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Volksentscheid in Mecklenburg-Vorpommern
Reformmüde Bürger begehren auf

Mecklenburg-Vorpommern steht vor seinem ersten Volksentscheid: Die Bürger stimmen am kommenden Sonntag über eine Umkehr der Gerichtsreform ab. Die hatte zur Zusammenlegung der Amtsgerichte geführt und viele Bürger verärgert. In dem Entscheid drückt sich auch die Wut über anhaltende Reformen in vielen anderen Bereichen aus.

Von Silke Hasselmann |
    Plakat hängt an einem Zaun, eine Frau auf einem Rad fährt vorbei, Aufschrift auf dem Plakat: "Rettet unser Amtsgericht Hagenow! Ja zum Volksentscheid am 6. September"
    Die Bürger von Mecklenburg-Vorpommern stimmen am 6. September über die Justizreform ab. (dpa/picture alliance/Jens Büttner)
    "Wir sind hier, wir sind raus, weil man uns den Rechtsstaat raubt! Wir sind hier..."
    So etwas hat es in Schwerin noch nicht gegeben. Erstmals in der Geschichte des Landes Mecklenburg-Vorpommern tragen Richter und Anwälte ihre Roben nicht im Gerichtssaal, sondern auf der Straße, bei einer politischen Demonstration. Vor dem Justizministerium protestieren sie gegen die geplante Gerichtsstrukturreform und beklagen einen "Raub des Rechtsstaates". Einige grüne und linke Landespolitiker haben sich ihnen angeschlossen. Wovor genau haben sie Angst?
    "Na, dass zum einen die Wege zum Gericht viel weiter werden und damit den Menschen ins Gesicht geschlagen wird und auch der Justiz ins Gesicht geschlagen wird. Und damit hat man nicht mehr nur das Gefühl, dass der Staat sich aus der Fläche zurückzieht, sondern das ist Realität geworden. Und deswegen sind wir alle gegen die Schließung der Amtsgerichte, denn das ist ein Stück Lebensqualität, welches da verloren geht."
    Das war vor zwei Jahren im Sommer. Doch alles Protestieren und Demonstrieren - vergebens. Wenig später, im Dezember 2013, hat die Landtagsmehrheit von SPD und CDU die Reform beschlossen.
    Derzeit werden die bisherigen 21 Amtsgerichtsbezirke zu zehn größeren Einheiten zusammengefasst. Das heißt: Zehn Amtsgerichte bleiben, mit mehr Personal. Sechs sollen als kleinere Zweigstellen weiterarbeiten. Fünf Gerichtsstandorte werden komplett aufgegeben. Die dortigen Richter, Mitarbeiter und Akten ziehen um.
    Beispiel Hagenow, eine mecklenburgische Stadt mit 11.000 Einwohnern südwestlich von Schwerin. Das dortige Amtsgericht wurde im März geschlossen. Zuständig ist jetzt das Amtsgericht in Ludwigslust - rund 30 Kilometer von Hagenow entfernt. Die meisten Bürger aus dem bisherigen Amtsgerichtsbezirk Hagenow müssen nun länger fahren, um ihre Angelegenheiten am Amtsgericht abzuwickeln. Mit bürgernaher Justiz habe das nichts mehr zu tun, bemängeln die Reformkritiker.
    Zu den aktivsten Gegnern der Reform gehört Axel Peters, er ist Amtsgerichtsdirektor im vorpommerschen Ribnitz-Damgarten und Landesvorsitzender des Richterbundes. Dieser Tage widmet Axel Peters seinem Ehrenamt besonders viel Zeit, denn es gilt Mecklenburg-Vorpommerns ersten Volksentscheid vorzubereiten.
    450.000 Ja-Stimmen sind notwendig
    Zur Abstimmung am kommenden Sonntag steht das Volksbegehren, die Gerichtsstrukturreform vollständig zurückzudrehen und neu zu diskutieren - initiiert vom Richterbund Mecklenburg-Vorpommern und dem Verein "Pro Justiz". Um das Schweriner Landesparlament zu zwingen, sich mit dem Begehren zu befassen, mussten sie mindestens 120.000 Unterschriften und Adressen von wahlberechtigten Bürgern aus Mecklenburg-Vorpommern sammeln. Fast 150.000 kamen zusammen. Eine Sensation.
