Eine kaum zu erfassende weltweite Gemeinschaft aus Menschen eint eine Sprache, die viele von ihnen wie eine Weltanschauung verstehen: Esperanto. Die Plansprache, die vom Polen Ludwik Zamenhof vor 126 Jahren erfunden wurde, dient ihren Sprechern, den sogenannten Esperantisten, auch als Reiseführer durch Länder und Kontinente. Mit dem Pasporta Servo, dem Reisepassdienst, weisen sie sich untereinander aus und sammeln Adressen für Unterkünfte auf der ganzen Welt, bereisen diese und pilgern an den Ursprung der Sprache ins polnische Bialystok.
"Wir haben uns in Norwegen getroffen. Der Mann war Franzose, die Frau war Russin und das Kind aus der ersten Ehe war von einem Afrikaner. Der Mann, die Frau und der damals Zehnjährige konnten perfekt Esperanto. Das Baby ist dann quasi viersprachig aufgewachsen: Esperanto, Französisch, Russisch, Norwegisch."
Damals in Tromsö, in Norwegen, war das - vor 20 Jahren. Eigentlich hatten Karl Breuninger und seine Frau versucht, ein Hotel zu finden. Um die junge international zusammengewürfelte Familie von Claude Rouget daheim mit ihrem Nachwuchs nicht zu stören. Doch die hat sich nicht davon abbringen lassen, ihre deutschen Gäste zu beherbergen. Wie man das halt so macht unter Esperantisten auf Reisen. Weltoffen und auf der Suche nach weltweitem Anschluss. Unterwegs, auf Tour, eine Adressliste im Gepäck und den wichtigsten Wortschatz im Kopf.
Solche Geschichten hört man immer wieder, wenn Leute erzählen, die sich einer Sprache zugewandt haben, die irgendwo zwischen Hobby und Weltanschauung ihre Anhänger begeistert. Heute ist die Kunstsprache Esperanto 126 Jahre alt. Keiner ihrer Anhänger kann genau sagen, wie viele Menschen weltweit sie beherrschen. Aber jeder kann eine Geschichte von einfacher interkultureller Verständigung und außergewöhnlichen Begegnungen erzählen. Daheim in Germering leben die Breuningers in einem Reihenhaus, haben drei erwachsene Kinder und nette Nachbarn. Einmal in der Woche trifft Karl Breuninger seine Freunde im Münchner Esperantoklub, dem zweitältesten Deutschlands. Bücher, Wörterbücher, Filme, Zeitungsartikel – wie in einem Klassenzimmer sind die unterschiedlichen Schriftstücke in Esperanto auf Tischen und in Schränken verteilt.
"Das ist ein Werkzeug, das ist eine Brückensprache zwischen den verschieden sprechenden Muttersprachlern. Wir hatten tatsächlich so einige Gäste, die weder Deutsch noch Englisch konnten. Ich kann mich ab und zu mit Russisch behelfen, wenn die Leute aus dem ehemaligen Ostblock kommen. Aber das ist ja nach dem Zusammenbruch des Ostblocks nicht mehr sehr beliebt gewesen. Es musste oft nur in Esperanto gehen und es ging auch."
"Wir haben uns in Norwegen getroffen. Der Mann war Franzose, die Frau war Russin und das Kind aus der ersten Ehe war von einem Afrikaner. Der Mann, die Frau und der damals Zehnjährige konnten perfekt Esperanto. Das Baby ist dann quasi viersprachig aufgewachsen: Esperanto, Französisch, Russisch, Norwegisch."
Damals in Tromsö, in Norwegen, war das - vor 20 Jahren. Eigentlich hatten Karl Breuninger und seine Frau versucht, ein Hotel zu finden. Um die junge international zusammengewürfelte Familie von Claude Rouget daheim mit ihrem Nachwuchs nicht zu stören. Doch die hat sich nicht davon abbringen lassen, ihre deutschen Gäste zu beherbergen. Wie man das halt so macht unter Esperantisten auf Reisen. Weltoffen und auf der Suche nach weltweitem Anschluss. Unterwegs, auf Tour, eine Adressliste im Gepäck und den wichtigsten Wortschatz im Kopf.
Solche Geschichten hört man immer wieder, wenn Leute erzählen, die sich einer Sprache zugewandt haben, die irgendwo zwischen Hobby und Weltanschauung ihre Anhänger begeistert. Heute ist die Kunstsprache Esperanto 126 Jahre alt. Keiner ihrer Anhänger kann genau sagen, wie viele Menschen weltweit sie beherrschen. Aber jeder kann eine Geschichte von einfacher interkultureller Verständigung und außergewöhnlichen Begegnungen erzählen. Daheim in Germering leben die Breuningers in einem Reihenhaus, haben drei erwachsene Kinder und nette Nachbarn. Einmal in der Woche trifft Karl Breuninger seine Freunde im Münchner Esperantoklub, dem zweitältesten Deutschlands. Bücher, Wörterbücher, Filme, Zeitungsartikel – wie in einem Klassenzimmer sind die unterschiedlichen Schriftstücke in Esperanto auf Tischen und in Schränken verteilt.
"Das ist ein Werkzeug, das ist eine Brückensprache zwischen den verschieden sprechenden Muttersprachlern. Wir hatten tatsächlich so einige Gäste, die weder Deutsch noch Englisch konnten. Ich kann mich ab und zu mit Russisch behelfen, wenn die Leute aus dem ehemaligen Ostblock kommen. Aber das ist ja nach dem Zusammenbruch des Ostblocks nicht mehr sehr beliebt gewesen. Es musste oft nur in Esperanto gehen und es ging auch."
Adress-Verzeichnis der Esperantisten
Karl Breuninger ist viel gereist in seinem Leben. Als pensionierter Physiker hat er in der Rente wieder mehr Zeit, die alten Adressen aus der Bretagne, aus Polen oder sonst wo wieder auszugraben. Für ihn wie für die meisten Esperantisten ist dabei ein dünnes Buch der Reiseführer für die Route durch die Länder dieser Erde. Im Pasporta Servo steht das Netzwerk schwarz auf weiß, mittlerweile gibt es das Verzeichnis natürlich auch online im Internet. Vorausgesetzt, der Leser kann Esperanto.
