Christian Bremkamp: Was sich lange Zeit kaum jemand ernsthaft vorstellen konnte, ist nun eingetreten: die Rating-Agentur Standard & Poor’s hat die Kreditwürdigkeit der Vereinigten Staaten in Zweifel gezogen. Sie werde deren Bonität zwar weiter mit der Bestnote Triple-A bewerten, allerdings senke sie den Ausblick für die langfristige Beurteilung von stabil auf negativ, verlautete aus der Zentrale des weltweit agierenden Unternehmens. Grund für diese Beurteilung sei das im Vergleich zu anderen mit Triple-A bewerteten Ländern sehr hohe Haushaltsdefizit der USA.
Am Telefon begrüße ich jetzt Rudolf Hickel, langjähriger Professor für Finanzwissenschaft an der Universität Bremen, heute Forschungsleiter am Institut Arbeit und Wirtschaft, ebenfalls in Bremen. Guten Tag, Herr Hickel.
Rudolf Hickel: Schönen guten Tag!
Bremkamp: Spielen die Agenturen hier ein Spielchen, fragt die gerade im Beitrag gehörte US-Ökonomin. Was ist Ihre Meinung? Wird hier ein Spielchen gespielt?
Hickel: Ich finde es ganz gut, dass darauf hingewiesen wird, dass die Rating-Agenturen vor allem in der Finanzmarktkrise absolut versagt haben. Sie haben uns im Grunde genommen heute toxische Finanzprodukte, die nichts mehr wert sind, mit Triple-A ausgezeichnet. Insoweit ist zum Einstieg die Skepsis gegenüber Rating-Agenturen richtig. Das zweite ist auch, was sehr scharf zu kritisieren ist, diese Unabhängigkeit. Wir haben ja in der Zwischenzeit wenigstens in der Europäischen Union ein verschärftes Verfahren. Nicht mehr jeder darf Rating machen.
Aber zum Inhalt selber, es ist ja hoch interessant. Es geht doch darum, dass Standard & Poor’s einen Ausblick gibt, einen Ausblick – das ist ganz wichtig – auf die US-amerikanische Entwicklung, und der Ausblick wird abgewertet von stabil auf negativ. Damit droht natürlich die Wahrscheinlichkeit, Standard & Poor’s sagt eine Wahrscheinlichkeit von mehr als 30 Prozent, dass es irgendwann zum Downgrading kommt, dass das Triple-A-Rating, also diese Bewertungsnote, abgesenkt wird.
Interessanterweise gibt es gleichzeitig eine Stellungnahme vom Konkurrenten von Standard & Poor’s, nämlich von Moody’s, und Moody’s sagt genau das Gegenteil. Die sagen, der Wechsel in der Haushaltsdebatte, der jetzt im Rahmen der Kompromissbildung deutlich geworden ist, auch die Absicht, neue Schulden einzusparen, gibt eher eine ganz andere Bewertung, nämlich dass eher das ganze positiv zu bewerten ist. Also hier gibt es auch in gewisser Weise einen Konkurrenzkampf zwischen den jeweiligen Rating-Agenturen, und wenn wir auf die Finanzmärkte sehen, dann fällt ja auf, die Finanzmärkte haben sich kaum irritieren lassen.
Es ist ja die Idee, um das noch mal unseren Zuhörerinnen und Zuhörern zu erklären, nämlich die Idee ist ja, dass das Rating uns eine Auskunft darüber gibt, über die Kreditwürdigkeit, über die Bonität der Vereinigten Staaten, und wenn die Kreditwürdigkeit schlechter eingeschätzt wird, dann müssten eigentlich die Zinsen, die im Grunde genommen für die Staatsanleihen in den USA bezahlt werden müssen, steigen, aber das ist nicht der Fall.
Bremkamp: Wer den Schaden hat, wissen wir. Wer profitiert denn möglicherweise durch solche Einschätzungen, Beurteilungen?
Hickel: Na ja, das ist nun ganz schwierig, weil wir haben es ja hier mit einem Rating zu tun eines Staates. Die Rating-Agenturen sind ja sonst an sich immer sehr aktiv beim Raten, also bei der Bewertung von Unternehmen, und da gibt es ja schon den Vorwurf, auch im Rahmen der Finanzmarktkrise ist das deutlich geworden, dass die Rating-Agenturen natürlich auch Interessen vertreten. Das kann man nun unmittelbar in dem Sinne, dass sozusagen Positionen zwischen der Konkurrenz der jeweiligen Unternehmen, die da bewertet sind, eine Rolle spielen, bei den USA nicht sagen.