    Axel Peters, Mann in schwarzer Hose und weißem Hemd, steht vor einem Gebäude mit dem Schild "Amtsgericht Stralsund":
    Axel Peters, Amtsgerichtsdirektor in Ribnitz-Damgarten und Vorsitzender des Landesrichterbundes Mecklenburg-Vorpommern, ist eine der treibenden Kräfte hinter dem Volksentscheid. (Deutschlandradio/Silke Hasselmann)
    Im Juni beriet der Landtag das Begehren und lehnte es erwartungsgemäß mit der rot-schwarzen Koalitionsmehrheit ab. Das bedeutete automatisch: Volksentscheid. Gibt es genügend JA-Stimmen für das Begehren, dann muss die Landesregierung es sofort umsetzen, erklärt Axel Peters.
    "Wir müssen erreichen, dass ein Drittel der Wahlberechtigten in Mecklenburg-Vorpommern unserem Gesetzentwurf zustimmt, also mit Ja stimmt. Es dürften ungefähr 450.000 Ja-Stimmen notwendig sein, damit das Volksbegehren erfolgreich ist im Volksentscheid. Das ist noch nie von irgendeiner Partei in diesem Land erreicht worden, diese Zahl, und auch die Regierungsfraktion zusammen hat nicht so eine hohe Zustimmung. Also insofern sind die Hürden gigantisch hoch und entsprechend schwer natürlich zu erreichen."
    Es reicht also nicht, nur eine Mehrheit all jener zu gewinnen, die sich am Volksentscheid beteiligen. Es geht vor allem um eine qualifizierte Masse - mindestens 450.000 Ja-Stimmen. Zum Vergleich: Bei der Landtagswahl 2011 brachten es SPD und CDU gemeinsam auf nur 422.000 Wählerstimmen.
    Doch die Initiatoren von Volksbegehren und Volksentscheid wollen sich von dem hohen Quorum nicht entmutigen lassen. Auf Handzetteln und Wahlplakaten rechnen sie vor, dass etwa ein Drittel der Einwohner von Mecklenburg-Vorpommern nach der Reform mehr als 60 Kilometer zum zuständigen Amtsgericht zurücklegen muss. Viele Bürger hätten überdies bereits schlechte Erfahrungen gemacht, erzählt Axel Peters. So wurden die bisherigen Aufgaben des Amtsgerichtes Anklam teils auf Pasewalk, teils auf Greifswald übertragen. Anklam selbst darf immerhin noch eine Zweigstelle betreiben, aber:
    "Anklam und der Hauptstandort Pasewalk - da herrscht relativ großes Chaos. Nicht im Gericht, sondern auch außerhalb des Gerichtes, weil es inzwischen ein Zuständigkeitswirrwarr gibt. So kommt es also doch mal häufiger vor, dass, während Richter und Staatsanwalt sich in Anklam zur Jugendstrafsache versammeln, der Angeklagte und die Zeugen in Pasewalk über den Flur irren und nicht wissen, in welchem Raum sie sind und das Gericht suchen."
    Und das, obwohl Angeklagte, Zeugen und Anwälte eine schriftliche Ladung vom Gericht erhalten.
    Verzichten Bürger wegen langer Wege auf Wahrnehmung ihrer Rechte?