"Das ist eigentlich das ungeschriebene Gesetz: Man sollte Esperanto können. Es gibt auch Gastgeber, die reinschreiben, sie wollen keine Anfänger haben. Sie wollen fließend sprechende Esperantisten haben."
Seit 1974 erscheint der Pasporta Servo, der Fahrschein für die Esperantisten dieser Welt. Rund 1500 Adressen aus mehr als 100 Ländern weltweit, verzeichnet mit Name, Adresse, Emailkontakt, Telefonnummer und Geburtsdatum. Jedes Jahr wird das kleine Buch überarbeitet, aktualisiert – und im Normalfall auch wieder um einige Adressen erweitert. Denn die Bereitschaft unter den Esperantisten wächst: Sich gegenseitig aufzunehmen, kennenzulernen auf allen Kontinenten und dafür umsonst bei anderen Esperantisten zu übernachten und verpflegt zu werden. Alles inklusive, einige Tipps zu Sehenswürdigkeiten und Stadtführungen sind meistens auch dabei.
"Ich bemühe mich schon immer, wenn sie denn wollen, meinen Gästen Teile von München aus meiner Sicht zu zeigen. Manche lehnen das ab, besonders wenn sie paarweise unterwegs sind und das lieber alleine machen. Und manche sind froh. Mindestens Tipps wollen sie haben, wie man am schnellsten zum Schloss Neuschwanstein kommt oder so."
Gäste aus 27 Ländern weltweit hat Karl Breuninger bereits an seinem Tisch daheim in Germering sitzen gehabt. Einer von ihnen ist der russische Liedermacher Mikael Bronstein. Er hat sich der Musik auf Esperanto verschrieben. Seine Lieder handeln von Freiheit und Gerechtigkeit. Karl Breuninger ist immer noch mit ihm in Kontakt, daheim in Sankt Petersburg. Auf Fotos und Weltkarten hat Karl Breuninger auch alle anderen Besuche dokumentiert: Gäste wie den Brasilianer Flavio Rebel, der mit Wollmütze im verschneiten Garten in Germering steht, weil er zum ersten Mal in seinem Leben Schnee sieht.
"Der ist in unserem Garten herumgerannt und hat den Schnee weggemacht und war dann erstaunt, dass unter dem Schnee nichts Totes ist, sondern der Rasen."
"Das ist eigentlich das ungeschriebene Gesetz: Man sollte Esperanto können. Es gibt auch Gastgeber, die reinschreiben, sie wollen keine Anfänger haben. Sie wollen fließend sprechende Esperantisten haben."
Seit 1974 erscheint der Pasporta Servo, der Fahrschein für die Esperantisten dieser Welt. Rund 1500 Adressen aus mehr als 100 Ländern weltweit, verzeichnet mit Name, Adresse, Emailkontakt, Telefonnummer und Geburtsdatum. Jedes Jahr wird das kleine Buch überarbeitet, aktualisiert – und im Normalfall auch wieder um einige Adressen erweitert. Denn die Bereitschaft unter den Esperantisten wächst: Sich gegenseitig aufzunehmen, kennenzulernen auf allen Kontinenten und dafür umsonst bei anderen Esperantisten zu übernachten und verpflegt zu werden. Alles inklusive, einige Tipps zu Sehenswürdigkeiten und Stadtführungen sind meistens auch dabei.
"Ich bemühe mich schon immer, wenn sie denn wollen, meinen Gästen Teile von München aus meiner Sicht zu zeigen. Manche lehnen das ab, besonders wenn sie paarweise unterwegs sind und das lieber alleine machen. Und manche sind froh. Mindestens Tipps wollen sie haben, wie man am schnellsten zum Schloss Neuschwanstein kommt oder so."
Gäste aus 27 Ländern weltweit hat Karl Breuninger bereits an seinem Tisch daheim in Germering sitzen gehabt. Einer von ihnen ist der russische Liedermacher Mikael Bronstein. Er hat sich der Musik auf Esperanto verschrieben. Seine Lieder handeln von Freiheit und Gerechtigkeit. Karl Breuninger ist immer noch mit ihm in Kontakt, daheim in Sankt Petersburg. Auf Fotos und Weltkarten hat Karl Breuninger auch alle anderen Besuche dokumentiert: Gäste wie den Brasilianer Flavio Rebel, der mit Wollmütze im verschneiten Garten in Germering steht, weil er zum ersten Mal in seinem Leben Schnee sieht.
"Der ist in unserem Garten herumgerannt und hat den Schnee weggemacht und war dann erstaunt, dass unter dem Schnee nichts Totes ist, sondern der Rasen."
Esperanto im Osten sehr verbreitet
"Das sind zwei Russen aus Moskau. Die haben mich irgendwann im September angerufen, sie wollten per Autostopp nach Gibraltar, um ihre Hochzeitsreise zu machen. Und haben noch gesagt, sie kämen am Sonntag, den soundsovielten an, ob sie bei uns übernachten können."
Natürlich sind sie später angekommen, natürlich hat nicht alles reibungslos geklappt. Das junge russische Paar musste lernen, dass es einige Ortsnamen in Deutschland nicht nur einmal gibt. Dafür haben sie unverhofft auch Teile des schönen Allgäus gesehen. Für sie kein Problem, sie waren auf Reisen und nicht in Eile. Das Ziel war klar, die Ankunftszeit offen. Die Verabschiedung an einer Tankstelle im Süden von München. Per Lastwagen sind Mascha und Mischa weitergefahren Richtung Italien. Immer weiter in den Süden, zu anderen Esperantisten mit anderen Nationalitäten. Doch vieles davon hat Karl Breuninger erst Monate danach im Reisebericht des Hochzeitspaares erfahren. Auf Esperanto selbstverständlich.
"Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks gab es einen richtigen Boom. Als die ganzen nicht so Wohlhabenden aus dem Ostblock, wo ja Esperanto sehr verbreitet war, reiselustig waren. Allerdings hatten wir auch schon vor der Zeit einige Esperantisten aus Bulgarien und Ungarn zu Besuch."
Karl Breuninger spricht Russisch, Englisch und etwas Französisch. Er mag Begegnungen. Begegnungen in alle Richtungen. Begegnungen mit Menschen, die etwas zu erzählen haben. Keine Reiseveranstalter oder Souvenirverkäufer, sondern Bewohner ihrer eigenen Kultur. Schon Karl Breuningers Vater sprach Esperanto. Der Sohn ist erst im Studium durch einen Aufruf an der Uni auf den Geschmack gekommen. Mit einem Buch und Schallplatten mit 30 Minuten Lerntext hat er sich in die Bibliothek verzogen und die Kunstsprache erarbeitet. Das erste Mal richtig nutzen konnte er sie auf einer Fernreise nach China.
"Mein erstes großes Aha-Erlebnis war dann die Reise zum Weltkongress 1986 nach Peking. Aber das Imposante war, dass wir in jeder Stadt Esperantisten getroffen haben, die wirklich nur wenige Monate Esperanto gelernt hatten, um am Kongress teilzunehmen. Und die sprachen recht fließend Esperanto. Das war so erstaunlich. Eintrittskartenabreißer am Kino konnten sich mit uns auf Esperanto unterhalten, obwohl sie gerade erst ein viertel Jahr Esperanto gelernt hatten."
Natürlich sind sie später angekommen, natürlich hat nicht alles reibungslos geklappt. Das junge russische Paar musste lernen, dass es einige Ortsnamen in Deutschland nicht nur einmal gibt. Dafür haben sie unverhofft auch Teile des schönen Allgäus gesehen. Für sie kein Problem, sie waren auf Reisen und nicht in Eile. Das Ziel war klar, die Ankunftszeit offen. Die Verabschiedung an einer Tankstelle im Süden von München. Per Lastwagen sind Mascha und Mischa weitergefahren Richtung Italien. Immer weiter in den Süden, zu anderen Esperantisten mit anderen Nationalitäten. Doch vieles davon hat Karl Breuninger erst Monate danach im Reisebericht des Hochzeitspaares erfahren. Auf Esperanto selbstverständlich.
"Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks gab es einen richtigen Boom. Als die ganzen nicht so Wohlhabenden aus dem Ostblock, wo ja Esperanto sehr verbreitet war, reiselustig waren. Allerdings hatten wir auch schon vor der Zeit einige Esperantisten aus Bulgarien und Ungarn zu Besuch."
Karl Breuninger spricht Russisch, Englisch und etwas Französisch. Er mag Begegnungen. Begegnungen in alle Richtungen. Begegnungen mit Menschen, die etwas zu erzählen haben. Keine Reiseveranstalter oder Souvenirverkäufer, sondern Bewohner ihrer eigenen Kultur. Schon Karl Breuningers Vater sprach Esperanto. Der Sohn ist erst im Studium durch einen Aufruf an der Uni auf den Geschmack gekommen. Mit einem Buch und Schallplatten mit 30 Minuten Lerntext hat er sich in die Bibliothek verzogen und die Kunstsprache erarbeitet. Das erste Mal richtig nutzen konnte er sie auf einer Fernreise nach China.
"Mein erstes großes Aha-Erlebnis war dann die Reise zum Weltkongress 1986 nach Peking. Aber das Imposante war, dass wir in jeder Stadt Esperantisten getroffen haben, die wirklich nur wenige Monate Esperanto gelernt hatten, um am Kongress teilzunehmen. Und die sprachen recht fließend Esperanto. Das war so erstaunlich. Eintrittskartenabreißer am Kino konnten sich mit uns auf Esperanto unterhalten, obwohl sie gerade erst ein viertel Jahr Esperanto gelernt hatten."
Zwei Esperanto-Weltverbände
Mittlerweile gibt es zwei Esperanto-Weltverbände. Der größte ist die UEA, der Universale Esperanto-Verband mit Mitgliedern in 170 Ländern. Mit ihm ist auch Tejo, die Tutmonda Esperantista Junulara Organizo, als eine eigene Jugendorganisation entstanden. Radiosendungen, Filme, Zeitungen und Zeitschriften erscheinen in Esperanto. Dabei hat die Kunstsprache in Westdeutschland erst seit 1945 wieder einen festen Platz in der Gesellschaft, nachdem sie im Dritten Reich verboten worden war. Auch Stalin hatte Esperanto als Bedrohung gesehen – für ihn eine störende ungehinderte Kommunikation mit Ausländern.
Seit dem Münchner Esperanto-Kongress von 1951 wurde mit der Aussöhnung der Kriegsgegner auch Esperanto wieder salonfähig. In der DDR wurde Esperanto bis 1965 nur geduldet, danach allerdings stark gefördert und unterrichtet. So durften ausgewählte Esperantisten mit Sondergenehmigungen in den Westen ausreisen, um an Kongressen teilzunehmen – für viele Menschen im Ostblock Grund genug, um Esperanto zu lernen. So vielfältig die Geschichte der Sprache ist, so verschieden sind auch ihre Sprecher.
"Die Leute sind zu unterschiedlich, wenn man bei verschiedenen Gastgebern ist. Ich war auf meiner Reise nach Bialystok bei drei verschiedenen Leuten und die waren so unterschiedlich. Das eine war ein ehemaliger Eisenbahner. Unter den Eisenbahnern war Esperanto ja sehr verbreitet. Und der nächste war ein Bauunternehmer in Polen. Das war sofort zu sehen: ein allein stehendes Luxushaus. Und die Dame nach Bialystok war eine einfache Rentnerin. Da mussten wir zu zweit auf der Couch im Wohnzimmer schlafen in einer Zweizimmerwohnung."
