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Volksentscheid
Berlin stimmt für Enteignung großer Wohnungskonzerne

Hohe Mieten, knapper Wohnraum: Die Mehrheit der Berlinerinnen und Berliner hat sich dafür ausgesprochen, große Immobilienkonzerne wie Deutsche Wohnen und Vonovia zu vergesellschaften. Obwohl das Votum rechtlich nicht bindend ist, steigt damit der Druck auf die Politik.

Unterstützer der Initiative „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ sammeln sich vor Beginn der Wahlparty der Initiative vor den Union-Filmstudios.
Eine klare Mehrheit von weit über 50 Prozent sprach sich für die Vergesellschaftung großer Immobilienkonzerne aus (picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Monika Skolimowska)
In Berlin haben sich mehr als 200 Mieterinnen- und Mieter-Initiativen zusammengeschlossen und mit etwa 350.000 Unterschriften einen Volksentscheid erzwungen: Alle Unternehmen, die mehr als 3.000 Wohnungen in Berlin besitzen, sollen gegen Entschädigung enteignet werden. Am 26. September wurde in Berlin parallel zur Bundestagswahl daher auch über den Volksentscheid "Deutsche Wohnen und Co. enteignen" abgestimmt.

Wie ist der Berliner Volksentscheid ausgegangen?

Die Mehrheit der Berlinerinnen und Berliner unterstützt die Forderungen der Enteignungsinitiative: 56,4 Prozent sprachen sich für die Vergesellschaftung großer Immobilienkonzerne wie Deutsche Wohnen, Vonovia, Akelius und anderen aus, 39 Prozent dagegen. In den früheren Ufa-Studios in Berlin-Tempelhof feierten etwa 200 Aktivistinnen und Aktivisten der Initiative "Deutsche Wohnen und Co. enteignen" anschließend das Votum der Berliner.
Verschiedene Wohnhäuser stehen nahe dem Alexanderplatz in Berlin. 
Pro und Contra - Sollte man "Deutsche Wohnen und Co." enteignen?
In Berlin wurde am 26. September über den Volksentscheid "Deutsche Wohnen & Co. enteignen" abgestimmt. Die Initiative dahinter will Unternehmen, denen mehr als 3000 Wohnungen gehören, nach Artikel 15 Grundgesetz vergesellschaften.
Rouzbeh Taheri, Sprecher der Initiative, sagte: "Da können wir sagen, dass die Berlinerinnen und Berliner heute Geschichte geschrieben haben. Zum ersten Mal in Deutschland haben sie für die Vergesellschaftung große rImmobilienkonzerne gestritten."

Welche Konsequenzen ergeben sich aus dem Volksentscheid?

Dass der Volksentscheid eins zu eins vom neuen Berliner Senat umgesetzt wird, ist eher unwahrscheinlich, denn er ist rechtlich nicht bindend. Er fordert aber den Senat auf, alle Maßnahmen einzuleiten, um Immobilienunternehmen mit mehr als 3.000 Wohnungen gegen Entschädigung zu vergesellschaften. Es geht um etwa 240.000 Immobilien. Der Senat soll nun, so der Wille der Berliner, ein entsprechendes Gesetz erarbeiten.
Blick auf zahlreiche Hochhäuser in Berlin.
Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus - Es geht um Wohnungsknappheit und bezahlbare Mieten
Bezahlbares Wohnen war ein großes Thema im Berliner Wahlkampf. Am 26.9. wurde dort nicht nur ein neuer Senat gewählt, sondern auch über den Volksentscheid "Deutsche Wohnen und Co. enteignen" abgestimmt.
Taheri, der Sprecher der Enteignungs-Initiative, sieht im Ergebnis des Volksentscheids daher einen klaren Auftrag: "Ich glaube, der Druck dieses Votums wird so groß sein, dass die Politik nicht drum umkommt, das umzusetzen. Und wenn sie es trotzdem versuchen, werden Sie es mit unserer Berliner Bevölkerung zu tun bekommen."

Wie stehen die Berliner Parteien zu dem Thema?

