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Völkermord und Präsidentschaftswahlkampf

Frankreichs Präsident Sarkozy fordert die Türkei bereits seit Längerem auf, die Massaker an Armeniern vor fast 100 Jahren als Genozid anzuerkennen. Nun stimmt die französische Nationalversammlung über einen Gesetzentwurf ab, der die Leugnung jedes Völkermords unter Strafe stellt. Ankara zeigt sich verärgert.

Von Ursula Welter |
    Ein Konzert für Armenien. Eine von vielen Initiativen im Land. Nach den Massakern von 1915 hatten viele Armenier Zuflucht in Frankreich gesucht. Lyon, Marseille aber auch Paris wurden zur neuen Heimat. Die Nachfahren der Flüchtlinge von einst sind heute fester Bestandteil der französischen Gesellschaft. Eine halbe Million Menschen etwa, ein wichtiges Wählerpotenzial, das Staatspräsident Sarkozy vor dem Urnengang 2007 für seine Zwecke entdeckte. 2001, unter dem damaligen Präsidenten Jacques Chirac, hatte Frankreich bereits ein Gesetz aufgelegt, mit dem der Völkermord an den Armeniern als solcher anerkannt wurde. Sarkozy versprach 2007, weitergehen und die Leugnung des Genozids unter Strafe stellen zu wollen. Nach den Wahlen aber verlor die Regierung das Interesse an dem Projekt.

    Zufall oder nicht – die heranrückenden Präsidentschaftswahlen 2012 bringen das Thema wieder auf die Tagesordnung. Bereits Anfang Oktober reiste Nicolas Sarkozy, im Beisein des armenisch-französischen Chansonniers, Charles Aznavour, nach Erivan:

    Frankreichs Staatspräsident beließ es nicht dabei, einen Baum an der Gedenkstätte des Genozids zu pflanzen, er forderte die Türkei von Armenien aus auf, die Massaker endlich als Völkermord anzuerkennen. Ihm scheine mit Blick auf den Kalender: 1915 bis 2011, das sei des Nachdenkens genug:

    Wenig später erhielt Frankreichs Senat eine linke Mehrheit und der Präsidentschaftskandidat der Sozialisten, Francois Hollande, der sich bis dahin nicht als Erinnerungspolitiker hervorgetan hatte, regte sogleich ein Gesetz an, das die Leugnung des Genozids unter Strafe stellen solle. Dieser Initiative der Sozialisten kam nun die Regierungspartei UMP zuvor. Der Gesetzentwurf, der heute zur Abstimmung steht, sieht ein Jahr Gefängnis und 45.000 Euro Strafe für die Leugnung jeden Völkermords vor, mithin ist es kein spezifisches "Armenien-Gesetz".

    Dennoch schlagen die Wellen der Diplomatie hoch. Der türkische Präsident, Abdullah Gül, nannte den Text "inakzeptabel", Ministerpräsident Erdogan schrieb an Präsident Sarkozy und warnte vor "irreparablen Schäden" und die türkische Presse spekuliert, wann der französische Botschafter aus Ankara abgezogen werde.

    Dennoch bleibt der Gesetzentwurf heute auf der Tagesordnung der französischen Nationalversammlung und Sozialisten wie Kommunisten wollen dem Gesetz zustimmen. Aber es gibt Kritiker: Gérard Larcher, der frühere Präsident des Senats und Mitglied der Regierungspartei UMP, sagt, er könne einem solchen Text nicht zustimmen.

    Und auch der Parlamentspräsident, Bernard Accoyer, ebenfalls Mitglied der Regierungspartei, versucht, die Wogen zu glätten.

    Persönlich sei er nicht angetan von diesem Gesetzentwurf, er finde, die Arbeit sollte Historikern überlassen werden.

    Das Außenministerium Frankreichs wies unterdessen die Drohung der Türkei zurück, es könne zu einem Handelsboykott kommen, sollte Frankreich die Leugnung des Genozids an den Armeniern unter Strafe stellen. Ankara, so sagte der Sprecher des Außenministeriums, habe internationale Verträge unterschrieben und müsse sich als Beitrittskandidat der EU daran halten.

    Während die diplomatischen Depeschen also härter im Ton werden, freut sich einer der prominentesten Vertreter der armenischen Sache, Charles Aznavour, großer Publizität in Frankreich. Sein jüngstes Buch ist gerade erschienen und eines seiner neuesten Chansons rangiert weit oben auf der französischen Bestseller-Liste, es handelt von Gewalt, Angst und davon, was der Mensch dem Mensch antue.