Im satten Gelb dehnt sich die Vojvodina-Ebene bis zum Horizont: Davor tanzen junge Frauen im Kreis, rotwangig, in weiten Trachtenröcken. Hier ist alles gut. Es gibt keine Arbeitslosigkeit, keine Armut, keine Politik. Alle halten sich an den Händen und tanzen, tanzen, tanzen - weil Alzbeta Chizikovas Pinsel es so will.
"Meine Bilder beschreiben den Alltag früher hier im Dorf. Ich male sie, damit die nächste Generation, wenn ich tot bin, weiß, wie es damals war."
Das kleine Dorf Kovačica, in der Vojvodina, im Norden Serbiens, ist schon seit Jahrzehnten berühmt für seine Maler: Autodidakten, die nach Feierabend zum Pinsel greifen, um ihr eigenes Leben zu beschreiben. Ihre "Naive Kunst" wurde schon überall in der Welt, in New York, in Brüssel, ausgestellt. Alzbeta Chizikova ist die älteste Malerin hier im Dorf. 84 Jahre.
Wie sie in ihrer kleinen Galerie sitzt, zusammengeschrumpelt, unter ihrem breitkrempigen Hut, vor ihr die riesige Staffelei, drum herum Dutzende Leinwände, Bilder, Pinsel und Farbtiegelchen, sieht sie aus, als wäre sie selbst einem ihrer Bilder entsprungen. Sie zeigt auf einige realistisch gemalte Porträts inmitten der naiv-ländlichen Bilderidylle an den Wänden.
"Dort, auf den Bildern, sind meine Enkelkinder und Kinder. Sie sind weggezogen. Wir waren sieben im Haus. Sie sind alle fort."
Genau Zahlen gibt es zwar nicht. Aber jeder in dem 6.000-Einwohner-Ort hat einen Freund oder Verwandten, der weggegangen ist. Da hier, in dem Dorf, vor allem Slowaken leben, gehen die meisten in die Slowakei, wo die Wirtschaft boomt. Es ist leicht, an einen Pass zu kommen. Und die jungen Menschen können außerdem in ihrer Muttersprache studieren.
"Es ist ein großes Unglück. Alle gehen weg. Sie ziehen in die Slowakei. Und die Slowaken dort wiederum gehen nach Österreich. Und hier stehen die Häuser leer. Sie verkaufen sie, mit allen drum und dran, Möbeln. Und ich überlege die ganze Zeit: Was kann man tun, damit sie zurückkommen?"
Die ländliche Idylle, sie ist nur noch auf den Bildern zu sehen: Bauern, die ihre Felder bestellen, Kinder, die Gänse hüten, und Frauen, die Butter, Würste, Käse zubereiten.
"Wir sind hier, das ist Kovacica und hier ist Belgrad."
Zwischen Arbeitsethos, Kunst und Tradition
In seiner Galerie nebenan hat Pavel Babka sich vor einer großen Karte vom österreichisch-ungarischen Reich in Stellung gebracht, um zu erklären, wie die Slowaken hier nach Kovacica, ins heutige Serbien kamen, damals, Ende des 18. Jahrhunderts.
"Maria-Theresia versuchte, Menschen hier anzusiedeln: Hier in Kovacica, ein Dorf, lebten rund 5000 Slowaken. Fünf Kilometer entfernt ein Dorf mit Ungarn, auch rund 5000 Leute. Und 10 Kilometer entfernt etwa 5000 Serben in einem Dorf. Und noch ein paar Kilometer entfernt: 5000 Donauschwaben. Und andere zehn Kilometer entfernt Rumänen."
Babka lässt sich in seinem Redefluss über die Slowaken hier in Kovacica kaum stoppen. Über ihren protestantischen Arbeitsethos, ihre Kunst, ihre Traditionen.
"Wir lebten nebeneinander, aber blieben als Gemeinschaften jeweils untereinander. Also wir lebten nebeneinander, nicht zusammen, wir mischten uns nicht."
Der kleine Mann mit dem akkurat geschnitten Schnauzer und kleinen blau-blanken Äuglein ist nicht nur der Chronist des Dorfes – sondern betreibt hier auch die größte Galerie im Ort, schleust regelmäßig Besuchergruppen aus den USA und allen anderen Ländern der Welt durch die keinen Atelierzimmerchen. Jetzt gerade ist nur ein russisches Pärchen zu Besuch. In letzter Zeit kommen aber auch immer mehr ehemalige Bewohner der Gegend, die mittlerweile im Ausland leben, erzählt Pavel Babkas Frau. Sie hat im Eingang einen Tisch mit Souvenirs aufgebaut – mit Kühlschrankmagneten und kleinen Puppen, die sie aus Maisblättern gebastelt hat.
"Sie kommen oft hierher, weil sie nostalgisch sind. Und ich glaube, wenn es hier wirtschaftlich vorwärts geht, werden sie zurückkommen. Sie sind nur jetzt wegen des Jobs in der Slowakei. Sie kaufen vor allem Souvenirs, kleine Dinge, manchmal aber auch Ölbilder, Aquarelle. Sie mögen vor allem solche Sachen hier – wo man unsere Landschaft sieht: die Weite der Vojvodina-Eben oder Schnee-Bilder."
Zurück ins Land der Vorfahren
Eigentlich gilt die Vojvodina als Wirtschaftsmotor Serbiens: die Löhne liegen höher als im Süden. Aber auch das scheint die Bewohner nicht mehr in ihrem Heimatdorf zu halten.
"Warum sollten die Leute hier für 200 Euro arbeiten, wenn sie dort 1.200 verdienen können. Sie heiraten auch dort."
Über so böse Dinge wie Arbeitslosigkeit und Migration möchte Babka eigentlich am Liebsten gar nicht reden. Lieber über die guten alten Zeiten, wie sie auf seinen naiven Bildern in der Galerie zu sehen sind. Doch selbst dort hat sich das Thema Arbeitssuche eingeschlichen. Der Galerist bleibt vor einem großen gerahmten Bild stehen. Drei rotwangige slowakische Frauen: zwar nicht im Ausland, dafür in Belgrad auf Arbeitssuche.
"Das ist eine Mutter, die ihren Töchtern sagt: Geht, such dir einen Job."
Demnächst wird er wohl ein Bild aufhängen müssen, in dem rotwangige Slowakinnen ein Flugzeug nach Bratislava besteigen. Fünf seiner Künstlerinnen – die in seiner Galerie ausgestellt haben – sind jedenfalls schon verschwunden, ins Ausland.