht, im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu helfen. Das ist oft gelungen, aber natürlich nicht in dem riesigem Maße. Aber gerade die Diskussion, die jetzt darum geführt wird, zeigt ja, wie wichtig historische Forschungen sind."
Opfer kommen nicht zu Wort
Tatsächlich zeigt die Geschichte der evangelischen Kirche in Namibia noch immer manch weißen Fleck. Dazu zählt vor allem die Zeit des Apartheid-Systems in Namibia von 1948 bis 1994. Erst zehn Jahre nach dem Ende der Apartheid hat die EKD erstmals Stellung bezogen zum Völkermord. 2004 jährte sich zugleich der Völkermord zum 100. Mal. Aus diesem Anlass gab die EKD eine Forschungsarbeit in Auftrag. In dem voluminösen Werk konnten viele Fragen zur Rolle der Kirche von der vorkolonialen Zeit bis zur Phase der Apartheid geklärt werden. Jedoch löste dieser Studienprozess auch massive Kritik aus. So seien afrikanische Forscher kaum eingebunden gewesen, die Opfer kämen nicht zu Wort, ein klares Schuldbekenntnis fehlte.
Und ein weiteres Problem sieht der Theologe Ulrich van der Heyden:
"Eine der größten Schwächen ist, dass man als Europäer wieder nur über das gesprochen hat, was die Europäer in Afrika gemacht haben. Man hat also keinen Afrikaner gewinnen können, der aus afrikanischer Sicht Stellung bezogen hat."
Babara Rudolph hat für manche Einwände, in denen sich auch durch die Kolonialzeit geprägte Verwerfungen der Gesellschaft und kirchlichen Realität in Namibia wiederspiegeln, durchaus Verständnis.
"Was wir festgestellt haben, ist, dass die Interpretation der Kolonialzeit sehr unterschiedlich wahrgenommen wird. Die Herero, Nama und Damara einen anderen Zugang haben dazu als zum Beispiel Bevölkerungsgruppen, die nicht direkt involviert in diese koloniale Besatzungszeit involviert waren, wie zum Beispiel die Owambo im Norden. Dass es einen anderen Draufblick gibt derer, die mit weißer Hautfarbe in Namibia leben und eine dritte Perspektive, die wir hier in Deutschland haben."
"Die verschiedenen Positionen hören"
Noch immer ist die Kirchenlandschaft in Namibia geprägt von der Kolonialzeit. Die deutschsprachige evangelisch-lutherische Gemeinde hat nicht einmal 10.000 Mitglieder, darüber hinaus gibt es die beiden großen, von den verschiedenen Volksgruppen getragenen evangelisch-lutherischen Kirchen im Norden und Süden des Landes. Jeweils mit ganz unterschiedlichen Traditionen und Erinnerungskulturen. So hat die Kirche der Owambo im Norden Namibias einen starken Bezug zur Anti-Apartheid-Bewegung, während die der Herero im Süden ihre Erinnerungen eher aus der Kolonialzeit speist. Der Begriff Genozid ist in Namibia umstritten. Gerade Mitglieder der deutschsprachigen Gemeinde fragen sich, ob man nicht eher von Gewalt im Zuge eines Krieges reden müsste. Die EKD hat sich im vergangenen Jahr noch einmal klar positioniert und einen Ratsbeschluss verfasst, der auf einen von allen Beteiligten gemeinsam getragenen Versöhnungsprozess hinarbeitet. Einen solchen Weg wünscht sich auch Barbara Rudolph.
"Wir müssen miteinander Wege finden, dass Versöhnungsangebote von der anderen Seite auch als solche verstanden und akzeptiert werden können. Eine wichtige Aufgabe der Kirche ist, die verschiedenen Positionen, die in Namibia sind, die sich fast gegenseitig ausschließen, zunächst einmal zu hören. Wir werden mit den namibischen Kirchen gemeinsam schauen, welche Formen der Versöhnung brauchen wir in der Zukunft, damit Menschen in Deutschland und in Namibia sich des Völkermordes auch in versöhnender Weise erinnern können."