2009 sind Karl Breuninger und seine Frau zum Esperanto-Weltkongress gereist. Nach Bialystok, in die Stadt, aus der Esperanto stammt. Zum zweiten Mal, nachdem die Sprache von Polen aus in die Welt getragen wurde, fand im polnischen Nordosten ein Treffen derer statt, die den weiten Weg auf sich genommen hatten, um im großen Kreis die Kunstsprache zu feiern. Nach Polen begibt man sich auf eine Reise zum Ursprung der Esperanto-Bewegung.
Die Stadt Bialystok lebt ihre Geschichte. An der EU-Außengrenze, wo die Urwälder des Bialowezanationalparks weit nach Belarus hineinreichen und Litauer, Belarussen, Tartaren und Polen Tür an Tür leben, ist der Gründer der Kunstsprache, Ludwik Zamenhof, 1859 geboren. Seine Eltern zogen vom nahe gelegenen Tykocin in die Stadt. Ludwik Zamenhof wuchs auf in der Gewissheit, sich nur mit genügend Sprachkenntnissen mit aller Welt verständigen zu können. Mit 14 Jahren sprach Ludwik, ein Junge jüdischer Abstammung, bereits sechs Sprachen. Seine siebte Sprache sollte seine eigene werden. Seitdem schrieb Zamenhof, der sich sein Geld als Augenarzt verdiente, Bücher als Doktor Esperanto – ein Vermächtnis an die nachfolgenden Generationen.
Seit dem Münchner Esperanto-Kongress von 1951 wurde mit der Aussöhnung der Kriegsgegner auch Esperanto wieder salonfähig. In der DDR wurde Esperanto bis 1965 nur geduldet, danach allerdings stark gefördert und unterrichtet. So durften ausgewählte Esperantisten mit Sondergenehmigungen in den Westen ausreisen, um an Kongressen teilzunehmen – für viele Menschen im Ostblock Grund genug, um Esperanto zu lernen. So vielfältig die Geschichte der Sprache ist, so verschieden sind auch ihre Sprecher.
"Die Leute sind zu unterschiedlich, wenn man bei verschiedenen Gastgebern ist. Ich war auf meiner Reise nach Bialystok bei drei verschiedenen Leuten und die waren so unterschiedlich. Das eine war ein ehemaliger Eisenbahner. Unter den Eisenbahnern war Esperanto ja sehr verbreitet. Und der nächste war ein Bauunternehmer in Polen. Das war sofort zu sehen: ein allein stehendes Luxushaus. Und die Dame nach Bialystok war eine einfache Rentnerin. Da mussten wir zu zweit auf der Couch im Wohnzimmer schlafen in einer Zweizimmerwohnung."
2009 sind Karl Breuninger und seine Frau zum Esperanto-Weltkongress gereist. Nach Bialystok, in die Stadt, aus der Esperanto stammt. Zum zweiten Mal, nachdem die Sprache von Polen aus in die Welt getragen wurde, fand im polnischen Nordosten ein Treffen derer statt, die den weiten Weg auf sich genommen hatten, um im großen Kreis die Kunstsprache zu feiern. Nach Polen begibt man sich auf eine Reise zum Ursprung der Esperanto-Bewegung.
Die Stadt Bialystok lebt ihre Geschichte. An der EU-Außengrenze, wo die Urwälder des Bialowezanationalparks weit nach Belarus hineinreichen und Litauer, Belarussen, Tartaren und Polen Tür an Tür leben, ist der Gründer der Kunstsprache, Ludwik Zamenhof, 1859 geboren. Seine Eltern zogen vom nahe gelegenen Tykocin in die Stadt. Ludwik Zamenhof wuchs auf in der Gewissheit, sich nur mit genügend Sprachkenntnissen mit aller Welt verständigen zu können. Mit 14 Jahren sprach Ludwik, ein Junge jüdischer Abstammung, bereits sechs Sprachen. Seine siebte Sprache sollte seine eigene werden. Seitdem schrieb Zamenhof, der sich sein Geld als Augenarzt verdiente, Bücher als Doktor Esperanto – ein Vermächtnis an die nachfolgenden Generationen.
Esperanto für den Zusammenhalt
In der Ulica Warszawska, nicht weit vom Branieckipalast, der im Zentrum von Bialystok hell und frisch renoviert erstrahlt, erinnert das Zamenhof-Zentrum an das Erbe des Esperanto-Gründers. Bialystok, wie viele Städte im Osten Polens, hinkt dem Wachstum, der Entwicklung und der Verwestlichung von Warschau, Breslau oder Danzig hinterher. Zwar sprießen an allen erdenklichen Ecken immer neue Einkaufszentren aus dem Boden. Doch die Mehrheit der Bevölkerung führt ein bescheidenes Leben. Für die Präsidentin der Esperanto-Gesellschaft in Bialystok, Elzbieta Karczewska, ein Grund zum Zusammenhalt.
"In Polen gibt es Menschen, die von einer Rente von 600 Zloty, sprich 150 Euro im Monat, leben müssen. Man kann also nicht erwarten, dass sie viel Geld ausgeben können. Also hatten wir die Idee, etwas für diese Leute ins Leben zu rufen, das nicht viel kostet. Zwei Mal im Jahr haben wir eine größere Feier. Eine anlässlich des Todes von Ludwik Zamenhof, wo wir uns traditionell vor seiner Büste versammeln zu einem Happening."
Am Skwer Ludwika Zamenhoffa vor der Kawiarnia Castel, wo es im Winter das heiße Bier mit Nelken oder Glühwein nach eigener Rezeptur gibt, steht die Büste Zamenhofs auf einem Steinsockel. Reisegruppen kommen hier vorbei, halten inne und lauschen den Erzählungen über Doktor Esperanto. Auch Karl Breuninger und seine Frau standen vor der Büste, als sie 2009 zum Esperanto-Weltkongress nach Bialystok kamen. Nur zwei Straßen weiter, am zentralen Rynek Kosciuszki, steht das Esperantocafé. Einmal im Monat treffen sich hier Interessierte zum Stammtisch. Auf den einzelnen Tischen sind Nationalflaggen aufgestellt.
Ein Zeichen für Offenheit für andere Länder im fernen Polen. Und eine Aufforderung, sich zu verständigen - auch auf Esperanto.