Ich glaube, auf der einen Seite ist es auch eine Wichtigtuerei, die ich so sehe bei der Rating-Agentur, weil überhaupt nicht zur Kenntnis genommen wird, dass in den USA ja ganz massiv versucht wird, aus diesem massiven Schuldenanstieg rauszukommen. Es könnte auch sein - da muss man immer vorsichtig sein, aber ich wage mal die These -, dass Standard & Poor’s auch in der Konkurrenz mit Moody’s, mit Fitch Ratings und anderen, dass die natürlich jetzt auch vielleicht eine kleine Rechnung aufmachen dafür, dass ja vor allem Obama mit seinen Plänen zur Reform der Finanzen gerade sehr scharf die Rating-Agenturen kritisiert hat. Entscheidend kommt es darauf an, woher nimmt eigentlich eine Rating-Agentur die Legitimation. Oder anders gefragt…
Bremkamp: Und auch das Wissen!
Hickel: Oder anders gefragt: Wissen die eigentlich mehr als wir? Wir diskutieren das intensiv in der Wirtschaftswissenschaft unter dem sogenannten Stichwort der adversen Informationsselektion. Wissen die eigentlich mehr? Und man muss eigentlich sagen, na ja, gut, was ich heute mitbekommen habe, heute Nacht gelesen habe, das wussten wir doch alles. Wir wissen doch, dass die USA in einer schweren Finanzierungskrise ist, was die Staatsschulden betrifft. Wir wissen aber auch, das ist hoch interessant, was Standard & Poor’s völlig unterschlägt, dass interessanterweise das Wirtschaftswachstum in diesem Jahr geschätzt bei knapp drei Prozent liegt, also die wirtschaftliche Entwicklung sich verbessert hat, auch die Zahl der registrierten Arbeitslosen zurückgegangen ist. Und jetzt sozusagen in diese Konstellation hinein, die relativ bekannt ist – dafür sorgen ja auch die Medien, dafür sorgt auch der Deutschlandfunk, dass wir das alles wissen -, in diese Situation hinein wird jetzt plötzlich sozusagen dieser Warnschuss abgegeben, und den halte ich eigentlich für völlig kontraproduktiv und man muss wirklich nach der Legitimation dieser Intervention fragen. Ich habe durch Standard & Poor’s und durch die Gegenäußerung von Moody’s nichts Neues erfahren.
Bremkamp: Aber irgendjemand muss doch ein Interesse daran haben, so was passiert doch nicht zufällig.
Hickel: Sicherlich hängt das damit zusammen, dass natürlich auch auf der anderen Seite wieder hinter Standard & Poor’s ökonomische Gruppen stehen, auch die Finanzmärkte vor allem in New York, die natürlich auch jetzt schon ein Interesse daran haben, diesen Warnschuss abzugeben. Aber es ist, glaube ich, auch in gewisser Weise so, muss man wohl auch sehen, eingangs in Ihrem Beitrag ist es ja gesagt worden: Nachdem die Rating-Agenturen ja schwer an Image verloren haben, ja geradezu auf der Teufelsliste standen während der Finanzmarktkrise, weil da so viele Fehler gelaufen sind, ist es vielleicht jetzt auch wieder eine Profilierung, die da abgegeben wird, aber die ist eigentlich vergleichsweise wenig nützlich, und interessant ist, dieser Widerspruch muss natürlich dann auch geklärt werden: wieso kommt Moody’s in einer Stellungnahme zur Bewertung der Kreditwürdigkeit der Vereinigten Staaten insgesamt zu einem ganz anderen Ergebnis.
Also man sieht, oder ich will es mal so formulieren aus der Sicht der Ökonomie, meiner Wirtschaftswissenschaft: Die Frage, was ist Mathematik, was ist exakt und was ist Meinung, ist relativ schwer auseinanderzuhalten. Und eins ist klar: Standard & Poor’s ist halt weltweit in der Diskussion. Aber interessant ist, auch für unsere Bewertung heute, dass die Finanzmärkte kaum reagiert haben. Dafür gibt es übrigens einen Grund. Man müsste ja jetzt erwarten, dass es nach diesem Warnschuss eine starke Flucht gibt aus den Staatsanleihen, aber man kann die überhaupt nicht feststellen, übrigens auch aus einem ganz schlichten Grund: Der Wechsel von amerikanischen Staatsanleihen, von Bonds in andere Anleihen weltweit ist gar nicht so einfach.
