Manfred Götzke: Deutschland, Polen, Geschichte - da denkt man immer noch sofort: Konflikt, Ärger, diplomatische Verstimmungen. Die deutsch-polnische Geschichte ist eben eine ziemlich heikle Sache, ich sage nur Vertriebenenpräsidentin. Umso ungewöhnlicher ist ein Projekt, das von Deutschlands und Polens Außenministern vor ein paar Jahren ins Leben gerufen wurde, ein gemeinsames deutsch-polnisches Geschichtsbuch mit ein- und demselben Blick auf die Geschichte beider Länder. 2013 soll das Buch eigentlich erscheinen. Das Problem: Bisher gibt es noch keinen Verlag, der es drucken will. Die Historikerin Simone Lässig ist wissenschaftliche Koordinatorin des Projektes. Frau Lässig – das gemeinsame Geschichtsbuch ist ja ein Riesen-Prestigeprojekt. Warum will das keiner drucken?
Simone Lässig: Dass es keiner drucken wird, das möchte ich im Moment nicht behaupten. Also es hat da in der vergangenen Woche so einige etwas missverständliche Meldungen gegeben. Wir haben vergleichsweise viel mit Verlagen zu tun und haben auch durchaus positive Signale, Interesse vonseiten zumindest deutscher Schulbuchverlage erhalten, und ich glaube auch, dass das auf polnischer Seite ganz ähnlich ist.
Götzke: Brauchen Sie mehr Unterstützung aus der Politik?
Lässig: Ich glaube, wir haben die Unterstützung, die wir brauchen aus der Politik. Also ich sagte schon: Es ist ein Möglichkeitsraum, den uns die Politik schafft. Bis jetzt haben die Wissenschaftler gearbeitet, und die Wissenschaftler haben aus gutem Grunde auch sehr viel Wert darauf gelegt, dass das kein dezidiertes Regierungsprojekt ist, sondern dass es ein Projekt ist, was sich auch aus der Zivilgesellschaft heraus speist, dass es also nicht an bestimmte politische Richtungen gebunden ist, sondern auch länger Bestand haben kann, weil ich denke: Auch grenzübergreifende und europäische Verständigung wird nicht nur aus Akten großer Politik erwachsen, aus symbolischen Akten, sondern die bedarf immer wieder wirklich sehr beharrlicher Arbeit auch verschiedener Generationen. Und das braucht unser Projekt in der derzeitigen Phase auch, also ich denke, Geduld, Beharrlichkeit und na ja, vielleicht auch ein bisschen Geschick in den Gesprächen mit den Verlagen. Ich sagte, sie sind grundsätzlich interessiert, aber es gibt natürlich auch große Herausforderungen, wenn man so ein Projekt realisieren möchte.
Götzke: Worin bestehen die?
Lässig: Ja, die größte Herausforderung denke ich besteht darin, dass es ein komplett neu entwickeltes Schulbuch sein wird, und so etwas tun Schulbuchverlage grundsätzlich sehr, sehr selten, weil das eine ganz große Investition ist. Dazu kommt in dem Falle noch, dass natürlich die polnisch-deutsche Geschichte auch eine sehr spezielle Geschichte ist.
Götzke: Wie soll denn damit in dem Buch umgegangen werden, zum Beispiel mit dem Thema Vertreibungsproblematik, Vertreibung?
Lässig: Der Ansatzpunkt für unser Geschichtsbuch ist, dass wir zunächst erst mal die Pluralität von europäischen Geschichtserzählungen, Erinnerungskulturen sichtbar machen wollen. Wir wollen die Schüler ermutigen, auch die Lehrer natürlich, Perspektivenwechsel einzuüben, also durchaus auch die Sicht der jeweils anderen Seite auf ein- und dasselbe Phänomen deutlich machen.
Götzke: Stehen dann zwei Versionen der Geschichte in dem einen Buch?
Lässig: Unter Umständen ja, also nicht durchgängig natürlich, wir wollen ja auch keine deutsch-polnische Beziehungsgeschichte schreiben. Was wir wollen, ist, wirklich einen Beitrag dazu leisten, dass der Ost-Erweiterung der EU auch irgendwie eine Erweiterung des historischen Bewusstseins folgt. Also wir haben immer noch diese Schere im Kopf, die aus Zeiten des Kalten Krieges herrührt, dass unter Europa eigentlich meist das Europa der westeuropäischen Integration verstanden wird und das dann auch in die Geschichte zurückprojiziert wird, dass viele, wenn sie über Europa und europäische Geschichte sprechen, eben an Oder und Neiße, nicht weiter, denken. Und dies soll also durch dieses Schulbuch aufgebrochen werden, auf polnischer Seite geht es darum, auch die noch sehr stark dominierenden nationalen Perspektiven zu erweitern. Und es wird sicherlich so zentrale Themen geben, die auch in der Geschichtskultur beider Staaten und Gesellschaften immer wieder kontrovers diskutiert worden sind, wo wir sehr viel Wert darauf legen, auch unterschiedliche Deutungen in das Schulbuch hineinzubringen und Schüler zu befähigen, sich damit auseinanderzusetzen.
Götzke: Derzeit sind ja allein in Deutschland Hunderte Geschichtsbücher auf dem Markt. Welche Relevanz kann da das neue gemeinsame Buch überhaupt haben?
Lässig: Also die Relevanz erklärt sich zum einen in der Tat aus dieser gesamteuropäischen Perspektive, dass wir sagen: Bestimmte Themen wie zum Beispiel Staatsbildung in der Frühen Neuzeit oder auch Vertreibungen, Zwangsmigrationen, solche Erfahrungen werden eben aus der Sicht Deutschlands und Polens, aber eben mit einem europäisch- und auch durchaus global-historischen Ansatz im Schulbuch behandelt. Aber dies ist natürlich auch eine Herausforderung in verschiedenster Art: logistisch, in den Investitionen und in der Zeit, in der Geduld, die man aufbringen muss, bis solch ein Werk wirklich fertiggestellt ist.
