Die Klugheit dieses Films liegt in seiner Kühle. In der emotionslosen Klarheit seiner Schwarz-Weiß-Bilder. Und in der Wahl eines Hauptdarstellers, der Volker Schlöndorffs erstem Spielfilm eine beunruhigende Faszination verleiht. Der erst fünfzehnjährige Mathieu Carrière spielt in "Der junge Törless" einen Internatszögling. Unverschämt gut sieht sein Filmheld in der schneidigen k.u.k.-Uniform aus. Außerdem ist er unverschämt arrogant - und gelangweilt.
"Der Stumpfsinn hier macht mich ganz krank. Von all dem, was wir den ganzen Tag in der Schule tun, was davon hat eigentlich einen Sinn? Wovon hat man etwas?"
Die Lust an der Demütigung kennt bald keine Grenzen mehr
Schlöndorffs Film, der am 20. Mai 1966 uraufgeführt wurde, hält sich im Wesentlichen an Robert Musils 1906 erschienene Romanvorlage "Die Verwirrungen des Zöglings Törless". Erzählt wird die Geschichte einer Deformation und Verrohung. Nachdem sie ihren Mitschüler Basini des Diebstahls überführt haben, beginnen drei Internatszöglinge, ihn zu erniedrigen und zu quälen. Törless wird zum passiven, quasi wissenschaftlich beobachtenden Zeugen, während seine Kameraden von sadistischen Impulsen getrieben werden.
"Ich werde ihn, nun sagen wir einmal, quälen. Du brauchst nicht gleich so zu erschrecken. Um sich über die Welt zu erheben, muss man das abtöten, was einen zum Sklaven des Lebens macht. Also Gefühle zum Beispiel."
Die Quälereien eskalieren. Der seelische Missbrauch wird zum sexuellen. Und die Lust an der Demütigung kennt bald keine Grenzen mehr.
- "Und jetzt sagst du noch: Ich bin ein Tier, ein diebisches Tier, euer diebisches Tier."
- "Ich bin ein Tier, ein diebisches Tier, euer diebisches Tier."
Der Sadismus entsteht in diesem Film aus einer inneren Leere. Und aus dem militärischen Erziehungssystem der österreichisch-ungarischen Oberschicht. In klaustrophobischen Bildern legt Schlöndorff auch die universelle Mechanik der Gewalt frei. Der Regisseur, selbst ehemaliger Internatsschüler, weiß, wovon er erzählt:
"Das ist ein Universum, was ich kannte, und wo mich schon immer fasziniert hat, wie sich in so einem Mikrokosmos einer Schulklasse Machtkämpfe abspielen. Wie es da immer irgendwelche sogenannten Rädelsführer gibt, wie es Mitläufer gibt, wie es auch Opfer gibt."
Schländorff gelingt die Quadratur des Kreises
"Der junge Törless" ist Volker Schlöndorffs erste Zusammenarbeit mit dem Komponisten Hans Werner Henze, der auch die Musik für seine Filme "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" und "Eine Liebe von Swann" komponieren wird. Mit alten Instrumenten - Drehleier, Holzflöte, Viola - erschafft Henze für Schlöndorffs Regiedebüt ein kongeniales Klangbild, in dem sich die emotionalen Verwirrungen und Verirrungen der Täter genauso spiegeln wie die Angst und Panik des Opfers.
Kaum ein anderer deutscher Regisseur beschäftigt sich so konsequent und beharrlich mit der deutschen Geschichte wie Volker Schlöndorff. In "Der junge Törless" gelingt dem erst 26-jährigen Filmemacher eine Quadratur des Kreises: Er nimmt Musils Roman als Stimmungsbild der Jahrhundertwende ernst, überführt das Geschehen mit seinen Schwarz-Weiß-Bildern in den ästhetischen Existenzialismus der Sechzigerjahre - und er erschafft das zeitlose Porträt eines jungen Mannes, der zum Mitläufer wird.
"Bis er allmählich merkt - er kann nicht mehr einschreiten, als das auswächst, denn er ist durch das reine Zuschauen zum Komplizen geworden. Und das ist natürlich ein bisschen doch so eine Parabel auf das Verhalten des deutschen Bürgertums den Nazis gegenüber."
"Ich musste einsehen, dass es so etwas gibt"
Woher nimmt ein junger Regisseur in seinem ersten Film die Kühnheit, eine Geschichte ganz ohne Identifikationsfiguren zu erzählen? Denn man weiß nicht, was man schlimmer finden soll: die Grausamkeit von Törless’ Mitschülern, die ihr Opfer schlagen, vergewaltigen, foltern und schließlich fast umbringen. Oder die unbeteiligte Kälte von Törless, der sich über seine Komplizen stellt. Als die Lehrer die Täter zur Verantwortung ziehen, reagiert er mit scharfsinnigen, aber eben auch seelenlosen Ausführungen:
"Ich musste einsehen, dass es so etwas gibt. Dass der Mensch nicht ein für alle mal geschaffen ist, gut oder böse. Sondern wir alle uns dauernd ändern. Dass wir nur aus unseren Handlungen bestehen. Wenn wir uns aber so ändern können, dass wir Folterknechte und Opfertiere werden, dann ist alles möglich."
Volker Schlöndorffs Kamera zeigt, was vermeintlich zivilisierte Menschen einander antun. Aber im Gegensatz zu seiner Hauptfigur ist dieser Film nicht unbeteiligt. Er lässt Raum für die Frage, wann der Moment zum Innehalten, Aussteigen, Aufhören wäre. Und er gibt die Frage nach der Rebellion mit jedem Bild an den Zuschauer zurück.