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Vogelgrippe
Impfen statt Töten?

Niedersachsen gilt als Herz der deutschen Geflügelmast. Nach dem Ausbruch der Vogelgrippe mussten dort über die Weihnachtstage insgesamt mehr als 55.000 Puten getötet werden. Immer mehr Tierschützer fordern deswegen, die Tiere zu impfen statt zu töten.

Von Johannes Kulms | 27.12.2016
    Mitarbeiter des Veterinäramts Plön nehmen Proben von toten Gänsen am Plöner See bei Dersau
    Mitarbeiter des Veterinäramts Plön nehmen Proben von toten Gänsen am Plöner See bei Dersau (dpa/ picture alliance )
    Dass im Agrarland Schleswig-Holstein die Vogelgrippe bislang nur in drei verschiedenen Betrieben festgestellt wurde, führt der hiesige Landwirtschaftsminister Robert Habeck auf seine strikten Maßnahmen zurück: Landesweit gilt Stallpflicht für Geflügel, Sperrbezirke und Beobachtungsgebiete wurden rund um die Fundorte errichtet. Dem Grünen-Politiker ist aber auch bewusst: Seine jetzige Politik passt nicht so richtig zu dem Versprechen, mit dem er 2012 angetreten war - für mehr Tierwohl zu sorgen!
    "Und das macht mir auch Bauchschmerzen. Und die Argumente derjenigen, die sagen, das ist ein Konfliktthema zwischen Tierschutz und auch den Verbrauchererwartungen an Freilandhaltung, die nehme ich total ernst. Aber ich bin überzeugt: Wenn die Tiere jetzt nicht in den Ställen wären, würden sie sich in großer Zahl infizieren und müssten elendig verrecken oder müssten getötet werden und das ist noch viel mehr gegen den Tierschutz."
    Übertragung über den Kot
    Diesen Kurs will Regina Jaeger nicht länger mitgehen. Die studierte Agraringenieurin sitzt für die Grünen im Kreistag von Plön und fordert Lockerungen bei der Stallpflicht - gerade für die kleineren Geflügelzuchten im Land. Denn von denen gehe aus ihrer Sicht keine Gefahr aus bei der Verbreitung des hochpathogenen Erregers H5N8. Jaeger hält 18 Hühner auf ihrem Hof 30 Kilometer nordöstlich von Kiel. Und meint mit Blick auf die derzeitigen Maßnahmen, "dass man sich die grundsätzliche Frage stellt, ob man sich sogenannte Nutztierhaltung im Freiland überhaupt noch erlauben kann. Und das sehe ich prinzipiell eben anders."
    Neben der Lockerung der Stallpflicht fordert Jaeger, Impfungen zu erlauben um ihre Tiere zu schützen.
    Der Vogelgrippe-Virus wird über verschiedene Wege weitergegeben – unter anderem über den Kot. Die Impfung als solche schützt nicht davor, den Virus von außen aufzunehmen. Allerdings scheiden die Tiere den infektiösen Kot über einen deutlich kleineren Zeitraum aus. Alles zusammen senke den Infektionsdruck, argumentieren Tierschützer. Das glaubt auch Agraringenieurin Jaeger:
    "Wenn ich Impftiere hier hätte, die scheiden geringere Mengen aus. Das heißt, ich als Tierhalter hätte auch weniger Risiko, mich bei meinen Tiere so anzustecken, dass dieser Virus bei mir zu einer gefährlichen Virusart weitermutiert."
    Auch die Tierschutzorganisation 'Vier Pfoten' plädiert für Impfungen und sieht darin eine Alternative zur Tötung ganzer infizierter Bestände von Puten, Hühnern und Gänsen, die auch die viele noch gesunde Tiere trifft.
    Thomas Mettenleiter, Direktor des Friedrich-Löffler-Instituts, ist trotzdem gegen die Impfung: Die dem Bundeslandwirtschaftsministerium unterstellte Forschungseinrichtung ist das Referenzlabor bei der Feststellung der Geflügelpest:
    "Impfung kann nicht vor Infektion schützen"
    "Was die Impfung kann - sie kann vor klinischer Symptomatik schützen. Was die Impfung nicht kann: Vor Infektion schützen, sie kann nicht vor Vermehrung schützen und sie kann nicht vor Weiterverbreitung des Virus schützen. Das heißt, wir würden im ungünstigsten Fall in einer Situation landen, dass wir ein verdecktes Infektionsgeschehen haben mit diesem hochpathogenen Geflügelpest-Erreger. Nun, das ist etwas, das ist dann komplett unkontrollierbar und das wollen wir auf alle Fälle vermeiden."
    Das Friedrich-Löffler-Institut sieht die Wildvögel als Hauptverbreiter der Geflügelpest. Doch schon länger gibt es Kritik an dieser These wie auch insgesamt am Kurs der Bundesbehörde – zum Beispiel vom Naturschutzbund NABU oder Sievert Lorenzen, emeritierter Biologie-Professor der Uni Kiel. Lorenzen hält ähnlich wie Mettenleitner nichts vom Impfen. Aber er fordert das FLI auf, stärker andere Thesen zur Verbreitung zu untersuchen. Das eigentliche Problem liege in der großdimensionierten hoch spezialisierten Geflügelhaltung, in der die Tiere je nach Haltungsziel quer durch die Republik transportiert werden. Wegen der engen Vernetzung der Betriebe könne sich das Virus schneller ausbreiten, z.B. über die Transportrouten, sagt Lorenzen.
    "Ein LKW-Fahrer muss ja auch mal Pausen machen, da wird dann die Lüftung angestellt und dann können Viren rausgepustet werden, so kann die Industrie schon für eine Ausbreitung sorgen."
    Der Kieler Wissenschaftler fordert die Rückkehr zu kleineren Haltungsformen. FLI-Direktor Thomas Mettenleiter weist die Kritik zurück, am Ende vor allem die Interessen der großen Geflügelhalter zu vertreten:
    "Also, dem Erreger ist es völlig egal, ob sein Zielorganismus in einem großen, mittleren oder kleinerem Bestand steht. Das heißt, wenn die Möglichkeit zur Infektion besteht, dann wird der Erreger auch versuchen, sie zu nutzen."
    Übersetzt in die Praxis bedeutet das: Entweder es müssen alle Tiere getötet werden oder keines – ein Verlust, der trifft, egal, wie groß der Zuchtbetrieb ist.