    Diese Probleme hätten nichts mit der Reform zu tun, sondern mit Pannen und Fehlern in der gerichtsinternen Arbeitsorganisation, heißt es im Schweriner Justizministerium. Dort vermutet man, dass sich viele Richter, Rechtsanwälte und Gewerkschaften gegen die Neuordnung wenden, weil sie persönliche Unbequemlichkeiten fürchten - vor allem längere Fahrtwege zwischen Wohn- und Dienstort. Unsinn sei das, entgegnet Axel Peters. Wenn er und seine Kollegen Anfang 2017 das Amtsgericht Ribnitz-Damgarten schließen und fortan in Stralsund Recht sprechen, dann würde das für die meisten sogar kürzere Wege bedeuten. Nein, das Problem liege tiefer:
    "Man setzt letztlich auf Zentralisierung, man zieht aus der Fläche die Gerichtsstandorte ab oder verringert ihre Aufgabenzuständigkeit, indem man Zweigstellen schafft, und konzentriert dieses vor allem in den größeren Städten. Weite Wege sind die Folge, höhere Kosten für den Bürger bis dahin, dass die Leute abwinken und sagen: 'Also bevor ich zum Gericht 50 Kilometer fahren muss und dann muss ich noch einen Anwalt bezahlen und wenn ich verliere, muss ich ihn ganz bezahlen - nee, das lass ich. Ich verzichte im Prinzip darauf, mein Recht durchzusetzen.' Das sind die Gefahren, die mit diesem Rückgang aus der Fläche zu tun haben."
    Bislang ist der Amtsgerichtsbezirk Neuruppin im Land Brandenburg mit 2.500 Quadratkilometern der flächenmäßig größte Amtsgerichtsbezirk in Deutschland. Nach der Reform werden vier Bezirke in Mecklenburg-Vorpommern sogar noch größer sein. Vorne weg der Amtsgerichtsbezirk Ludwigslust, der eine Fläche von rund 4.300 Kilometer abdeckt.
    So nicht, meint Günter Nietzschke, ein ehedem aus Sachsen zugezogener Schweriner. Der Rentner hat bereits per Briefwahl abgestimmt.
    "Ich habe das JA angekreuzt, weil ich dafür bin, dass diese Gerichtsreform rückgängig gemacht wird, um dass die Leute, die auf den Dörfern und Kleinstädten wohnen, dass die ihren kürzeren Weg behalten und damit auch ihre rechtlichen Grundsätze, die sie haben gegenüber dem Staat oder gegenüber anderen Personen, dass sie diese wahrnehmen können auf dem kürzesten Weg."
    Ortswechsel: Parchim in Mecklenburg. Vor 20 Jahren lebten hier noch etwas mehr als 21.000 Menschen. Der jüngste Zensus von 2013 weist nur noch rund 17.500 Einwohner aus. Tendenz: weiter sinkend.
    Auch in Parchim zählte das altehrwürdige Amtsgericht über Jahrhunderte hinweg zu den Selbstverständlichkeiten in Stadtbild und Gesellschaft. Nun gehört die Gemeinde zu dem riesigen Amtsgerichtsbezirk Ludwigslust. Immerhin - die Parchimer mussten ihr Gericht nicht komplett zusperren. Sie können es als Zweigstelle weiterführen, vor allem für Grundbucheintragungen und Betreuungsangelegenheiten, wie die Landesjustizministerin immer wieder in Gesprächen mit Mitarbeitern und Bürgern erklärt hat:
    "Die ist genauso sicher wie der Hauptstandort, so eine Zweigstelle." - "Nein..." - "Na selbstverständlich. Im Entwurf steht drin, dass bestimmte Sachen garantiert da sein müssen. Das sind die Sachen, wo der Bürger besonderen Kontakt zum Gericht pflegt...," so Uta-Maria Kuder (CDU) im Frühjahr, als die Reform Parchim erreichte.
    Mittlerweile habe sich die größte Aufregung wohl gelegt, meint die Justizministerin. Doch sie ist durch die überraschend hohe Zahl der Unterschriften für das das Volksbegehren gewarnt. Nun hofft sie, dass ihre Reform den ersten Volksentscheid des Landes übersteht:
    "Also ich denke, zunächst mal muss sich jeder Bürger fragen, wie oft in seinem Leben er selber zu Gericht muss und was ihm wichtiger ist. Ob es das Gericht nebenan ist oder die Frage, wie schnell komme ich an meine erwartete Entscheidung. Und ich glaube, dass es ganz entscheidend für den Bürger ist, zügig eine Entscheidung zu bekommen, und das werden wir nur dadurch erreichen, indem wir die Gerichtsbezirke zusammenschließen, die Einheiten vergrößern, um letztlich Krankheitsausfälle, Urlaubsausfälle und Ähnliches zu kompensieren."