Von allen Parteien, die im neuen Abgeordnetenhaus vertreten sein werden, hat sich allein die Linke klar für Enteignungen ausgesprochen. Für die Grünen sind sie nur die letzte Lösung. Sie wollen einen Kompromiss und gemeinsam mit den Konzernen dafür sorgen, dass mehr bezahlbarer Wohnraum entsteht. Klar gegen die Enteignung haben sich CDU und FDP positioniert - ebenso die SPD, die mit Franziska Giffey wohl die neue Regierende Bürgermeisterin stellen dürfte.
Giffey sagte, man müsse den Willen der Wähler respektieren. "Fakt ist, wir müssen mit diesem Volksentscheid verantwortungsvoll und respektvoll umgehen. Wir müssen aber auch die rechtlichen Rahmenbedingungen prüfen, die Verfassungsgemäßheit prüfen, die Finanzierbarkeit, die Folgenabschätzung für das Land Berlin - und dann verantwortlich handeln."
Eine Aktivistin des Volksbegehrens "Deutsche Wohnen & Co. enteignen" sammelt Unterschriften. Er hält einem Unterschreibenden ein Klemmbrett hin. 
Vonovia und Deutsche Wohnen - Milliardendeal auf Kosten der Mieter
Der Immobilienkonzern Vonovia will den Konkurrenten Deutsche Wohnen schlucken. Für die Mieter wird dies wohl nichts Gutes heißen. Beide Unternehmen stehen für steigende Mieten und schlechten Service, so der Sozialforscher Matthias Bernt.
Das sei ein guter Beginn, sagt Sprecher Taheri. Er habe auch keine Zweifel daran, dass das Vorhaben verfassungskonform umgesetzt werden kann: "Wir haben schon einen Gesetzesvorschlag erarbeitet. Frau Giffey kann sich gerne mit uns in Verbindung setzen. Dann setzen wir uns zusammen, gehen das durch und gucken, wo es Probleme geben könnte."
Sprecherin Jenny Stupka kündigte an, die Aktivistinnen und Aktivisten würden sich nicht mit Kompromissvorschlägen der Grünen begnügen. Nach dem Volksentscheid stehe nun dies bevor: "Überführungen Gemeineigentums, das heißt niedrigere Mieten und Mitbestimmung von uns allen über unsere eigenen Häuser. Das heißt, es geht uns um die Umsetzung dieser Vergesellschaftung und nicht um ein Hinhalten und auch nicht um irgendwelche Abfangangebote, wie sie von den Grünen schon zu hören waren."

Wie reagiert die Berliner Immobilienwirtschaft?

Die ist klar gegen die Vergesellschaftung. Kai Warnecke, Präsident des Eigentümerverbandes Haus und Grund, sagte, man werde durch die Entscheidung nicht mehr Wohnraum bekommen: "Es wird nicht altersgerechteren Wohnraum geben, auch keinen günstigeren Wohnraum."
28.04.2019, Berlin: Ein riesiges Transparent mit der Aufschrift "Deutsche Wohnen & Co. enteignen" hängt in Kreuzberg an einem Haus. Foto: Wolfram Steinberg/dpa
Enteignung als Ausweg aus der Wohnungskrise?
Berlin steckt in einer tiefen wohnungspolitischen Krise. Per Volksentscheid will die Kampagne "Deutsche Wohnen & Co enteignen" die Vergesellschaftung großer privater Wohnungsunternehmen erwirken.
Auch wenn der Volksentscheid nicht eins zu eins umgesetzt wird, wie es die politischen Mehrheiten vermuten lassen, dürfte das klare Ergebnis das Klima für Investoren verändern, sagt Warnecke. "Ich sehe ein gesellschaftspolitisches Signal, das sich gegen Eigentum wendet. Eigentum und Freiheit sind zwei Grundrechte, die elementar zueinander gehören. Ab sofort muss sich jeder überlegen, der Geld spart, der für die Altersvorsorge vorbeugen möchte. Ob er das in Berlin machen möchte oder doch lieber woanders."
Quellen: Sebastian Engelbrecht, Manfred Götzke, Claudia von Laak, og