Bremkamp: …, sagt der Finanz- und Wirtschaftsexperte Rudolf Hickel. Ganz herzlichen Dank für das Gespräch.
Hickel: Schönen Dank!
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Am Telefon begrüße ich jetzt Rudolf Hickel, langjähriger Professor für Finanzwissenschaft an der Universität Bremen, heute Forschungsleiter am Institut Arbeit und Wirtschaft, ebenfalls in Bremen. Guten Tag, Herr Hickel.
Rudolf Hickel: Schönen guten Tag!
Bremkamp: Spielen die Agenturen hier ein Spielchen, fragt die gerade im Beitrag gehörte US-Ökonomin. Was ist Ihre Meinung? Wird hier ein Spielchen gespielt?
Hickel: Ich finde es ganz gut, dass darauf hingewiesen wird, dass die Rating-Agenturen vor allem in der Finanzmarktkrise absolut versagt haben. Sie haben uns im Grunde genommen heute toxische Finanzprodukte, die nichts mehr wert sind, mit Triple-A ausgezeichnet. Insoweit ist zum Einstieg die Skepsis gegenüber Rating-Agenturen richtig. Das zweite ist auch, was sehr scharf zu kritisieren ist, diese Unabhängigkeit. Wir haben ja in der Zwischenzeit wenigstens in der Europäischen Union ein verschärftes Verfahren. Nicht mehr jeder darf Rating machen.
Aber zum Inhalt selber, es ist ja hoch interessant. Es geht doch darum, dass Standard & Poor’s einen Ausblick gibt, einen Ausblick – das ist ganz wichtig – auf die US-amerikanische Entwicklung, und der Ausblick wird abgewertet von stabil auf negativ. Damit droht natürlich die Wahrscheinlichkeit, Standard & Poor’s sagt eine Wahrscheinlichkeit von mehr als 30 Prozent, dass es irgendwann zum Downgrading kommt, dass das Triple-A-Rating, also diese Bewertungsnote, abgesenkt wird.
Interessanterweise gibt es gleichzeitig eine Stellungnahme vom Konkurrenten von Standard & Poor’s, nämlich von Moody’s, und Moody’s sagt genau das Gegenteil. Die sagen, der Wechsel in der Haushaltsdebatte, der jetzt im Rahmen der Kompromissbildung deutlich geworden ist, auch die Absicht, neue Schulden einzusparen, gibt eher eine ganz andere Bewertung, nämlich dass eher das ganze positiv zu bewerten ist. Also hier gibt es auch in gewisser Weise einen Konkurrenzkampf zwischen den jeweiligen Rating-Agenturen, und wenn wir auf die Finanzmärkte sehen, dann fällt ja auf, die Finanzmärkte haben sich kaum irritieren lassen.
Es ist ja die Idee, um das noch mal unseren Zuhörerinnen und Zuhörern zu erklären, nämlich die Idee ist ja, dass das Rating uns eine Auskunft darüber gibt, über die Kreditwürdigkeit, über die Bonität der Vereinigten Staaten, und wenn die Kreditwürdigkeit schlechter eingeschätzt wird, dann müssten eigentlich die Zinsen, die im Grunde genommen für die Staatsanleihen in den USA bezahlt werden müssen, steigen, aber das ist nicht der Fall.
Bremkamp: Wer den Schaden hat, wissen wir. Wer profitiert denn möglicherweise durch solche Einschätzungen, Beurteilungen?
Hickel: Na ja, das ist nun ganz schwierig, weil wir haben es ja hier mit einem Rating zu tun eines Staates. Die Rating-Agenturen sind ja sonst an sich immer sehr aktiv beim Raten, also bei der Bewertung von Unternehmen, und da gibt es ja schon den Vorwurf, auch im Rahmen der Finanzmarktkrise ist das deutlich geworden, dass die Rating-Agenturen natürlich auch Interessen vertreten. Das kann man nun unmittelbar in dem Sinne, dass sozusagen Positionen zwischen der Konkurrenz der jeweiligen Unternehmen, die da bewertet sind, eine Rolle spielen, bei den USA nicht sagen.