    "Kreisgebietsreform, Polizeireform, Theaterreform - Jetzt reicht´s!"
    Das ohnehin dünn besiedelte Mecklenburg-Vorpommern hat seit der Wiedervereinigung und der Gründung des Landes vor 25 Jahren eine halbe Million Einwohner verloren. Immer weniger Menschen in einem Bundesland - das heißt auch: immer weniger Arbeit für die Amtsgerichte und in der Folge immer kleinere Gerichte.
    "Und wir müssen uns Strukturen überlegen, wie wir da eine gute Justiz aufrecht erhalten können und da die Details zu erklären - zum Beispiel wenn mir ein Richter ausfällt an einem kleinen Gericht, wo ich am Ende noch zwei, drei Richter habe und einer im Urlaub ist, da kann ich nicht einfach eine Vertretung hinschicken."
    Das gehört zur richterlichen Unabhängigkeit: Nicht einmal vertretungsweise darf ein Richter in Deutschland von seinem einmal zugewiesenen Gericht wegversetzt werden, wenn er es nicht will. Wird jedoch ein Gericht geschlossen, darf und muss für die betroffenen Richter natürlich eine neue Verwendung gefunden werden.
    Ziel der Gerichtsstrukturreform also: mehr Flexibilität und Effektivität durch größere Amtsgerichtsbezirke, für die dann mindestens neun bis zehn Richter zuständig sind statt jetzt mitunter nur zwei, sagt Justizministerin Uta-Maria Kuder. Doch warum verhallt dieses vernünftig klingende Argument bei den Reformgegnern?
    "Ich glaube gar nicht, dass es die Gerichtsstruktur an sich ist, die so viele Unterschriften tatsächlich produziert hat. Sondern es ist schon das Thema der vielen Reformen in den vergangenen Jahren."
    Plakat der Grünen an einem Laternenpfahl am Straßenrand mit der Aufschrift: Polizeireform, Kreisreform, Gerichtsreform - jetzt reicht's! 6. September - Ja beim Volksentscheid.
    Reformmüde: Die Grünen werben für ein Ja beim Volksentscheid. (Deutschlandradio/Silke Hasselmann)
    Und die bedeuteten immer auch Zusammenlegen, Kürzen, Reduzieren. Zwar wird durch die Gerichtsreform ausdrücklich keine Stelle gestrichen. Doch sogar die so reformfreudigen Bündnis 90/Grünen plakatieren: "Kreisgebietsreform, Polizeireform, Theaterreform - Jetzt reicht´s!"
    Diesen Vorwurf muss sich auch Mathias Brodkorb oft anhören. Der Sozialdemokrat verantwortet in Schwerin als Bildungs- und Kultusminister bereits eine Hochschulreform. Nun will er die Theaterlandschaft umkrempeln.
    Keine öffentlich finanzierte Bühne im Land soll ganz dicht machen müssen, doch wenn nicht gerade Mäzene mit viel privatem Geld vom Himmel fallen, dann geht das nur, wenn man die jetzigen Strukturen ändert und - wie bei den Amtsgerichten - auf noch größere Einheiten setzt, meint Minister Brodkorb.
    Nach seinem Plan sollen sich zum Beispiel die Theater- und Orchester GmbH Neustrelitz/Neubrandenburg und das Theater Vorpommern mit den Standorten Stralsund, Greifswald und Putbus zu einem "Staatstheater Nordost" zusammenschließen. Die Häuser müssten sich die künstlerischen Aufgaben teilen, ihre Ensembles jeweils auch die anderen Bühnen bespielen. Denn kein Standort würde mehr alle Sparten von Schauspiel über Ballett bis Oper abdecken.
