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Volker Wissing (FDP) zu Motorenlärm
Spaß an der Lärmbelästigung anderer Menschen beenden

Politik und Biker in Deutschland streiten derzeit über mögliche Fahrverbote gegen zu viel Motorenlärm. Lärm mache krank, sagte der Verkehrsminister von Rheinland-Pfalz Volker Wissing (FDP) im Dlf. Statt Fahrverboten wünscht er sich eine EU-einheitliche Regelung, die "Verkehrslärm auf das notwendige Maß" reduziert.

Volker Wissing im Gespräch mit Silvia Engels |
27.05.2018: Das idyllische Lautertal zwischen Münsingen und Hayingen zieht an jedem Wochenende Motorradfahrer an. Zum Leidwesen der Anwohner.
Hinweis für Motorradfahrer auf einer Landstraße in Baden-Württemberg (imago / Arnulf Hettrich)
Der Verkehr auf Deutschlands Straßen hat seit dem coronabedingten Rückgang im Frühjahr mittlerweile wieder fast seine normale Dichte erreicht. Am Wochenende wurde über mehrere Verkehrsregeln diskutiert: Zum einen über die eigentlich längst verabschiedeten Bußgeldkataloge bei zu schnellem Fahren und den besseren Schutz für Fahrradfahrer. Die stehen durch einen Formfehler wieder in Frage. Zum anderen wird über eine Bundesratsinitiative mehrerer Länder debattiert. Sie will lauten Motorradlärm unterbinden. Dagegen protestierten am Wochenende Tausende Biker.
Volker Wissing (FDP) ist Minister für Verkehr, aber auch für Wirtschaft, im Bundesland Rheinland-Pfalz, das auch unter Motorradtouristen sehr beliebt ist. Wissing sprach sich im Dlf für strenge Begrenzungen von Motorenlärm aus. Es gehe nicht darum, die Freude am Motorradfahren zu beenden. "Wir wollen, dass der Spaß an der Lärmbelästigung anderer Menschen aufhört."
Volker Wissing, Minister für Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft und Weinbau in Rheinland-Pfalz
Volker Wissing, Minister für Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft und Weinbau in Rheinland-Pfalz (imago / photothek)
Andere Regelverschärfungen sieht Wissing kritisch, nämlich im neuen Bußgeldkatalog. Dieser weise "Unwuchten" auf, sagte der FDP-Politiker. Es sei gut, dass Rasen innerorts hart bestraft werde. Im Rahmen der anstehenden juristischen Überarbeitung des Katalogs sollte man allerdings die Sanktionen für zu schnelles Fahren außerorts überdenken. Wer erstmalig außerorts auf gerader Strecke zu schnell fahre, ohne jemanden zu gefähren, solle nicht gleich mit Fahrverbot bestraft werden, findet Wissing.
Ein Motorradfahrer auf einer Honda CTX 700
Umweltverbände fordern Maßnahmen gegen Motorradlärm
Der Krach aus den Auspuffrohren von manchen aufgemotzten Motorrädern sorgt nicht bei allen für Begeisterung. Umweltverbände fordern, strikter gegen Motorradlärm vorzugehen.

Das Interview in voller Länge:
"Unnötig lauten Verkehrslärm verbieten"
Silvia Engels: Sie unterstützen diese Initiative gegen zu laute Motorräder. Wenn die Initiative durchkommt, kann es zu Verboten für laute Motorräder an Sonn- und Feiertagen kommen. Ist das Ihr Plan für Rheinland-Pfalz?
Wissing: Nein. Mir geht es nicht darum, Fahrverbote zu verhängen. Mir geht es allerdings darum, dass wir die technischen Möglichkeiten, die wir heute haben, nutzen, um Verkehrslärm durch Motorräder zu verringern und unnötig lauten Verkehrslärm zu verbieten.
Engels: Aber im Endeffekt - das gibt zumindest diese Bundesratsinitiative her, die ja noch nicht durch den Bundestag ist – würden auch Fahrverbote möglich sein. Richtig?
