Archiv

Volksabstimmung vor 100 Jahren
Eine neue deutsch-dänische Grenze

"Auf ewig ungeteilt" versprach der Dänenkönig 1460 dem Herzogtum Schleswig-Holstein, doch durch zwei Volksabstimmungen erhielt Dänemark vor 100 Jahren den nördlichen Teil Schleswigs, der südliche Teil ging an Deutschland. Heute gilt die Grenzregion als europäisches Vorbild.

Von Regina Kusch |
    Ist Schleswig dänisch? Schleswig ist deutsch! Entwurf eines Pro-Deutschen Plakats von C. Kreutzfeld aus dem Jahre 1919 über die Volksabstimmung der territorialen Zugehörigkeit Nordschleswigs.
    1920 entschieden Volksabstimmungen darüber, ob das Herzogtum Schleswig zu Dänemark oder zu Deutschland gehören solle (picture-alliance / akg-images)
    "Schleswig-Holstein, meerumschlungen, deutscher Sitte hohe Wacht!"
    Die Hymne Schleswig-Holsteins erklang erstmals 1844 auf dem Schleswiger Sängerfest. Dass diese beiden Regionen auf ewig ungeteilt zusammenbleiben, hatte schon 1460 der dänische König Christian I., der dort als Landesherr regierte, versprochen. Doch seit Mitte des 19. Jahrhunderts stritten sich Deutsche und Dänen um die Herrschaft im Herzogtum Schleswig. Oliver Auge, Professor für schleswig-holsteinische Regionalgeschichte an der Universität Kiel:
    "Es ist das Gebiet zwischen der Eider, also nördlich von Kiel bis nach Hadersleben hinauf, Appenrade und in der Mitte ungefähr Flensburg. In diesem Gebiet gab es eine Mischbevölkerung. Je nördlicher, desto stärker wurde der dänischsprachige Anteil, und nach Süden hin ein deutschsprachiger Anteil. Und nun war die Frage: Soll dieses Gebiet bei Dänemark sein oder bei Deutschland?"
    Erste Volksabstimmung am 10. Februar 1920
    Die Antwort sollte gemäß dem Versailler Vertrag die Bevölkerung Schleswigs in einem Referendum selbst geben und die deutsch-dänische Grenze danach endgültig festgelegt werden. Zwei Wahlzonen wurden eingerichtet. Die Erste erstreckte sich südlich der dänischen Kleinstadt Tondern bis an den nördlichen Rand Flensburgs. Dort fand am 10. Februar 1920 die erste Volksabstimmung statt, bei der sich Dreiviertel der Bevölkerung für Dänemark entschied. Im Vorfeld hatten von beiden Seiten große Propagandakampagnen stattgefunden. Umso enttäuschter waren viele Deutsche vom Abstimmungsergebnis. Einen Tag später polemisierte die "Kieler Zeitung":
    "‚Wir wollen heim, heim nach Dänemark‘ – so scholl es uns in den letzten Tagen vor der Abstimmung in immer härterer Wucht aus der dänischen Agitation und der dänischen Presse … entgegen. … mehr als ein Drittel der Stimmberechtigten der ersten Zone trugen und tragen kein Verlangen danach, ‚heim" zu kommen in das Haus des dänischen Nachbarn. Sie wissen, dass die Heimat ihrer Seele und ihres Gewissens im Süden liegt, dass sie Schleswig-Holsteiner sind seit den Tagen der Väter."
    Einen guten Monat später wurde unter internationaler Aufsicht in Südschleswig, also Flensburg, Niebüll und auf den Nordfriesischen Inseln Föhr, Amrum und Sylt die zweite Abstimmung durchgeführt. Dort gab es ein mehrheitliches Votum für den Verbleib bei Deutschland. Nordschleswig, das heutige Süderjütland, wurde – trotz anhaltender deutscher Proteste – im Juni 1920 wieder dem dänischen Königreich zugeschlagen.
    "Durch diese Abstimmung gab es nun zwei Minderheiten: also weiterhin eine zahlenmäßig nicht allzu umfängliche dänische Minderheit im Deutschen Reich, also dann der Weimarer Republik, und eine zahlenmäßig weitaus größere deutsche Volksgruppe in Dänemark. Und diese Volksgruppe ist größtenteils dann in Dänemark geblieben."
    Nationalsozialisten tasteten Grenze nicht an
    Viele Deutsche hofften auf eine Wiedervereinigung unter Hitler, doch die Nationalsozialisten tasteten die Grenze nicht an. Nach dem Zweiten Weltkrieg erklärte die dänische Regierung, sie wolle ihre Grenzansprüche nicht erneuern, die Staatsgrenze von 1920 stehe fest. Als Deutschland 1955 der NATO beitreten wollte, brauchte es dafür die Zustimmung Dänemarks, einem Gründungsmitglied des Verteidigungsbündnisses. Konrad Adenauer und sein dänischer Amtskollege Hans Christian Hansen unterzeichneten die Bonn-Kopenhagener Erklärungen. Die garantierten die Rechte beider Minderheiten und sicherten die Finanzierung eines kulturellen Miteinanders.
    "Dieser Kulturaustausch bezog sich ganz stark auf das Schul- und das Bildungswesen, das Büchereiwesen. Heute noch spielt die Zentralbibliothek der dänischen Minderheit in Flensburg eine ganz wichtige Rolle. Das ist längst nicht nur eine Bibliothek, in der man sämtliche dänische Titel ausleihen kann. Das ist weit mehr, nämlich ein Kulturzentrum. Und auf der politischen Ebene ist es natürlich der Südschleswigsche Wählerverband, der die dänischen Interessen in Schleswig-Holstein vertritt."
    Etwa 50.000 Dänen leben heute in Schleswig-Holstein, 15.000 Deutsche zählen zur deutschen Minderheit nördlich der Grenze. "Der Südschleswigsche Verein" in Deutschland und "Der Bund Deutscher Nordschleswiger" in Dänemark arbeiten eng zusammen. Königin Margrethe II. lobte in ihrer Neujahrsansprache die Region als weltweites Vorbild. Das hundertjährige Bestehen der deutsch-dänischen Grenze, deren Gültigkeit niemand mehr ernsthaft in Frage stellt, wird in diesem Jahr mit zahlreichen Kulturveranstaltungen gefeiert.