    Dagegen sammelte die Stralsunder Bürgerinitiative "TheaterLeben" im Sommer 5.700 Unterschriften - das sind zehn Prozent der Einwohner und darunter etliche, die nach eigenem Bekunden gar nicht ins Theater gehen. Man müsse nicht immer selbst betroffen sein, um eine Reform schlecht zu finden, weiß der Kultusminister und wäre nicht überrascht, wenn viele Menschen den Volksentscheid über die Gerichtsstrukturreform am Sonntag nutzen, um der Politik klarzumachen, wie reformmüde sie sind.
    "Man muss natürlich sagen, dass die ostdeutsche Bevölkerung in einer Art und Weise mit Reformen konfrontiert wird, wie das im Westen nicht mal ansatzweise der Fall war. Wir müssen jedes Jahr Reformen machen in unterschiedlichen Bereichen, und das heißt: Einschnitte, weil wir so dramatisch an Bevölkerung verlieren, dass wir auch Geld verlieren von westdeutschen Ländern, vom Bund und von der EU. Wir können gar nicht anders, wenn wir überleben wollen, als nach den effizientesten Formen zu suchen."
    Mit "Überleben" meint Mathias Brodkorb das Fortbestehen von Mecklenburg-Vorpommern als eigenständiges Bundesland. Die mitunter diskutierte Alternative hieße: Mecklenburg-Vorpommern geht in einem Nordstaat auf, zusammen mit Hamburg und Schleswig-Holstein. Beide sind aber im Gegensatz zum Nordosten hoch verschuldet. Mecklenburg-Vorpommern, das auch dank seiner Bereitschaft zu Strukturreformen seit 2007 keine neuen Schulden mehr aufnimmt, wäre gekniffen.
    "Jetzt stelle ich mir mal vor, wir werden von Hamburg aus regiert, bringen in diese Ehe die beste finanzpolitische Situation aller Länder ein, übernehmen dann die Schulden von Hamburg und Schleswig-Holstein, und dann wird zukünftig in Hamburg entschieden, was in Pasewalk mit der Schule passiert, ich kann nur sagen, na gute Nacht!"
    Ungeliebte Polizeireform
    Nun hätten Politiker die Wahrheit ja nicht gepachtet, sagt der studierte Philosoph und heutige Bildungs- und Kultusminister Mathias Brodkorb. Proteste gegen Strukturreformen seien also völlig in Ordnung, aber:
    "Bei dieser öffentlichen Debatte geht es ja normalerweise nicht darum, WIE diese Strukturreform gemacht wird. Dieser Streit dreht sich meist um's OB. Ob Reformen nötig sind. Und da kann man immer nur hoffen, dass die Wähler selber Kinder haben und sich die Frage stellen, ob sie wirklich die Verantwortung dafür tragen wollen, dass ihre Kinder und Enkel es mal sehr viel schlechter haben werden als sie selbst. Weil man selbst nicht bereit war, bestimmte Änderungen zuzulassen."
    Der Innenminister von Mecklenburg-Vorpommern, Lorenz Caffier (CDU)
    Der Innenminister von Mecklenburg-Vorpommern, Lorenz Caffier (CDU) (picture alliance / ZB - Jens Büttner)
    Lorenz Caffier gehört zu den Reformern, die auf außergewöhnliche Art dazu gelernt haben. 2006 klagte er als Chef der oppositionellen CDU-Landtagsfraktion gegen die von SPD und der Linken geplante Kreisgebietsreform. Als die Landesverfassungsrichter ihm recht gaben, war Caffier jedoch mittlerweile selbst in der Regierung - als Innenminister.
    "Selbstverständlich wird die Betrachtung, wenn man selber in Verantwortung ist, zu bestimmten Dingen, eine andere."
    Als Minister sah Lorenz Caffier schnell, dass und warum das Land nach 1994 schon wieder eine Kreisgebietsreform brauchte. Es zogen nämlich weiterhin immer mehr Menschen weg, vor allem die jüngeren. Die Finanzlage von Kreisen und Kommunen - teils dramatisch. Also setzte er die Kreisgebietsreform etwas verändert fort.