Wissing: Die Entschließung hat unmittelbar gar keine Wirkung. Die Bundesratsentschließung ist eine Aufforderung an die Bundesregierung, tätig zu werden, um Menschen vor Verkehrslärm zu schützen. Verkehrslärm macht krank und wir haben als Politiker die Aufgabe, Menschen davor zu schützen, krank zu werden, weil andere unnötig Lärm verursachen.
"Es gibt keine Freiheit, Menschen krank zu machen"
Engels: Umgekehrt pochen die Motorradfahrer auf Freiheit, und das schreibt sich ja die FDP normalerweise gerne auch als Grundsatz auf die Fahnen. Hier aber nicht?
Wissing: Es gibt keine Freiheit, andere Menschen krank zu machen. Freiheit bedeutet immer auch, Verantwortung zu übernehmen, und es ist verantwortungslos, wenn man sein Motorrad tuned, unnötig Lärm verursacht und dafür Gesundheitsgefahren für andere Menschen in Kauf nimmt. Eine Partei, die Freiheit und Verantwortung ernst nimmt, muss hier klar sein.
Gleichzeitig kann aber nicht das Kind mit dem Bade ausgeschüttet werden. Motorradfahren muss erlaubt sein und wer sich an die Regeln hält und nicht illegal tunt, der muss auch fahren dürfen, auch am Wochenende.
Engels: In Bereichen der Eifel oder der Mosel in Rheinland-Pfalz sind Biker ja wichtige Tagestouristen für die Gastronomie und Hotellerie. Da wird es allerdings auch manchmal ziemlich laut. Kann sich Rheinland-Pfalz leisten, sie zu vergraulen?
Wissing: Wir wollen, dass auf europäischer Ebene eine klare Regelung herbeigeführt wird, die Verkehrslärm auf das notwendige Maß reduziert. Wir hätten heute die Möglichkeit, bei neu zugelassenen Motorrädern auf maximal 80 Dezibel den zulässigen Lärm zu begrenzen. Diese Möglichkeiten, die technisch vorhanden sind, müssen genutzt werden. Es muss möglich sein, dass man Motorradfahren in Einklang bringt mit dem Gesundheitsschutz der Bevölkerung.
Ich habe als Verkehrs- und Tourismusminister in Rheinland-Pfalz ein Interesse daran, dass Biker sich bei uns wohl fühlen. Ich habe allerdings auch ein Interesse daran, dass nicht illegales Tunen, unnötiger Verkehrslärm die Menschen in meinem Bundesland krank macht.
"Spaß an der Lärmbelästigung anderer Menschen"
Engels: Sie sprechen von illegalem Tuning. Auf der anderen Seite gibt es ja auch regulär zugelassene Motorräder, die deutlich lauter sind als der übrige Straßenverkehr. Muss hier stärker gegengehalten werden? Denn man kann in der Tat Motorräder vielfach leiser machen als sie heute sind.
Wissing: Das was man machen kann, muss man machen, und darum geht es auch den Ländern. Wir wollen, dass der Spaß an der Lärmbelästigung anderer Menschen aufhört. Wir wollen nicht, dass die Freude am Motorradfahren endet. Ich finde, es muss möglich sein, und es ist auch normal, dass Motorradfahrer die Möglichkeit der Lärmreduktion nutzen und nicht, wie das Einzelne machen, die Motorräder so laut wie möglich tunen, oder auch solche Sound-Systeme haben, um den Motorlärm ihren individuellen Wünschen anzupassen, ohne dabei an die Menschen zu denken, die unter Verkehrslärm leiden, die krank werden.
Im Übrigen gibt es auch im Tourismus ein Problem. Wenn zu viel Lärm verursacht wird im Verkehrsbereich, dann fühlen sich die Touristen in den Hotels auch nicht mehr wohl. Ich kenne das Problem in Rheinland-Pfalz sehr genau vom Mittelrhein, was Schienengüterverkehr angeht.
Drei Motorradfahrer in voller Montur fahren auf einer Straße
"Ein leises Motorrad gefällt dem Fahrer nicht"
Motorradfahren hängt auch mit dem Sound zusammen – je lauter, desto besser, finden viele Fahrer. Hersteller wissen das und umgehen mit Tricks die Lärmgrenzwerte, sagte Holger Siegel (BUND) im Dlf. "Ähnlich wie beim Dieselskandal haben wir auf der Straße andere Werte als in den Zulassungspapieren."