"Früher war Latein die vorherrschende Sprache, später Französisch. Heute sagen wir, dass Englisch die Weltsprache ist. Aber Englisch hat 38 Dialekte. Esperanto hat diese Ausprägungen und Nuancen nicht. Englisch ist vorherrschend, aber wenn wir uns das Potenzial beispielsweise in China anschauen, bin ich mir nicht sicher, ob nicht in 30 Jahren andere Sprachen wie auch Chinesisch dominanter sein werden."
Für Elzbieta Karczewska ist Esperanto mehr als nur ein Hobby. In ihrer kleinen Wohnung in einem der Betonblocks, die sich nur durch die Außenfarbe der riesigen Hausnummern, die auf die Fassade gemalt sind, unterscheiden, hortet sie Bücher, Artikel und Dokumente über die Sprache.
"Für uns ist wirklich Esperanto die einzige Sprache, die wir benutzen. Das ist etwas, was junge Leute häufig nicht verstehen."
Gemeinsam mit vielen anderen Freiwilligen und Angestellten hält Elzbieta Karczewska die Esperantogesellschaft in Bialystok am Leben und wird nicht müde, die großen Verdienste des einstigen Gründers zu preisen. Ihr Idol Ludwik Zamenhof hat die Esperantisten dazu angetrieben, das Erbe weiterzugeben. In vielen Sprachschulen in der Stadt geben Esperantisten Unterricht. Für die Lehrerin Nina Pietochowska ist das eine Herzensangelegenheit.
"Das ist wirklich nicht nur eine Sprache, um sich besser verständigen zu können, sondern auch eine ganze Bewegung, die den Leuten, ihren Anhängern, viel Befriedigung gibt."
In Polen wie in anderen postsowjetischen Ländern war die Fahrkarte in den Westen nach dem Ende der UdSSR ein Traum von vielen. Häufig ein teurer Traum, nicht selten ein unerreichter. Kostengünstig übernachten und flexibel reisen – mit dem Pasporta Servo haben Esperantisten aus den ehemaligen Ostblockstaaten neue Möglichkeiten entdeckt und nutzen diese bis heute.
"Vor allem kann man mit dieser Sprache die Welt bereisen, mit dieser Sprache kann man alle Länder und Kontinente durchqueren. Außerdem bietet Esperanto die unterschiedlichsten Möglichkeiten für junge und alte Leute, sich zu treffen: auf internationalen Veranstaltungen und Kongressen."
So beschäftigen sich auch diejenigen in Polen mit Esperanto, für die die Sowjetunion und damit verbundene Einschränkungen und Sprachbarrieren nur noch Seiten im Geschichtsbuch sind. Das Geburtshaus von Ludwik Zamenhof musste einem Neubau weichen. Im Jahre 1958, ein Jahr, bevor der Esperanto-Gründer 100 Jahre alt geworden wäre.
Viele der traditionellen Dinge in Bialystok müssen auch hier Schritt für Schritt dem einziehenden Einfluss des Westens weichen. Die festen Sandwege, die von der Ulica Kurpiowska über holprigen Untergrund zu den alten Hütten führen, sind eine Seltenheit in der Stadt geworden. Der hier noch dörfliche Charakter hinter schiefen Lattenzäunen und bunten Wäscheleinen erinnert an eine Zeit, in der sich der Lebensinhalt der Menschen zum großen Teil auf ihren Grundstücken abspielte. Die junge Generation will raus. Raus aus dem Elternhaus, raus aus der Stadt, raus aus Polen. Längst nicht alle, doch das Gefühl von Abenteuer, neuen Perspektiven und erhoffter Ferne tragen viele der jungen Menschen in Bialystok in sich. Esperanto scheint einen Weg dorthin zu zeigen. Und führt andere wiederum nach Bialystok. So wie den irischen Studenten Guy Johnston. Er hat Polnisch gelernt, spricht fließend Esperanto und hat sich bewusst dafür entschieden, für eine Auszeit in den polnischen Nordosten einzutauchen.
Andere junge Leute in Guys Alter haben sich auf Weltreisen gemacht, mit Around-The-World-Tickets, von Flughafen zu Flughafen, von Land zu Land oder sind mit einem Interrailticket in der Tasche in den nächsten Zug gestiegen. Auch Guy Johnston wollte immer weit reisen. Doch anstatt sich im Internet nach Schlafplätzen beim Couchsurfing bei Einheimischen umzuschauen, hat er eher zufällig einen Weg gefunden, die Welt auf seine Weise zu bereisen.
"Das ist eine so interessante Idee, ein so interessantes Konzept, etwas, das mir vorher vollkommen unbekannt war. Ich interessiere mich allgemein sehr viel für Sprachen. Also habe ich mich schnell entschieden, auch diese Sprache zu lernen. Zuerst war das aber wirklich nur, weil es mir Spaß gemacht hat. Einfach etwas Interessantes kennenzulernen. Ich hatte zu dem Zeitpunkt nicht gedacht, dass es wirklich etwas von praktischem Nutzen sein könnte."
In Bialystok hilft Guy Johnston regelmäßig im kleinen Schulungsraum mit. Tische zusammenstellen, Unterrichtsmaterialien sammeln und kopieren. Und natürlich unterrichtet er auch selbst. Wer Esperanto beherrscht, gibt sein Wissen gern weiter. Viele der Regeln zu Grammatik, Aussprache und Verwendung sind jedoch heutzutage auch im Internet zu finden. Auch für die Esperanto-Lehrerin Nina Pietochowska eine neue Erfahrung.
"Natürlich vereinfacht das Internet die Sache ungemein. Früher haben die Leute die Sprache auch eher allein, für sich, gelernt. Ich kenne noch Kollegen, die Esperanto so, fernab von anderen, sogar ganz ohne Kurs, gelernt haben."
