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Volksbegehren gegen Pflegenotstand
"Ohne uns funktioniert kein Krankenhaus!"

Die Bayern machen mobil: Nach der Initiative "Rettet die Bienen" sorgt nun ein Volksbegehren mit dem Titel "Stoppt den Pflegenotstand" für Aufmerksamkeit. Mehr als 100.000 Unterschriften sind bereits gesammelt, die Forderung: mehr Geld und bessere Arbeitsbedingungen für Pflegekräfte in Krankenhäusern.

Von Michael Watzke |
Eine Ärztin kommt aus einem Stationszimmer im Krankenhaus.
Um die Situation in deutschen Krankenhäusern ist es aufgrund des Personalmangels oft nicht gut bestellt. In Bayern sorgt nun eine Krankenschwester mit einem Volksbegehren für Aufmerksamkeit. (dpa / Wolfram Kastl)
Sie hat gerade eine Acht-Stunden-Frühschicht im Krankenhaus hinter sich - und nun geht ihr Arbeitstag erst richtig los:
"Mein Name ist Ica Fritz, ich komme aus Augsburg, arbeite im Klinikum Vincentinum - und bin stinknormale Krankenschwester."
Stinknormal? Nicht ganz: Ica Fritz ist die einzige Krankenschwester in Bayern, die ein Volksbegehren initiiert hat. Gegen den Pflegenotstand im Freistaat.
"Ich habe wirklich seit Mai letztes Jahr bis heute jede freie Minute, die ich hatte, für dieses Volksbegehren investiert."
Mehr als 100.000 Unterschriften gesammelt
Morgen übergibt die 58 Jahre alte Volldampf-Krankenschwester 102.000 Unterschriften an den bayerischen Innenminister. Gebraucht hätte die gebürtige Rumänin nur ein Viertel davon - und selbst das trauten ihr die wenigsten zu.
"Ein Kollege hat mich gefragt: Ica, wie stellst Du Dir das vor, 25.000 Unterschriften zu sammeln? Hab' ich gesagt: es gibt 50.000 Krankenschwestern in Bayern. Wenn jede unterschreibt, dann habe ich schon die Unterschriften beisammen."
Wochenlang stand Ica Fritz mit einer Kollegin nach der Arbeit in bayerischen Fußgängerzonen. Sprach Passanten an und warb für ihr Anliegen: mehr Geld und bessere Arbeitsbedingungen für Krankenschwestern und Krankenpfleger.
"Ohne uns funktioniert eben kein Krankenhaus. Man kann kein Krankenhaus ohne Krankenschwestern betreiben. Und ich hab' festgestellt: Wir versorgen von allen westeuropäischen Ländern die meisten Patienten. Nur in Ungarn - von der ganzen EU - versorgt eine Schwester noch mehr Patienten als in Deutschland. Und das kann nicht sein."
Letzte Konsequenz: Station schließen
Ica Fritz will mit ihrem Volksbegehren "Stoppt den Pflegenotstand" einen festen Personal-Patienten-Schlüssel für Bayerns Krankenhäuser gesetzlich festlegen. Der Münchner Klinikarzt Dr. Peter Hoffmann, Mitgründer der Initiative, beschreibt das so:
"Wenn der Pflegebedarf der Patienten auf der einzelnen Station so und so groß ist, dann ist es ein Rechen-Exempel, wie viele Pflegekräfte dafür zur Verfügung stehen müssen. Wenn ein Krankenhaus das nicht kann, muss es sich was einfallen lassen. Wenn es ihm nicht gelingt, muss es sich mit der Behörde auseinandersetzen. Wenn es weiter nicht gelingt, muss die Behörde eingreifen. Bis an den Punkt, an dem die Behörde Stationen schließen muss."
Das Problem: Derzeit finden Krankenhäuser gar nicht genug Pflegepersonal auf dem Markt, selbst wenn sie wollten. Ica Fritz hat neulich eine Kollegin gefragt, warum die ihren Job an den Nagel hängt.
"Da sagt sie: 'Ich bin doch nicht doof! Ich arbeite doch nicht im Krankenhaus für 13 Euro die Stunde, wenn ich am Flughafen 20 Euro pro Stunde kriege.' Aber wenn die Arbeitsbedingungen sich verbessern und wir eine anständige Bezahlung bekommen, dann werden viele zurückkehren."