"Ich möchte keine Fahrverbote"
Engels: Sie wollen eine europaweite Regelung, was die Begrenzung von Motorradlärm angeht. Das Bundesverkehrsministerium verweist aber genau aufs Gegenteil. Sie verweisen darauf, die Behörden hier, die Straßenverkehrsbehörden vor Ort könnten schon im Einzelfall aus Lärmschutzgründen entsprechende Verbote bis hin zu Fahrverboten anordnen. Werden Sie das in Rheinland-Pfalz nun machen?
Wissing: Nein, ich möchte keine Fahrverbote, um das klar zu sagen. Aber mir geht es darum, wenn wir technische Möglichkeiten haben, maximal 80 Dezibel an Geräuschemissionen bei Motorrädern zu haben, dann sollten wir diese technischen Möglichkeiten auch nutzen, und wir sollten das nicht den Herstellern überlassen, ob sie das wollen oder nicht, sondern wir sollten das gesetzlich vorschreiben. Denn Motorräder sollten so leise wie technisch möglich sein und nicht so laut, wie es dem Fahrer Spaß macht, auf Kosten anderer Menschen, die dabei krank werden. Das ist eine Logik, die jeder verstehen kann.
Ich habe viel Verständnis für die Motorradfahrer, die auch auf mich zukommen, die Biker, die sagen, wir wollen nicht, dass die Anständigen, die Redlichen zu Opfern gemacht werden mit Fahrverboten, weil Einzelne unverantwortlich sich verhalten, tunen, illegal tunen und darauf achten, dass ihr Motorrad möglichst laut ist. Das muss nicht sein und deswegen ist es immer eine Aufgabe der Politik, dafür zu sorgen, dass Menschen, die die Freiheit nutzen, auf unseren Straßen zu fahren, auch Verantwortung übernehmen.
Gegenwind vom Bundesverkehrsminister
Engels: Politik ist ein gutes Stichwort. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer von der CSU hat gegenüber der dpa erklärt, er lehne Verbote für Motorradfahrer ab. Soweit sind Sie zusammen. Aber er lehnt auch Verschärfungen ab. Er werde diese Bundesratsinitiative nicht umsetzen. Ist damit Ihr Vorhaben gescheitert?
Wissing: Wir werden natürlich politisch weiter dafür kämpfen, dass Verkehrslärm reduziert wird. Wenn der Bundesverkehrsminister der Meinung ist, sich nicht um die Reduktion von Verkehrslärm kümmern zu müssen, dann müssen die Bürgerinnen und Bürger entscheiden, ob sie das so akzeptieren wollen. Wir Länder sind der Meinung, dass wir hier handeln müssen.
Noch mal: Die Grünen wollen Fahrverbote. Mir geht es nicht um Fahrverbote für Motorradfahrer. Mir geht es darum, dass wir die technischen Möglichkeiten nutzen, um Motorradfahren soweit es geht in Einklang zu bringen mit den Interessen der Bevölkerung, gesund zu bleiben.
"Unwuchten" bei neuen Bußgeldern
Engels: Ist angekommen! – Lassen Sie uns noch zu einem anderen Punkt kommen, Herr Wissing. Für Unklarheit bei vielen Bürgern sorgt nämlich auch gerade ein Strauß der Änderungen bei der Straßenverkehrsordnung. Eigentlich sind die ja schon im Frühjahr vom Bundesrat verabschiedet worden. Danach sollten zum Beispiel Autofahrer bei überhöhter Geschwindigkeit schneller als bisher ihren Führerschein zeitweise abgeben. Nun gab es offenbar einen Formfehler im Bundesverkehrsministerium. Das scheint, nicht gültig zu sein. Wie groß ist Ihr Ärger über Bundesverkehrsminister Scheuer, der ja nun gerade diesen Bußgeldkatalog am liebsten ganz abräumen will?
