Haben das die Schriftsteller und Künstler vielleicht geahnt? In ihrer Mehrheit sicher nicht. Wer der Gleichsetzung von Mob und Faschismus misstraute, wählte eine Position zwischen Schläue und Opportunismus, deren trennende Grenze von heute aus kaum zu erkennen ist. Meisterdialektiker Bert Brecht machte den berühmte lyrischen Vorschlag von der Auflösung des Volkes durch die Regierung (erst Jahre später im Westen veröffentlicht), während im "Neuen Deutschland" eine – freilich entstellend gekürzte – Ergebenheitsadresse an Ulbricht erschien. An anderer Stelle notierte er ebenso hellsichtig wie zynisch die Verszeilen: "Versprochen worden sind Äpfel / ausgeblieben ist Brot." Zynismus bleibt der einzige gemeinsame Nenner der Intellektuellenzeugnisse rund um den 17. Juni. Man wusste mehr, als man sagen durfte, und das befördert keine aufrechte Haltung. Aus den Dokumenten der Ausstellung lässt sich das ungeübten Auges freilich schwer herauslesen. Man benötigt die Assistenz hilfreicher Interpreten wie Rolf Schneider oder Erich Loest, auch wenn der mit seinem Vorschlag, den 17. Juni zum "Tag des kecken Bürgers" zu ernennen, gleichermaßen ins Schwarze wie doch empfindlich daneben trifft. Ihre Keckheit bezahlten die Aufständischen in nicht geringer Zahl mit dem Leben, und das für kaum mehr als einen symbolischer Hoffnungsschimmer. Im Stich gelassen wurden sie nicht zuletzt von jenen, die sonst immer zu Mut vor Fürstenthronen aufrufen. "Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren", schrieb der amerikanische Sozialphilosoph Eric Hoffer im Hinblick auf Revolutionen, "der Intellektuelle sei am allerwenigsten dazu geeignet, mit den Massen umzugehen." Denn Bildung, konstatierte er, "erweckt in uns nicht unbedingt das Verlangen, uns um die Ungebildeten zu kümmern." Schon gar nicht wenn sie gerade den Kopf für uns hinhalten.
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