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Völkermord in Ruanda
Steinmeier: Internationale Gemeinschaft hat versagt

Vor 20 Jahren brachten Extremisten der ruandischen Hutu-Mehrheit 800.0000 Tutsi und gemäßigte Hutu um. Die internationale Gemeinschaft habe 1994 versagt, sagte Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier anlässlich einer Gedenkstunde im Deutschen Bundestag – und lenkte den Blick auf aktuelles Blutvergießen in aller Welt.

    Steinmeier (SPD) rief dazu auf, auch heute "alles Mögliche" zu tun, um brutales Töten zu verhindern. Die "Dämonen des Völkermords" seien keineswegs gebannt. "Wir sprechen nicht überall von Völkermord, aber wir stehen im Kongo, in Zentralafrika und Syrien vor endlosem Blutvergießen", sagte der Politiker bei der Gedenkstunde im Deutschen Bundestag.
    Internationale Gemeinschaft hat versagt
    Nach dem Holocaust hätten die Deutschen "Niemals wieder" gerufen, sagte Steinmeier. Doch das Versprechen habe Deutschland nicht halten können, ergänzte er. Die internationale Gemeinschaft habe in Ruanda versagt, als sie die Blauhelme inmitten der Gewalt abgezogen habe.
    Die CSU-Abgeordnete Dagmar Wöhrl sagte, 1994 habe der Mut gefehlt, die Situation ehrlich zu analysieren, zu verstehen und einzugreifen. Der Völkermord in Ruanda sei leichtfertig als Stammeskrieg abgetan worden. Heute stelle sich mit Blick auf die Konflikte in Syrien, dem Südsudan und der Zentralafrikanischen Republik die Frage, ob daraus ausreichend Lehren gezogen worden seien. Wöhrl sagte, man müsse sich nach Kräften engagieren, um Blutvergießen zu verhindern. Das bedeute aber nicht zwangsläufig mehr militärisches Engagement. Steinmeier betonte, es sei wichtig, die Eigenverantwortung Afrikas deutlich zu stärken. Bei seiner Reise nach Afrika in der vergangenen Woche sei ihm klar vermittelt worden, dass die Staaten Afrikas nicht als Bettler um Hilfe wahrgenommen werden wollten. "Wir wollen auch als Europäer, dass Afrika sein Schicksal selbst in die Hand nimmt", sagte Steinmeier.
    Beispielloses Morden
    Der Völkermord an den Tutsi in Ruanda schockierte 1994 die ganze Welt. Es waren Extremisten der Hutu-Mehrheit, die in dem ostafrikanischen Land ein beispielloses Blutvergießen anrichteten. In rund 100 Tagen wurden 800.000 Menschen niedergemetzelt, die meisten von ihnen Tutsi. Aber auch gemäßigte Hutu waren unter den Opfern.
    Auslöser war der Abschuss des Flugzeugs des ruandischen Präsidenten Juvenal Habyarimana, einem moderaten Hutu, am 6. April 1994. Die Umstände liegen bis heute im Dunkeln. Noch in derselben Nacht begann das Morden. Die Massaker an den Tutsi schienen von langer Hand vorbereitet, Radiosender riefen zur Vernichtung der Minderheit auf, Milizen erhielten Todeslisten.
    Konflikt in der Geschichte begründet
    Der Konflikt wurzelt in der Geschichte. Die früheren Kolonialmächte Deutschland und Belgien förderten vor allem die Tutsi als vermeintlich herrschende Schicht. Die Bezeichnungen Hutu und Tutsi stehen nicht für unterschiedliche Völker, sondern für soziale Gruppen wie Bauern und Viehzüchter. Beide sprechen die gleiche Sprache, Kinyarwanda.
    Nach Massakern an Tutsi 1959 flohen Tausende ins Nachbarland Uganda. Mit der Unabhängigkeit von Belgien 1962 gelangten die Hutu an die Macht. In den Folgejahren kam es immer wieder zu Massakern an den Tutsi. Im Exil bauten Tutsi-Flüchtlinge schließlich die Rebellengruppe "Ruandische Patriotische Front" (RPF) auf, die 1990 von Uganda aus Angriffe startete. Ein Friedensvertrag von 1993 sollte den Bürgerkrieg beenden. Doch der Abschuss der Präsidentenmaschine im April 1994 vereitelte dies.