Wissing: Es ist natürlich kein Ruhmesblatt, wenn solche Fehler passieren bei einer Verordnung. Jetzt besteht ganz klar Handlungsbedarf, denn dieser Zitierfehler, der zur Nichtigkeit führt, das kann ja so nicht bleiben. Insofern brauchen wir eine Überarbeitung mindestens in rechtstechnischer Hinsicht. Ich habe aber auch ein gewisses Verständnis dafür, dass man die Unwuchten, die in dem Katalog drin sind, auch noch mal überdenkt, wobei ich eines klarstellen möchte: Für mich kommt eine Reduktion der Sanktionen bei Raserei innerorts nicht in Betracht.
"Innerorts finde ich den Bußgeldkatalog angemessen"
Engels: Das heißt, Sie möchten schon, dass der Führerschein schneller abgegeben wird, wenn die Geschwindigkeit innerorts deutlich überschritten wird?
Wissing: Innerorts finde ich den Bußgeldkatalog angemessen. Allerdings sehe ich auch Unwuchten, was die Sanktionen bei Geschwindigkeitsüberschreitungen außerorts angeht. Wenn dort keine Gefährdung vorhanden ist, wenn das kein Vorsatz ist, wenn das ein erstmaliger Verstoß ist, muss man nicht sofort mit dem Führerscheinentzug reagieren. Mobilität ist für Menschen auch wichtig und wenn wie gesagt außerorts die Gefährdungssituation ganz anders sich darstellt als innerorts, sind die Sanktionen, die jetzt vorgesehen sind, zum Teil überzogen.
Engels: Aber wie glaubwürdig ist es für staatliche Akteure, wenn sie erst Bußgeldregelungen in großer Runde treffen, die dann bei erster Gelegenheit aufgrund von Formfehlern nichts mehr wert sind?
Wissing: Zunächst einmal: Wenn Fehler gemacht werden, so wie es jetzt hier der Fall ist, dann habe ich Verständnis dafür, dass der Bundesverkehrsminister sagt, mir ist ein Fehler passiert, ich muss den Fehler korrigieren. Auch das ist menschlich und gehört dazu. Wichtig ist, es ist ja auch manchmal ein Zeichen von Größe, dass man sagt, ich habe hier einen Fehler gemacht und wir müssen das noch mal überarbeiten. Es wäre schlecht, wenn man das Gefühl hätte, der Katalog ist fehlerhaft und man lässt ihn so, nur damit keine Vorwürfe an die Politik erhoben werden. Insofern: Ich bin offen, darüber zu reden, wie man ihn besser austariert und verhältnismäßiger gestaltet.
"Rasen innerorts hart sanktionieren"
Engels: Noch eine ganz praktische Frage. Kriegen denn bei Ihnen in Rheinland-Pfalz die Bürger das Geld zurück, die nach den neuen Regeln Bußgelder schon gezahlt haben?
Wissing: Das muss man sich rechtlich genau anschauen. Wenn die Bescheide bestandskräftig sind, muss man sich die Situation genau anschauen. Bei nichtigen Regelungen kann sich das noch mal etwas anders darstellen als bei rechtswidrigen oder unverhältnismäßigen. Das müssen die Bußgeldbehörden im Einzelfall prüfen.
Engels: In diesem ganzen Katalog, der jetzt mit Formfehlern behaftet ist, war ja auch ein besserer Schutz von Fahrradfahrern vorgesehen. Das soll aber alles wieder in Kraft gesetzt werden?
Wissing: Ich halte den Schutz von Fahrradfahrern für sehr wichtig. Ich halte es auch für wichtig, dass wir das Rasen innerorts hart sanktionieren. Da geht es um die Gefährdung von Gesundheit, von Leib und Leben von Menschen. Aber ich halte es auch für angemessen, dass man sich noch mal anschaut, ist das nicht überzogen, wenn außerorts auf einer geraden Strecke die Geschwindigkeit überschritten wird, dass man gleich beim ersten Mal zu Fahrverboten greift. Das, denke ich, sollte man noch mal überdenken. Das kann man ganz unaufgeregt auch machen, zumal die Verordnung ja aus rechtstechnischen Gründen ohnehin überarbeitet werden muss.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.