Fast 173.000 Wikipedia-Artikel sind auf Esperanto abrufbar. Damit liegt die Sprache auf Rang 15 nach der Anzahl der verfügbaren Artikel. Neue Generationen von Esperantisten haben auch die Vorteile für sich entdeckt, die sich ihnen und ihrer Sprache im Internet bieten. Der Esperantoverein im Internet zählt mittlerweile rund 15.000 Mitglieder. Weltweites Kommunizieren als erklärtes Ziel der Kunstsprache hat im Internet ein Medium gefunden, das dieses Anliegen weiter befeuert. Und jungen Leuten, wie Guy Johnston neue Möglichkeiten bietet.
"Das Internet ist jetzt sehr wichtig, weil es eben die Verbindungen zwischen den Ländern vereinfacht und beschleunigt. Wenn sich heutzutage Esperantisten aus verschiedenen Ländern untereinander kennen, müssen sie sich nicht mehr zwangsläufig treffen, um miteinander zu kommunizieren. Viele nutzen jetzt das Internet, um sich per E-Mail auszutauschen, aber auch, um Esperanto online zu lernen, wie ich das zum Beispiel gemacht habe."
Das Internet hat den Buchhandel mit Esperanto Stück für Stück verdrängt – Sonderausgaben in Esperanto oder Lehrbücher für den Heimunterricht finden sich nur noch in speziellen Szeneläden. Auch die Tourismusbranche ist immer wieder auf die besondere Art des Reisens aufmerksam geworden. In Polen locken spezielle Angebote für Esperanto-Interessierte auf Plakaten. Ein Netz hat sich entsponnen, das die Sprecher von Esperanto zu einer eigenen Einheit verstrickt.
"Normalerweise sind Esperantisten sehr offen. Das ist kein verschlossener Kult, sondern vielmehr etwas wie ein Netz, in dem viele Esperantisten halt schon Kontakte in anderen Ländern haben. Wenn ich also reise, kenne ich schon ein bisschen im Voraus einige Esperantisten und wie sie ticken."
Reisen mit Esperanto – auch junge Leute wie Guy Johnston verbindet die Sprache mit Menschen aus fremden Ländern. In der so genannten inneren Idee, der Idea Interna, hat Ludwik Zamenhof zu Lebzeiten seine Vorstellung vom Zusammenleben der Völker formuliert: "Eine Idee, die auf neutralem Fundament die Mauern zwischen den Völkern abbaut und die Menschen daran gewöhnt, dass jeder in seinem Nächsten nur einen Menschen, einen Bruder, sieht." Zamenhof wollte vor allem sprachliche Demokratie zwischen den Völkern schaffen. Die heutige Esperanto-Bewegung lebt seine Idee mit einer sehr eigenen Identifikation weiter. Eine Esperanto-Flagge, ja selbst eine Hymne stellen die Sprache in den Vordergrund.
"Es gibt gar nicht so viele Leute, die Esperanto sprechen. Das kann natürlich ein Nachteil sein, aber genauso gut ein Vorteil. Weil es in dem überschaubaren Kreis schon Grund genug ist, sich besser kennenzulernen, wenn man sich über den Weg läuft. Man hat also schon etwas gemeinsam."
So sind Esperanto und die Reisen mit dem Pasporta Servo auch ein Versuch, diejenigen zusammenzuhalten, die sich ernsthaft mit der Sprache auseinandersetzen. Doch auch Guy Johnston wird wieder zurückkehren nach Irland, in sein Heimatland, zu seiner Muttersprache, Esperanto nur noch im Kopf. Die wenigsten Esperantisten wandern ganz aus oder suchen eine neue Heimat. Ihnen geht es um Gleichgesinnte, um Entdeckung und eine sinnvolle Idee.
Die meisten Esperantisten führen ein Leben wie jeder andere. Abenteuer ja, Selbstaufgabe nein. Warum auch, die Idee lebt, auch für Karl Breuninger nach jeder Rückkehr nach Hause daheim weiter.
Reisestrapazen nehmen die Esperantisten gerne in Kauf. Einige, weil sie so erst den Sinn des Reisens erfassen. Andere, weil es für sie dazugehört, bei der Suche nach Verständigung und Weltfrieden etwas gemeinsam zu erleben, gemeinsam Neues zu entdecken. Die Motivation liegt meist tief in einer inneren Überzeugung.
"Zum Beispiel haben wir ein Mitglied, eine 86-jährige Dame, die seit Jahren im Pasporta Servo ist und in Gröbenzell wohnt. Sie sagt, sie macht keine Reisen, sie holt sich die Welt zu sich. Das ist der andere Gesichtspunkt von so einigen Leuten, die sagen: Ich will gar nicht reisen oder ich kann es mir gar nicht leisten, gesundheitlich oder finanziell. Und dann nehmen diejenigen lieber zwei, drei Mal im Jahr Gäste auf."
Diejenigen, die Esperanto und die Reisen zu Gleichgesinnten als Aufbruch in eine neue Sprachherrschaft verstehen, sehen sich mit Kritik konfrontiert, kein Interesse an der Kultur anderer Nationen zu entwickeln oder keine eigene Kultur zu haben. Den meisten Esperantisten aber geht es um die Freude an einer Sprache, die sie eint und an jedem Flecken der Erde zusammenbringt.
"Es gibt verschiedene Esperantisten, die das politisch sehen, als Mittel, das Englische zurückzudrängen. Aber realistisch gesehen ist Esperanto für mich ein nettes Hobby. Ich habe gewisse Vorteile dadurch, die sind nicht messbar. Aber mir macht es Spaß und das reicht mir."
"In Polen gibt es Menschen, die von einer Rente von 600 Zloty, sprich 150 Euro im Monat, leben müssen. Man kann also nicht erwarten, dass sie viel Geld ausgeben können. Also hatten wir die Idee, etwas für diese Leute ins Leben zu rufen, das nicht viel kostet. Zwei Mal im Jahr haben wir eine größere Feier. Eine anlässlich des Todes von Ludwik Zamenhof, wo wir uns traditionell vor seiner Büste versammeln zu einem Happening."