    Aus einst 36 Landkreisen sind nun die beiden kreisfreien Städte Rostock und Schwerin sowie sechs riesige Landkreise geworden. Wer etwa in der bisherigen Kreisstadt Pasewalk auf dem Amt zu tun hatte, muss nun 60 Kilometer weiter nach Greifswald fahren.
    Auch mit der Polizeireform hat sich Innenminister Caffier nicht nur Freunde gemacht: Heute gibt es nur noch 5.800 Stellen im Landespolizeidienst, 1990 waren es noch fast 10.000. Andererseits leistet sich Mecklenburg-Vorpommern bezogen auf die Einwohnerzahl immer noch mehr Polizisten als alle anderen deutschen Flächenländer. In Schleswig-Holstein und Brandenburg etwa, den Nachbarländern, kommen auf 1.000 Einwohner nicht einmal drei Polizisten, in Mecklenburg-Vorpommern sind es 3,6.
    "Wenn Sie ein großes Flächenland mit wenigen Einwohnern sind, dann haben die Menschen gleichermaßen einen Anspruch auf Polizei, auf Infrastruktur, auf Schule, Arzt, das gesamte wie in Gegenden, wo Sie 300 und mehr auf einen Quadratkilometer haben. Wir haben aber viele Gegenden, da wohnen nur 30 auf einen Quadratkilometer. Und das hat natürlich zur Folge, dass wir Einschnitte vornehmen müssen, und das ist natürlich eine ausgesprochen schwierige Situation, weil im Öffentlichen Dienst grundsätzlich alle davon ausgehen, es muss alles so bleiben, wie es ist. Und auf Veränderungen in der Gesellschaft, auf Veränderungen im Umfeld, auf demografische Entwicklungen alle gar nicht reagieren wollen. Und wer ein Ministerium übernimmt und meint, er will den Sympathiepreis gewinnen, dann dürfen Sie auf keinen Fall irgendwelche Strukturen anfassen."
    Eine Million Euro "Demokratiekosten" für die Abstimmung
    Derweil plagen den Amtsgerichtsdirektor von Wolgast, Arne Hennig, andere Sorgen. Er kümmerte sich in den vergangenen Wochen vor allem darum, dass 1,5 Kilometer Registraturakten und Kladden verpackt und nach Greifswald geliefert wurden. Dort werden Hennig und seine Wolgaster Kollegen künftig Recht sprechen.
    "Man hat zum einen die Wut im Bauch, dass man hier zumachen muss. Man soll weiterhin freundlich zu den Menschen sein und man soll auch noch seine Arbeit schaffen."
    Am vergangenen Montag hat Hennig das Schild von dem 500 Jahre als Amtsgericht dienenden Backsteingebäude abmontiert und an einem symbolischen Trauerzug teilgenommen. Wolgast - ab sofort kein Ort der Rechtsprechung mehr. Es sei denn, der Volksentscheid am kommenden Sonntag zwingt die Landesregierung doch noch dazu, den alten Zustand wiederherzustellen, so wie es auch der Richterbund Mecklenburg-Vorpommern mit Axel Peters an der Spitze will.
    Eine Million Euro aus Steuermitteln kostet diese Abstimmung. "Demokratiekosten", sagt Axel Peters, genau wie das Geld, das möglicherweise umsonst in die Gerichtsstrukturreform investiert worden sei. Peters hofft jedenfalls, dass sich die Bürger nicht abschrecken lassen, für die Rückabwicklung zu stimmen, auch wenn das Schweriner Justizministerium unbeirrt Fakten schafft.
    "Es lässt sich ja auch viel besser verkaufen, indem man genau dieses Argument bringt, dass man sagt: 'Jetzt ist doch schon alles so weit vorangeschritten. Wollen wir das wirklich alles zurückdrehen?' Also auch da wird natürlich genau der Umstand geschaffen, mit dem man dann sein eigenes Tun wieder begründet. Aber naja - das ist eben Politik."