Ich glaube, auf der einen Seite ist es auch eine Wichtigtuerei, die ich so sehe bei der Rating-Agentur, weil überhaupt nicht zur Kenntnis genommen wird, dass in den USA ja ganz massiv versucht wird, aus diesem massiven Schuldenanstieg rauszukommen. Es könnte auch sein - da muss man immer vorsichtig sein, aber ich wage mal die These -, dass Standard & Poor’s auch in der Konkurrenz mit Moody’s, mit Fitch Ratings und anderen, dass die natürlich jetzt auch vielleicht eine kleine Rechnung aufmachen dafür, dass ja vor allem Obama mit seinen Plänen zur Reform der Finanzen gerade sehr scharf die Rating-Agenturen kritisiert hat. Entscheidend kommt es darauf an, woher nimmt eigentlich eine Rating-Agentur die Legitimation. Oder anders gefragt…
Bremkamp: Und auch das Wissen!
Hickel: Oder anders gefragt: Wissen die eigentlich mehr als wir? Wir diskutieren das intensiv in der Wirtschaftswissenschaft unter dem sogenannten Stichwort der adversen Informationsselektion. Wissen die eigentlich mehr? Und man muss eigentlich sagen, na ja, gut, was ich heute mitbekommen habe, heute Nacht gelesen habe, das wussten wir doch alles. Wir wissen doch, dass die USA in einer schweren Finanzierungskrise ist, was die Staatsschulden betrifft. Wir wissen aber auch, das ist hoch interessant, was Standard & Poor’s völlig unterschlägt, dass interessanterweise das Wirtschaftswachstum in diesem Jahr geschätzt bei knapp drei Prozent liegt, also die wirtschaftliche Entwicklung sich verbessert hat, auch die Zahl der registrierten Arbeitslosen zurückgegangen ist. Und jetzt sozusagen in diese Konstellation hinein, die relativ bekannt ist – dafür sorgen ja auch die Medien, dafür sorgt auch der Deutschlandfunk, dass wir das alles wissen -, in diese Situation hinein wird jetzt plötzlich sozusagen dieser Warnschuss abgegeben, und den halte ich eigentlich für völlig kontraproduktiv und man muss wirklich nach der Legitimation dieser Intervention fragen. Ich habe durch Standard & Poor’s und durch die Gegenäußerung von Moody’s nichts Neues erfahren.
Bremkamp: Aber irgendjemand muss doch ein Interesse daran haben, so was passiert doch nicht zufällig.
Hickel: Sicherlich hängt das damit zusammen, dass natürlich auch auf der anderen Seite wieder hinter Standard & Poor’s ökonomische Gruppen stehen, auch die Finanzmärkte vor allem in New York, die natürlich auch jetzt schon ein Interesse daran haben, diesen Warnschuss abzugeben. Aber es ist, glaube ich, auch in gewisser Weise so, muss man wohl auch sehen, eingangs in Ihrem Beitrag ist es ja gesagt worden: Nachdem die Rating-Agenturen ja schwer an Image verloren haben, ja geradezu auf der Teufelsliste standen während der Finanzmarktkrise, weil da so viele Fehler gelaufen sind, ist es vielleicht jetzt auch wieder eine Profilierung, die da abgegeben wird, aber die ist eigentlich vergleichsweise wenig nützlich, und interessant ist, dieser Widerspruch muss natürlich dann auch geklärt werden: wieso kommt Moody’s in einer Stellungnahme zur Bewertung der Kreditwürdigkeit der Vereinigten Staaten insgesamt zu einem ganz anderen Ergebnis.
Also man sieht, oder ich will es mal so formulieren aus der Sicht der Ökonomie, meiner Wirtschaftswissenschaft: Die Frage, was ist Mathematik, was ist exakt und was ist Meinung, ist relativ schwer auseinanderzuhalten. Und eins ist klar: Standard & Poor’s ist halt weltweit in der Diskussion. Aber interessant ist, auch für unsere Bewertung heute, dass die Finanzmärkte kaum reagiert haben. Dafür gibt es übrigens einen Grund. Man müsste ja jetzt erwarten, dass es nach diesem Warnschuss eine starke Flucht gibt aus den Staatsanleihen, aber man kann die überhaupt nicht feststellen, übrigens auch aus einem ganz schlichten Grund: Der Wechsel von amerikanischen Staatsanleihen, von Bonds in andere Anleihen weltweit ist gar nicht so einfach.
Bremkamp: …, sagt der Finanz- und Wirtschaftsexperte Rudolf Hickel. Ganz herzlichen Dank für das Gespräch.
Hickel: Schönen Dank!
"Zahlungsfähigkeit der Vereinigten Staaten ist immer noch da"
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Kommentar: Zur Herabstufung des Bonitätsausblicks für die USA