Am Skwer Ludwika Zamenhoffa vor der Kawiarnia Castel, wo es im Winter das heiße Bier mit Nelken oder Glühwein nach eigener Rezeptur gibt, steht die Büste Zamenhofs auf einem Steinsockel. Reisegruppen kommen hier vorbei, halten inne und lauschen den Erzählungen über Doktor Esperanto. Auch Karl Breuninger und seine Frau standen vor der Büste, als sie 2009 zum Esperanto-Weltkongress nach Bialystok kamen. Nur zwei Straßen weiter, am zentralen Rynek Kosciuszki, steht das Esperantocafé. Einmal im Monat treffen sich hier Interessierte zum Stammtisch. Auf den einzelnen Tischen sind Nationalflaggen aufgestellt.
Ein Zeichen für Offenheit für andere Länder im fernen Polen. Und eine Aufforderung, sich zu verständigen - auch auf Esperanto.
"Früher war Latein die vorherrschende Sprache, später Französisch. Heute sagen wir, dass Englisch die Weltsprache ist. Aber Englisch hat 38 Dialekte. Esperanto hat diese Ausprägungen und Nuancen nicht. Englisch ist vorherrschend, aber wenn wir uns das Potenzial beispielsweise in China anschauen, bin ich mir nicht sicher, ob nicht in 30 Jahren andere Sprachen wie auch Chinesisch dominanter sein werden."
Für Elzbieta Karczewska ist Esperanto mehr als nur ein Hobby. In ihrer kleinen Wohnung in einem der Betonblocks, die sich nur durch die Außenfarbe der riesigen Hausnummern, die auf die Fassade gemalt sind, unterscheiden, hortet sie Bücher, Artikel und Dokumente über die Sprache.
"Für uns ist wirklich Esperanto die einzige Sprache, die wir benutzen. Das ist etwas, was junge Leute häufig nicht verstehen."
Gemeinsam mit vielen anderen Freiwilligen und Angestellten hält Elzbieta Karczewska die Esperantogesellschaft in Bialystok am Leben und wird nicht müde, die großen Verdienste des einstigen Gründers zu preisen. Ihr Idol Ludwik Zamenhof hat die Esperantisten dazu angetrieben, das Erbe weiterzugeben. In vielen Sprachschulen in der Stadt geben Esperantisten Unterricht. Für die Lehrerin Nina Pietochowska ist das eine Herzensangelegenheit.
"Das ist wirklich nicht nur eine Sprache, um sich besser verständigen zu können, sondern auch eine ganze Bewegung, die den Leuten, ihren Anhängern, viel Befriedigung gibt."
In Polen wie in anderen postsowjetischen Ländern war die Fahrkarte in den Westen nach dem Ende der UdSSR ein Traum von vielen. Häufig ein teurer Traum, nicht selten ein unerreichter. Kostengünstig übernachten und flexibel reisen – mit dem Pasporta Servo haben Esperantisten aus den ehemaligen Ostblockstaaten neue Möglichkeiten entdeckt und nutzen diese bis heute.
"Vor allem kann man mit dieser Sprache die Welt bereisen, mit dieser Sprache kann man alle Länder und Kontinente durchqueren. Außerdem bietet Esperanto die unterschiedlichsten Möglichkeiten für junge und alte Leute, sich zu treffen: auf internationalen Veranstaltungen und Kongressen."
So beschäftigen sich auch diejenigen in Polen mit Esperanto, für die die Sowjetunion und damit verbundene Einschränkungen und Sprachbarrieren nur noch Seiten im Geschichtsbuch sind. Das Geburtshaus von Ludwik Zamenhof musste einem Neubau weichen. Im Jahre 1958, ein Jahr, bevor der Esperanto-Gründer 100 Jahre alt geworden wäre.
Viele der traditionellen Dinge in Bialystok müssen auch hier Schritt für Schritt dem einziehenden Einfluss des Westens weichen. Die festen Sandwege, die von der Ulica Kurpiowska über holprigen Untergrund zu den alten Hütten führen, sind eine Seltenheit in der Stadt geworden. Der hier noch dörfliche Charakter hinter schiefen Lattenzäunen und bunten Wäscheleinen erinnert an eine Zeit, in der sich der Lebensinhalt der Menschen zum großen Teil auf ihren Grundstücken abspielte. Die junge Generation will raus. Raus aus dem Elternhaus, raus aus der Stadt, raus aus Polen. Längst nicht alle, doch das Gefühl von Abenteuer, neuen Perspektiven und erhoffter Ferne tragen viele der jungen Menschen in Bialystok in sich. Esperanto scheint einen Weg dorthin zu zeigen. Und führt andere wiederum nach Bialystok. So wie den irischen Studenten Guy Johnston. Er hat Polnisch gelernt, spricht fließend Esperanto und hat sich bewusst dafür entschieden, für eine Auszeit in den polnischen Nordosten einzutauchen.
Andere junge Leute in Guys Alter haben sich auf Weltreisen gemacht, mit Around-The-World-Tickets, von Flughafen zu Flughafen, von Land zu Land oder sind mit einem Interrailticket in der Tasche in den nächsten Zug gestiegen. Auch Guy Johnston wollte immer weit reisen. Doch anstatt sich im Internet nach Schlafplätzen beim Couchsurfing bei Einheimischen umzuschauen, hat er eher zufällig einen Weg gefunden, die Welt auf seine Weise zu bereisen.
"Das ist eine so interessante Idee, ein so interessantes Konzept, etwas, das mir vorher vollkommen unbekannt war. Ich interessiere mich allgemein sehr viel für Sprachen. Also habe ich mich schnell entschieden, auch diese Sprache zu lernen. Zuerst war das aber wirklich nur, weil es mir Spaß gemacht hat. Einfach etwas Interessantes kennenzulernen. Ich hatte zu dem Zeitpunkt nicht gedacht, dass es wirklich etwas von praktischem Nutzen sein könnte."
In Bialystok hilft Guy Johnston regelmäßig im kleinen Schulungsraum mit. Tische zusammenstellen, Unterrichtsmaterialien sammeln und kopieren. Und natürlich unterrichtet er auch selbst. Wer Esperanto beherrscht, gibt sein Wissen gern weiter. Viele der Regeln zu Grammatik, Aussprache und Verwendung sind jedoch heutzutage auch im Internet zu finden. Auch für die Esperanto-Lehrerin Nina Pietochowska eine neue Erfahrung.
