"Die Pflicht, in Seenot geratene Menschen zu retten, ist völkerrechtlich in diversen Abkommen und Verträgen festgelegt", sagte Nele Matz-Lück, Professorin für Seerecht an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel." Jedes Schiff, jeder Kapitän auf See, der Menschen in Seenot antrifft, muss diese Person retten und an einen sicheren Ort bringen." Staaten seien sogar verpflichtet, Schiffe unter ihrer Flagge strafrechtlich zu belangen, wenn diese Menschen in Seenot nicht retten.
Bei einer akuten Rettungssituation gebe es aber keine unmittelbare Verantwortlichkeit für den betreffenden Staat, so Matz-Lück, sondern nur für den Kapitän oder die entsprechenden Verantwortlichen an Bord. Staaten seien auch nicht verpflichtet, Patrouille zu fahren und eine Küstenwache zu unterhalten. Gemäß der Search-and-Rescue-Konvention, die das Meer in Rettungszonen aufteilt, seien sie in erster Linie dafür verantwortlich, in ihrem Bereich Seenotstellen an Land zu haben, um möglichst schnell Rettung zu organisieren.
Matz-Lück: "Kein Land muss Häfen für Flüchtlinge öffnen"
Dass ein Staat einem Boot mit geretteten Flüchtlingen den Zugang zu seinen Häfen verweigere, sei kein Verstoß gegen das Seerecht, betonte Völkerrechtlerin Matz-Lück. "Die Verpflichtung zur Rettung, Menschen an einen sicheren Ort zu bringen, bedeutet nicht automatisch, dass ein Land seine Häfen öffnen muss. Häfen gehören zu inneren Gewässern, sie sind ein sehr strikt geschützter Raum des staatlichen Territoriums." Auch bei der besonderen Situation, wenn ein Schiff durch Überbelegung mit Geretteten selbst in Not gerate, müsse der Küstenstaat das Schiff nicht zwingend in seinen Hafen lassen, wenn andere Hilfe möglich sei. Etwa indem man Mediziner an Bord bringe oder einzelne Personen evakuiere.
Das Seerecht sei gar nicht für die Situation der Massen von Bootsflüchtlingen und die Aufnahme von Flüchtlingen und Asylsuchenden gemacht, so Matz-Lück. Die Lösung sei weniger im Seerecht zu suchen, als in der europäischen Asylpolitik. Es brauche eine Reform des europäischen Asylrechts, die auf diese besondere Situation passt. Und eine Abkehr vom Dublin-Abkommen, das die Staaten, in denen Menschen erstmals europäischen Boden betreten, lange allein gelassen habe bei der Durchführung von Asylverfahren.