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Vogelgrippe als Biowaffe?

Ein niederländisches Forscherteam hat ein H5N1-Virus kreiert, mit dem sich Menschen gegenseitig anstecken könnten. Bereits im letzten Jahr sollte die Studie veröffentlicht werden. Doch wegen des hohen Missbrauchrisikos geschah das nicht. Nun gab's einen zweiten Anlauf der Veröffentlichung - vorerst ohne Erfolg.

Von Jochen Steiner |
    Normalerweise sitzen mehrere Person auf der Bühne in dem Saal, in dem auf der AAAS-Tagung die Pressekonferenzen stattfinden. Doch an diesem Freitag betritt ein einzelner Mann das Podium der kurzfristig einberufenen Pressekonferenz: Professor Bruce Alberts, Chefredakteur des Fachmagazins "Science". Vor ihm auf dem Tisch liegt eine Erklärung der Weltgesundheitsorganisation. Von dem Treffen einer Expertengruppe bei der WHO in Genf zum Für und Wider einer Veröffentlichung über die Herstellung eines H5N1-Virus durch niederländische und US-amerikanische Forscher im Labor hatte er sich eigentlich nicht viel erwartet.

    "Zu meiner Überraschung kamen sie aber doch zu einem Ergebnis. Wir sind nicht davon ausgegangen, dass das heute passieren würde."

    Das Ergebnis kurz zusammengefasst: Die Gesundheitsexperten sind für eine Veröffentlichung der gesamten Studie, jedoch soll diese erst einmal aufgeschoben werden. Damit stellen sich die Fachleute auf dem WHO-Treffen auf die Seite der Fachmagazine "Science" und "Nature", die ursprünglich die komplette Studie abdrucken wollten. Das Nationale Gremium für Biologische Sicherheit in den USA allerdings will bestimmte Passagen wie den Methodenteil nicht abgedruckt sehen. Das Gremium befürchtet, dass Terroristen das von niederländischen Forschern veränderte Vogelgrippe-Virus nachbauen und als Biowaffe einsetzen könnten. Denn das neue H5N1-Virus wäre wohl leicht von Mensch zu Mensch übertragbar und führt häufig zum Tod.

    Ein zweischneidiges Schwert also: einerseits wären bei einer Teil-Veröffentlichung wichtige Erkenntnisse für andere Virologen nicht zugänglich, die Forschung zur Bekämpfung des Virus würde zurückgeworfen werden, andererseits würde die Gefahr einer möglichen neuen Biowaffe reduziert, wenn nur ein Teil publik wird. Ein Abwägungsprozess, der noch Zeit braucht.

    "Eine Sache ist sicher: Der Plan von "Nature" und "Science" war es ursprünglich, eine abgespeckte Version der Studie Mitte März zu veröffentlichen. Das wird jetzt sicherlich nicht geschehen."

    Obwohl sich die Experten beim WHO-Treffen für eine komplette Veröffentlichung ausgesprochen haben, kritisiert Bruce Alberts die WHO. Sie habe lange genug Zeit gehabt, sich darüber Gedanken zu machen, was in solch einem Fall zu tun ist. Doch es musste erst dieser "Notfall" eintreten, wie er es nennt. Der Chefredakteur von Science zitiert die wesentlichen Passagen der vor ihm liegenden Erklärung:

    "Die Expertengruppe kommt zu dem Ergebnis, dass eine komplette Veröffentlichung in "Science" und "Nature" zu einem späteren Zeitpunkt der Bevölkerung einen größeren Nutzen in Sachen Gesundheit liefert, als eine sofortige Teil-Veröffentlichung."

    Auch deutsche Virologen sprechen sich für eine vollständige Veröffentlichung aus. Professor Christian Drosten, Professor Stephan Becker und die Autorin Dr. Petra Dickmann schreiben in einem Artikel auf der Internetseite der FAZ:

    "Wir halten die detaillierte Publikation für ein zentrales Moment der wissenschaftlichen Kultur, das auch in diesem Fall unbedingt aufrechterhalten werden muss."

    Vor der Veröffentlichung müssten jedoch noch zwei kritische Punkte geklärt werden, zitiert Bruce Alberts weiter das Papier:

    "Erstens, das Bewusstsein und das Verständnis für diese Forschung durch Öffentlichkeitsarbeit in der Bevölkerung stärken – das bedeutet wohl, die Menschen vorzubereiten, um sie nicht unnötig zu beunruhigen – und zweitens, die Überprüfung der neuen biologischen Sicherheitsaspekte, die durch das im Labor veränderte H5N1-Virus aufgetaucht sind."

    Dazu die Virologen Drosten und Becker in der FAZ:

    "Es wäre sicherlich hilfreich, wenn die Öffentlichkeit mehr über das tatsächliche Arbeiten in Sicherheits- und Hochsicherheitslaboren wüsste."

    Und weiter:

    "Insgesamt wäre eine Demystifikation der Arbeit in Hochsicherheitslaboren sinnvoll."

    Noch ist unklar, wie die WHO weiter vorgehen wird. Bruce Alberts:

    "Sowohl "Nature" als auch "Science" werden abwarten, bis wir weitere Information von der WHO und anderen Institutionen bekommen, wann wir die komplette Studie veröffentlichen können."

    Aufgrund dieser und ähnlicher Aussagen werfen einige Pressevertreter Bruce Alberts vor, sich den Beschlüssen der von der WHO einberufenen Expertengruppe und des Nationalen Gremiums für Biologische Sicherheit völlig auszuliefern. Die Entscheidung, ob eine Studie veröffentlicht wird oder nicht, liege doch allein bei den Herausgebern der Fachmagazine, so ein Journalist.

    Der Science-Chefredakteur erwidert:

    "Wir haben uns bislang an die Empfehlungen des Nationalen Gremiums für Biologische Sicherheit gehalten, weil es die beste Instanz ist, die ich kenne, um solche Entscheidungen zu fällen. Wenn "Science" dieses Gremium ignoriert, wäre das sein Aus und ich kann mir kein besseres Gremium vorstellen, in dem hervorragende Wissenschaftler mit Sicherheitsexperten zusammenarbeiten."

    Diese Gremien dürften sich jedoch nicht ewig mit ihren Beschlüssen Zeit lassen, so Alberts, denn das Vogelgrippe-Virus könne sich schnell verändern und zur ernsten Gefahr werden. Die Wissenschaftler bräuchten schnell die vollständigen Informationen aus der Studie, damit sie den Kampf gegen H5N1 aufnehmen können.