"Natürlich vereinfacht das Internet die Sache ungemein. Früher haben die Leute die Sprache auch eher allein, für sich, gelernt. Ich kenne noch Kollegen, die Esperanto so, fernab von anderen, sogar ganz ohne Kurs, gelernt haben."
Fast 173.000 Wikipedia-Artikel sind auf Esperanto abrufbar. Damit liegt die Sprache auf Rang 15 nach der Anzahl der verfügbaren Artikel. Neue Generationen von Esperantisten haben auch die Vorteile für sich entdeckt, die sich ihnen und ihrer Sprache im Internet bieten. Der Esperantoverein im Internet zählt mittlerweile rund 15.000 Mitglieder. Weltweites Kommunizieren als erklärtes Ziel der Kunstsprache hat im Internet ein Medium gefunden, das dieses Anliegen weiter befeuert. Und jungen Leuten, wie Guy Johnston neue Möglichkeiten bietet.
"Das Internet ist jetzt sehr wichtig, weil es eben die Verbindungen zwischen den Ländern vereinfacht und beschleunigt. Wenn sich heutzutage Esperantisten aus verschiedenen Ländern untereinander kennen, müssen sie sich nicht mehr zwangsläufig treffen, um miteinander zu kommunizieren. Viele nutzen jetzt das Internet, um sich per E-Mail auszutauschen, aber auch, um Esperanto online zu lernen, wie ich das zum Beispiel gemacht habe."
Das Internet hat den Buchhandel mit Esperanto Stück für Stück verdrängt – Sonderausgaben in Esperanto oder Lehrbücher für den Heimunterricht finden sich nur noch in speziellen Szeneläden. Auch die Tourismusbranche ist immer wieder auf die besondere Art des Reisens aufmerksam geworden. In Polen locken spezielle Angebote für Esperanto-Interessierte auf Plakaten. Ein Netz hat sich entsponnen, das die Sprecher von Esperanto zu einer eigenen Einheit verstrickt.
"Normalerweise sind Esperantisten sehr offen. Das ist kein verschlossener Kult, sondern vielmehr etwas wie ein Netz, in dem viele Esperantisten halt schon Kontakte in anderen Ländern haben. Wenn ich also reise, kenne ich schon ein bisschen im Voraus einige Esperantisten und wie sie ticken."
Reisen mit Esperanto – auch junge Leute wie Guy Johnston verbindet die Sprache mit Menschen aus fremden Ländern. In der so genannten inneren Idee, der Idea Interna, hat Ludwik Zamenhof zu Lebzeiten seine Vorstellung vom Zusammenleben der Völker formuliert: "Eine Idee, die auf neutralem Fundament die Mauern zwischen den Völkern abbaut und die Menschen daran gewöhnt, dass jeder in seinem Nächsten nur einen Menschen, einen Bruder, sieht." Zamenhof wollte vor allem sprachliche Demokratie zwischen den Völkern schaffen. Die heutige Esperanto-Bewegung lebt seine Idee mit einer sehr eigenen Identifikation weiter. Eine Esperanto-Flagge, ja selbst eine Hymne stellen die Sprache in den Vordergrund.
"Es gibt gar nicht so viele Leute, die Esperanto sprechen. Das kann natürlich ein Nachteil sein, aber genauso gut ein Vorteil. Weil es in dem überschaubaren Kreis schon Grund genug ist, sich besser kennenzulernen, wenn man sich über den Weg läuft. Man hat also schon etwas gemeinsam."
So sind Esperanto und die Reisen mit dem Pasporta Servo auch ein Versuch, diejenigen zusammenzuhalten, die sich ernsthaft mit der Sprache auseinandersetzen. Doch auch Guy Johnston wird wieder zurückkehren nach Irland, in sein Heimatland, zu seiner Muttersprache, Esperanto nur noch im Kopf. Die wenigsten Esperantisten wandern ganz aus oder suchen eine neue Heimat. Ihnen geht es um Gleichgesinnte, um Entdeckung und eine sinnvolle Idee.
Die meisten Esperantisten führen ein Leben wie jeder andere. Abenteuer ja, Selbstaufgabe nein. Warum auch, die Idee lebt, auch für Karl Breuninger nach jeder Rückkehr nach Hause daheim weiter.
Reisestrapazen nehmen die Esperantisten gerne in Kauf. Einige, weil sie so erst den Sinn des Reisens erfassen. Andere, weil es für sie dazugehört, bei der Suche nach Verständigung und Weltfrieden etwas gemeinsam zu erleben, gemeinsam Neues zu entdecken. Die Motivation liegt meist tief in einer inneren Überzeugung.
"Zum Beispiel haben wir ein Mitglied, eine 86-jährige Dame, die seit Jahren im Pasporta Servo ist und in Gröbenzell wohnt. Sie sagt, sie macht keine Reisen, sie holt sich die Welt zu sich. Das ist der andere Gesichtspunkt von so einigen Leuten, die sagen: Ich will gar nicht reisen oder ich kann es mir gar nicht leisten, gesundheitlich oder finanziell. Und dann nehmen diejenigen lieber zwei, drei Mal im Jahr Gäste auf."
Diejenigen, die Esperanto und die Reisen zu Gleichgesinnten als Aufbruch in eine neue Sprachherrschaft verstehen, sehen sich mit Kritik konfrontiert, kein Interesse an der Kultur anderer Nationen zu entwickeln oder keine eigene Kultur zu haben. Den meisten Esperantisten aber geht es um die Freude an einer Sprache, die sie eint und an jedem Flecken der Erde zusammenbringt.
"Es gibt verschiedene Esperantisten, die das politisch sehen, als Mittel, das Englische zurückzudrängen. Aber realistisch gesehen ist Esperanto für mich ein nettes Hobby. Ich habe gewisse Vorteile dadurch, die sind nicht messbar. Aber mir macht es Spaß und das reicht mir."