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Volksbühne-Intendanz
"Dercon ist der beeindruckendste Kommunikations-Verweigerer"

Die Kritiken zu den Inszenierungen an der Volksbühne in Berlin sind zum großen Teil negativ. Das künstlerische Konzept Chris Dercons scheint nicht aufzugehen. Christophe Knoch, Sprecher der Koalition der Freien Szene wirft dem Intendanten im Dlf mangelnde Kommunikation vor: "Er spricht nicht mit der Stadt."

Christophe Knoch im Gespräch mit Karin Fischer |
    Das Gebäude der "Volksbühne" in Berlin
    Die "Volksbühne" in Berlin (picture alliance / Paul Zinken/dpa)
    Karin Fischer: Die Kritiken über die Volksbühne sind größtenteils verheerend, nach der Premiere ist ein deutlicher Zuschauerrückgang zu vermelden und Berlin scheint, glaubt man den Aussagen von Theater-Afficinados, sich in der Volksbühnen-Verweigerung zu üben. Die Frustration sitzt tief, ist maßgeblich aber künstlerisch begründet. Vor der Sendung habe ich mit Christophe Knoch gesprochen, Sprecher der "Koalition der Freien Szene aller Künste" in Berlin und ihn gefragt, was Chris Dercon seiner Ansicht nach falsch macht?
    Christophe Knoch: Ich habe den Eindruck, er hat einfach nicht verstanden, in welcher Stadt er arbeitet. Und er hat auch den Kontakt nicht zu der Stadt gesucht. Es bringt nicht besonders viel, wenn man sich von weltbekannten Künstlern attestieren lässt wie von einem Kohlhaas, dass man toll ist. Das hat eigentlich genau das Gegenteil bewirkt: Es gab keinen Kontakt zur Stadt.
    Fischer: Sie sind ja nun kein ganz neutraler Beobachter, sondern auch ein Fan der alten Castorf-Volksbühne. Sie haben bei der Besetzung des Hauses im Herbst vergangenen Jahres gesprochen. Sie haben häufig und intensiv mit Christoph Schlingensief zusammengearbeitet. Warum funktioniert Ihrer Ansicht nach an der Volksbühne künstlerisch nicht, was zum Beispiel am HAU in früheren Jahren gut funktioniert hat?
    "Eine Misskommunikation auf politischer Seite "
    Knoch: Na ja, das sind ja ganz unterschiedliche Häuser. Ich glaube, man muss das Ganze ein Stück tiefer sehen. Die Frage ist nicht, ob eine Inszenierung funktioniert oder nicht funktioniert. Das kann überall mal passieren. Aber die Frage ist, dass kommuniziert wird, was man mit so einem Haus will, und als Nele Hertling das HAU verändert hat in das, was es jetzt ist, nachdem Matthias Lilienthal das übernommen hat und jetzt Annemie Vanackere, das ist ein tiefer Kommunikationsprozess gewesen. Das ist in der Stadt besprochen worden, das ist in der Kunst besprochen worden. Da hat man das Haus als Ort des Diskurses genutzt, auch um seine Veränderung zu besprechen. Und hier ist es jetzt nicht nur so, dass eine Misskommunikation auf politischer Seite ist - es ist natürlich die Aufgabe der Politik zu entscheiden, wer jetzt Intendant wird -, aber dass man die Veränderungen, die man dort vorhat, in den politischen und in den künstlerischen Raum reinbespricht. All das hat nicht stattgefunden und Chris Dercon ist der beeindruckendste und konsequenteste Kommunikationsverweigerer. Er spricht nicht mit der Stadt. Bei der Besetzung zum Beispiel ist er wie ein Geschenk gewesen. Die Stadt kommt zu ihm und sagt, hier geht es um tiefere stadtpolitische Sachen: Wir kommen zu Dir, wir gehen in Dein Haus. Klar lehnen wir Dich auch ab, aber wir kommen zu Dir, und wir haben eigentlich danach geschrien, das mit Dir zu besprechen. Was tut er? – Nichts! Das ist wie ein Geschenk gewesen und das ist, glaube ich, das, wo es hauptsächlich schiefläuft.
    Fischer: Wie würden Sie die Stimmung im Kiez in Bezug auf die Volksbühne heute denn beschreiben?
    Knoch: Das ist ein bisschen jetzt eine komplizierte Frage. Ich habe gerade jetzt zur Berlinale ein Projekt abgeschlossen, das hieß "Filmwanderung", und bin noch ganz im Rausch davon, weil im "Tagesspiegel" so eine tolle Kritik dazu gewesen ist, wo dann drinstand, "das Beste kommt zum Schluss: Die Filmwanderung." Die Bürger dort haben das sehr stark mitbekommen, was da passiert. Die haben die Veränderung sehr stark mitbekommen und die sind sehr offen und sehr neugierig gewesen. Da ist, glaube ich, durchaus eine Offenheit da und da ist halt die Frage, wie das dann weiter getragen wird. Aber auch die sehen natürlich, dass das jetzt tot ist, was dort passiert. Das ist leer, das Haus ist leer, da kommt niemand hin, da passiert nichts. Es sind ja sonst, nicht nur im Sommer, im Winter vor den Vorstellungen, vor den vielen Vorstellungen, die mehrfach die Woche stattgefunden haben, und jetzt gibt es vielleicht einige, die im Monat stattfinden, es sind abends Tausende von Leuten gewesen, die da ein- und ausgegangen sind. Es hat gelebt! Das ist jetzt weg und das ist sehr traurig.
    Fischer: Was muss jetzt passieren, Herr Knoch?
    Knoch: Ich weiß jetzt nicht, was konkret passieren muss. Ich würde sagen, das was jetzt offensichtlich am Implodieren ist und nicht funktioniert, wird sich irgendwie beenden. Das weiß ich nicht, wie das funktioniert, ist auch nicht meine Aufgabe. Aber ich glaube, was wir tun müssen hier in der Stadt, was wir tun müssen, denen das am Herzen liegt, ist, dass wir darüber sprechen müssen: Wie wollen wir, wie wollen wir als Stadtgesellschaft mit solchen Orten umgehen. Natürlich kann ein Intendant nicht in einer demokratischen Abstimmung getroffen werden. Das ist in Ordnung, wenn es da einen Expertenrat gibt, wenn es da eine Expertise gibt, wenn es eine Gruppe gibt, wenn es irgendeine Form von Prozess gibt, der dem Ganzen eine Legitimation gibt. Und auch die Politik muss dann schlussendlich die Entscheidung treffen. Irgendjemand muss den Vertrag ja unterschreiben. Aber ich glaube, wir sollten uns in der Stadt alle mehr darüber besprechen, was wir da wollen, was wir suchen, wie wir uns das vorstellen und wie wir bei dem Ganzen auch nicht aus den Augen verlieren, dass da natürlich eine fantastische technische Crew da ist, die vor die Hunde geht, die nicht ausgelastet ist, dass da ein Haus leer steht und unglaublich viel Geld auch verbraten wird, weil einfach nichts passiert, weil jemand ein Instrument in der Hand hat, das er offensichtlich nicht nutzen kann.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.