CSU lehnt Volksbegehren gegen Pflegenotstand ab
Dass sich die Chancen und Bedingungen für Pflegeberufe verbessern müssen, findet auch Melanie Huml von der CSU, die bayerische Gesundheitsministerin.
"Ich höre von ganz vielen Pflegekräften, dass es für sie sehr belastend ist, wenn sie häufig aus ihrer Freizeit heraus in die Klinik zurückgerufen werden. Man will die Kollegen nicht hängen lassen und kommt dann. Aber dann kommt's häufig zur Spirale: Weil man sich selbst nicht gut erholen kann, wird man selbst krank. Und fällt dann wiederum aus. Deshalb sind gute Arbeitsbedingungen unwahrscheinlich wichtig."
Doch das geplante Volksbegehren "Stoppt den Pflegenotstand" lehnt Huml ab. Schließlich habe die Große Koalition gerade erst das sogenannte "Pflegepersonal-Stärkungsgesetz" verabschiedet - auf Bundesebene.
"Ob jetzt aber ein fester Personal-Patientenschlüssel allein die richtige Lösung ist, da habe ich meine Zweifel. Denn man muss ja erstmal das geplante Personal bekommen. Und ich stelle es mir auch sehr bürokratisch vor, wenn ich immer nachweisen muss: Wie viele Patienten waren auf Station, wann ist wer entlassen worden, welches Personal war da? Das scheint mir sehr bürokratisch."
Initiatoren hoffen auf Gesetzeslücke
Ob es in Bayern tatsächlich zu einem Volksbegehren gegen den Pflegenotstand kommt, hängt auch von Juristen und der Politik ab: Das bayerische Innenministerium muss die Zulassung prüfen. Gut möglich, dass die Prüfer befinden, das im Volksbegehren geforderte Gesetz könne nicht auf Landesebene behandelt werden, weil es Bundesrecht betrifft. Aber Peter Hoffmann, der Mit-Initiator, glaubt eine Gesetzeslücke gefunden zu haben.
"Im Krankenhaus-Strukturgesetz von 2014 wurde eine Möglichkeit eingeführt, dass die Bundesländer eigene qualitätssteigernde oder -sichernde Elemente festlegen dürfen. Das ist genau, was wir tun: Wir benutzen diesen Paragrafen, um mit einem Volksbegehren eine bessere Pflege herbeizuführen. Das Ziel des Volksbegehrens ist ja, dass ein Gesetz erlassen wird."
Nach den Bienen die Pflegekräfte
Möglicherweise muss das bayerische Verfassungsgericht darüber entscheiden. Und wenn dessen Richter Ica Fritz und Peter Hoffmann Recht geben - dann dürfen alle bayerischen Wahlberechtigten abstimmen. Wie beim erfolgreichen Volksbegehren "Rettet die Bienen". Das hat die Augsburger Krankenschwester Fritz neulich unterschrieben.
"Und ich denke mal: Wenn wir die Bienen gerettet haben, dann können wir die Krankenschwestern auch retten. Der letzte Zug ist noch nicht abgefahren."
Allerdings waren die bayerischen Umweltschützer beim Bienen-Volksbegehren bestens organisiert. Sie hatten genug Geld, einen griffigen Slogan, eine kluge Marketing-Strategie und eine klare Botschaft. Die Initiatoren des Krankenpflege-Volksbegehrens wollen daraus lernen. Deshalb konzentrieren sie ihre Öffentlichkeits-Arbeit auf diejenigen, die von einer besseren Pflege profitieren sollen: die Patienten.
"Wir wollen ein Gesetz, in dem den Patientinnen und Patienten der Zukunft garantiert ist, dass sie eine qualitativ gute Pflege erwarten können, wenn sie ins Krankenhaus müssen. Bisher ist das nicht der Fall."
Diese Botschaft greift vor allem in großen Städten mit überfüllten Krankenhäusern. Kein Wunder, dass es in Hamburg, Berlin und Bremen bereits Versuche gab und gibt, Pflege-Volksbegehren abzuhalten. Bayern wäre das erste Flächenland - und es wird nicht einfach, Bürger in Oberfranken oder im Allgäu von einem Pflegenotstand zu überzeugen. Denn viele Menschen auf dem Land sind froh, dass es überhaupt noch ein Krankenhaus in der Nähe gibt. Die Aussicht, dieses Krankenhaus müsste wegen zu wenig Pflegepersonal schließen, macht ihnen möglicherweise Angst.