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Völkermord in Ruanda
„Es gab sogar Fußballer, die ermordeten ihre Mitspieler“

Dem Völkermord in Ruanda fielen 1994 rund 800.000 Tutsi sowie moderate Hutu zum Opfer. Die Milizen hatten auch Kämpfer auf Bolzplätzen und Tribünen rekrutiert. Und die gegnerische Rebellenarmee hielt sich mit Turnieren bei Laune. Welche Rolle spielte Fußball im Konflikt zwischen Hutu und Tutsi? Und wie fördert er nun die Versöhnung?

Von Ronny Blaschke |
Ruandische Jugendliche bei einem Fußballspiel im Vorort Gikondo der Hauptstadt Kigali.
Ruandische Jugendliche bei einem Fußballspiel im Vorort Gikondo der Hauptstadt Kigali. (AFP - PHIL MOORE )
In seinem Verein Rayon Sports ist der Torwart Eric Murangwa Anfang der Neunziger Jahre einer von drei Tutsi. Immer wieder wird er von Hutu-Milizen aus dem Teambus gezerrt und durchsucht. Immer wieder beschimpfen ihn Fans als Schlange und Kakerlake. Funktionäre des eigenen Klubs verbreiten Lügen über Murangwa. Am Morgen des 7. April 1994 beginnen Hutu-Soldaten, ihre vorbereiteten Mordlisten abzuarbeiten. Einige von ihnen stürmen die Wohnung von Eric Murangwa und seines Mitbewohners. Noch heute hat er die Szenen vor Augen.
"Ich habe wirklich gedacht, dass sie uns töten. Die Soldaten haben unsere Wohnung verwüstet. Dabei fiel ein Album mit meinen Fußballfotos auf den Boden. Ein Soldat entdeckte unser Mannschaftsfoto. Er war ein großer Fan von Rayon Sport und konnte sich an jedes Spiel erinnern. Plötzlich wollte er uns nicht mehr umbringen. Er gab uns sogar Tipps, wie wir die Nacht überleben. Das war Wahnsinn."
Eric Murwngwa sitzt an einem Tisch
Eric Murangwa (Dlf/Blaschke)
Die Bevölkerung beteiligt sich am Massenmord: Lehrer töten ihre Schüler, Kinder ihre Onkel, Arbeiter ihre Vorgesetzten. Eric Murangwa lernt auch die andere Seite kennen: Hutu-Mitspieler organisieren für ihn Verstecke und Lebensmittel. Für einige Tage kommt er bei einem ehemaligen Funktionär seines Klubs unter. Später erfährt Murangwa, dass dieser Funktionär ins Gefängnis muss, für die Morde an mehreren hundert Tutsi.
"Er kannte unsere Einstellungen. Gegenüber Bekannten war man oft in größerer Gefahr als gegenüber Unbekannten, denn sie hätten uns leicht verraten können. Die Welt war nicht schwarz und weiß. Es gab Menschen, die andere umbrachten. Doch dieselben Menschen retteten manchmal auch Leben."
Der Fußball in Ruanda ist schon weit vor dem Völkermord politisch aufgeladen. Verband und Vereine stehen unter Kontrolle der Hutu-Staatspartei, der MRND. Auf Anordnung des Sportministers soll der Nationaltrainer Hutu-Spieler bevorzugen. Anfang der Neunziger Jahre rekrutieren paramilitärische Gruppen wie die Interahamwe ihre Kämpfer auch auf Bolzplätzen und Tribünen, erzählt Jules Karangwa, früher Sportreporter und inzwischen Justiziar beim Fußballverband Ruandas.
Auch in Stadien wurde getötet
"Während des Genozids wurde überall getötet, auch in den Stadien. Denn dort konnten sie effektiv Menschen gefangen halten und kontrollieren. Auch in katholischen Kirchen war man nicht sicher. Es gab sogar Fußballer, die ermordeten ihre Mitspieler."
Jules Karangwa steht vor einer Stadiontribüne
Jules Karangwa (Dlf/Blaschke)
Aus dem Familienkreis des Torwarts Eric Murangwa fallen dreißig Menschen dem Genozid zum Opfer. Er zwingt sich, nach vorn zu schauen. Auf der Suche nach alten Mitspielern findet er fünf – von insgesamt dreißig. Mit weiteren Kickern verabreden sie sich zum Training, und schon vier Monate nach Ende des Völkermordes trifft sein Verein Rayon Sports in einem Spiel auf den Rivalen Kiyovu Sports. Eric Murangwa erinnert sich:
"Es war das erste unpolitische Großereignis nach dem Genozid. Für mich war Fußball ein Weg zurück in die Normalität. Aber es war schwer: Viele Funktionäre, Spieler und Fans waren tot, geflohen oder traumatisiert. Zu diesem ersten Spiel aber kamen 20.000 Zuschauer. Endlich war da wieder etwas Lehensfreude."
Fußball als Weg zurück in die Normalität
In den ersten Jahren nach dem Genozid stemmt sich Ruanda gegen Epidemien, Massenarbeitslosigkeit und ein Aufflammen der Gewalt. Etliche Verantwortliche des Völkermordes werden in Stadien öffentlich hingerichtet. Die neue Regierung, die Ruandische Patriotische Front RPF, nutzt den Fußball auch zur Versöhnung: mit Gedenkturnieren, Freundschaftsspielen und Projekten.
Das neue Nationalteam gilt als Symbol des Aufbruchs. In der wieder belebten Profiliga etabliert sich der Verein der siegreichen Rebellenarmee als Serienmeister. Einer seiner Vizepräsidenten ist der Zweisternegeneral Mubaraka Muganga.
"Wir haben den Klub unserer Armee 1993 gegründet, er ist eng mit dem Freiheitskampf verbunden. Wir Soldaten bestritten Spiele und organisierten Turniere. So kamen wir auf andere Gedanken und schöpften Mut. Manchmal gelang es uns sogar, durch Fußball neue Kräfte zu rekrutieren. Und später nach dem Genozid half uns der Fußball enorm, denn die Gesellschaft war hoffnungslos."
Fans mit Trommeln und Tröten auf einer kleinen Tribüne
Fans des Armeeklubs APR in Kigali (Dlf/Blaschke)
Unter dem autoritären Staatspräsidenten Paul Kagame entwickelt sich die Wirtschaft Ruandas rasant. Ohne natürliche Ressourcen und Zugang zum Meer möchte er das Land für Investoren und Großveranstaltungen öffnen. Im Fußball veranstaltet Ruanda regionale und kontinentale Turniere, insbesondere im Nachwuchs. 2018 findet in Kigali das Treffen des Fifa-Council statt. Die Hauptstadt ist auch Heimat vieler Projekte. Als Referent spricht dort auch der ehemalige Torwart Eric Murangwa mit Jugendlichen. Er war der erste Kapitän des Nationalteams nach dem Genozid.
"Es hat mich sehr stolz gemacht, Teil dieses Teams zu sein. Gerade auf Auswärtsreisen wollten wir Flüchtlinge überzeugen, zurück nach Ruanda zu kommen. Wir wollten alles wieder aufbauen. Als Kapitän habe ich mich wie ein Botschafter des Landes uns."
Eric Murangwa lebt inzwischen in London. Hunderte Male hat er über den Genozid berichtet: In Schulen und Universitäten, in Parlamenten und Stiftungen. Er glaubt, dass er mit seiner Biografie junge Menschen erreicht, vor allem wegen des Fußballs.