Götzke: Das deutsch-polnische Geschichtsbuch sucht noch einen Verlag. Die Historikerin Simone Lässig war das, vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Simone Lässig: Dass es keiner drucken wird, das möchte ich im Moment nicht behaupten. Also es hat da in der vergangenen Woche so einige etwas missverständliche Meldungen gegeben. Wir haben vergleichsweise viel mit Verlagen zu tun und haben auch durchaus positive Signale, Interesse vonseiten zumindest deutscher Schulbuchverlage erhalten, und ich glaube auch, dass das auf polnischer Seite ganz ähnlich ist.
Götzke: Brauchen Sie mehr Unterstützung aus der Politik?
Lässig: Ich glaube, wir haben die Unterstützung, die wir brauchen aus der Politik. Also ich sagte schon: Es ist ein Möglichkeitsraum, den uns die Politik schafft. Bis jetzt haben die Wissenschaftler gearbeitet, und die Wissenschaftler haben aus gutem Grunde auch sehr viel Wert darauf gelegt, dass das kein dezidiertes Regierungsprojekt ist, sondern dass es ein Projekt ist, was sich auch aus der Zivilgesellschaft heraus speist, dass es also nicht an bestimmte politische Richtungen gebunden ist, sondern auch länger Bestand haben kann, weil ich denke: Auch grenzübergreifende und europäische Verständigung wird nicht nur aus Akten großer Politik erwachsen, aus symbolischen Akten, sondern die bedarf immer wieder wirklich sehr beharrlicher Arbeit auch verschiedener Generationen. Und das braucht unser Projekt in der derzeitigen Phase auch, also ich denke, Geduld, Beharrlichkeit und na ja, vielleicht auch ein bisschen Geschick in den Gesprächen mit den Verlagen. Ich sagte, sie sind grundsätzlich interessiert, aber es gibt natürlich auch große Herausforderungen, wenn man so ein Projekt realisieren möchte.
Götzke: Worin bestehen die?
Lässig: Ja, die größte Herausforderung denke ich besteht darin, dass es ein komplett neu entwickeltes Schulbuch sein wird, und so etwas tun Schulbuchverlage grundsätzlich sehr, sehr selten, weil das eine ganz große Investition ist. Dazu kommt in dem Falle noch, dass natürlich die polnisch-deutsche Geschichte auch eine sehr spezielle Geschichte ist.
Götzke: Wie soll denn damit in dem Buch umgegangen werden, zum Beispiel mit dem Thema Vertreibungsproblematik, Vertreibung?
Lässig: Der Ansatzpunkt für unser Geschichtsbuch ist, dass wir zunächst erst mal die Pluralität von europäischen Geschichtserzählungen, Erinnerungskulturen sichtbar machen wollen. Wir wollen die Schüler ermutigen, auch die Lehrer natürlich, Perspektivenwechsel einzuüben, also durchaus auch die Sicht der jeweils anderen Seite auf ein- und dasselbe Phänomen deutlich machen.
Götzke: Stehen dann zwei Versionen der Geschichte in dem einen Buch?
Lässig: Unter Umständen ja, also nicht durchgängig natürlich, wir wollen ja auch keine deutsch-polnische Beziehungsgeschichte schreiben. Was wir wollen, ist, wirklich einen Beitrag dazu leisten, dass der Ost-Erweiterung der EU auch irgendwie eine Erweiterung des historischen Bewusstseins folgt. Also wir haben immer noch diese Schere im Kopf, die aus Zeiten des Kalten Krieges herrührt, dass unter Europa eigentlich meist das Europa der westeuropäischen Integration verstanden wird und das dann auch in die Geschichte zurückprojiziert wird, dass viele, wenn sie über Europa und europäische Geschichte sprechen, eben an Oder und Neiße, nicht weiter, denken. Und dies soll also durch dieses Schulbuch aufgebrochen werden, auf polnischer Seite geht es darum, auch die noch sehr stark dominierenden nationalen Perspektiven zu erweitern. Und es wird sicherlich so zentrale Themen geben, die auch in der Geschichtskultur beider Staaten und Gesellschaften immer wieder kontrovers diskutiert worden sind, wo wir sehr viel Wert darauf legen, auch unterschiedliche Deutungen in das Schulbuch hineinzubringen und Schüler zu befähigen, sich damit auseinanderzusetzen.
Götzke: Derzeit sind ja allein in Deutschland Hunderte Geschichtsbücher auf dem Markt. Welche Relevanz kann da das neue gemeinsame Buch überhaupt haben?
Lässig: Also die Relevanz erklärt sich zum einen in der Tat aus dieser gesamteuropäischen Perspektive, dass wir sagen: Bestimmte Themen wie zum Beispiel Staatsbildung in der Frühen Neuzeit oder auch Vertreibungen, Zwangsmigrationen, solche Erfahrungen werden eben aus der Sicht Deutschlands und Polens, aber eben mit einem europäisch- und auch durchaus global-historischen Ansatz im Schulbuch behandelt. Aber dies ist natürlich auch eine Herausforderung in verschiedenster Art: logistisch, in den Investitionen und in der Zeit, in der Geduld, die man aufbringen muss, bis solch ein Werk wirklich fertiggestellt ist.
Götzke: Das deutsch-polnische Geschichtsbuch sucht noch einen Verlag. Die Historikerin Simone Lässig war das, vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.