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Volksgruppe der Hadza
Das Ende der letzten Jäger und Sammler?

Sie erbeuten Wild, suchen Honig und Beeren, leben nomadisch in wechselnden Gruppen: Die Hadza im Norden Tansanias gelten als eine der letzten Ethnien von Jägern und Sammlern. Doch Straßenausbau und Klimawandel bedrohen den ursprünglichen Lebensstil. Die Hadza selbst reagieren unterschiedlich auf den Wandel.

Alyssa Crittenden im Gespräch mit Lennart Pyritz |
Am Eyasi-See in Tansania halten Osama (15) und Manu (14) Pfeil und Bogen in der Hand, während sie auf einem abgestorbenen Baum sitzen. Sie gehören den Hadza an, einer der letzten Gemeinschaften von Jägern und Sammlern.
Die Hadza gelten als Beispiel dafür, wie Menschen vor Aufkommen des Ackerbaus gelebt haben könnten (imago stock&people)
Lennart Pyritz: Warum wecken die Hadza gleichermaßen in der Anthropologie, den Sozialwissenschaften und der Biologie Interesse?
Alyssa Crittenden: Weil die Hadza einen Lebensstil repräsentieren, der ungefähr 95 Prozent der Geschichte menschlicher Evolution charakterisiert hat. Die meiste Zeit, die wir auf zwei Beinen herumgelaufen sind, waren wir Jäger und Sammler. Erst vor etwa 11.000 Jahren mit dem Aufkommen des Ackerbaus haben wir unsere Ernährung verändert. Dass die Hadza die ursprüngliche Ernährungsweise bis heute beibehalten haben, macht sie so interessant; außerdem die Tatsache, dass sie eine kleine, nicht-industrielle Population sind, die nomadisch oder halb-nomadisch lebt. Sie haben sehr große soziale Netzwerke. Sie leben in wechselnden Gruppen unterschiedlicher Größe. All diese Eigenschaften machen sie nicht nur interessant für Leute, die kulturelle Diversität erfassen wollen. Sie eröffnet auch denen, die an der Evolution menschlichen Verhaltens und Biologie interessiert sind, einen besseren Einblick, wie wir zu dem wurden, was wir sind.
"Alle arbeiten mit denselben 150 Hadza"
Pyritz: Es gibt die Sorge, dass die Hadza sozusagen überforscht sind. Dass die Anwesenheit der Forscher, deren Autos, deren Essen, deren Kameras den Lebensstil der Hadza gefährden könnten. Was ist Ihre Erfahrung damit?
Crittenden: Dazu würde ich gerne auf zwei Aspekte eingehen. Erstens: Die Hadza stehen seit den 1960er Jahren im Fokus intensiver anthropologischer Forschung. Bereits seit 1912 gab es Publikationen über sie. Und schon die ersten Aufzeichnungen zeigen, dass die Hadza keine isolierte Gruppe waren. Sie interagieren mit anderen Volksgruppen in ihrem Gebiet, aber auch mit der Regierung, mit Wissenschaftlern und Entdeckern. Ich denke, es ist eine romantische, unserem Denken entspringende Vorstellung, dass es da eine unberührte Volksgruppe in der Wildnis gibt. Das ist nicht nur eine Fantasie, es erweist diesen Menschen auch zu einem gewissen Grad einen Bärendienst. Der zweite Punkt ist, dass ich tatsächlich die Gefahr der Überforschung sehe. Wir müssen auch über Ermüdungserscheinungen durch die Forschung nachdenken. Filmcrews, Regierungsorganisationen, Wissenschaftler aus aller Welt – sie alle arbeiten mit denselben 150 Hadza. Die Hadza haben da selbst Bedenken geäußert. Ich bin nicht in der Position für sie zu sprechen. Das machen sie selbst. Der Trick ist es, dass sie eine Plattform bekommen, um gehört zu werden. Daran arbeiten sie derzeit, und ich werde sie dabei nach Kräften unterstützen.
Pyritz: Ein anderer Faktor neben der Forschung, der den Lebensstil der Hadza beeinflusst oder gefährdet, sind die Veränderungen der Welt um sie herum: das Bevölkerungswachstum in Tansania, der Klimawandel und so weiter. Wie bewerten Sie diese Risiken für die Hadza?
Crittenden: Früher war es sehr schwer, die Hadza zu erreichen. Noch in den frühen 2000er Jahren gab es keine Straßen zu ihren Camps im Busch. Das änderte sich dann schlagartig vor knapp 20 Jahren mit dem Bau asphaltierter Straßen im Norden Tansanias, wo die Hadza leben. Und mehr Zugänglichkeit bedeutet auch mehr Interaktion. Die Welt kann jetzt die Hadza besuchen. Wenn Sie es sich leisten können, können auch Sie in das entlegenste Buschcamp der Hadza reisen und ein unvergessliches Abenteuer erleben. Was ich sagen will: Der Norden Tansanias verändert sich und damit auch die Bevölkerung in diesem begrenzten Gebiet. Und wenn wir auf den Klimawandel schauen: mit ihm verändert sich die Verfügbarkeit natürlicher Ressourcen. Und das beeinflusst ganz sicher den Lebensstil von Jägern und Sammlern. Wir wissen auch, dass die Zahl an Wildtieren abnimmt. Aber wie genau das alles die Hadza treffen wird, das wissen wir nicht. Das bedeutet, wir erleben einen wirklich interessanten Zeitpunkt der menschlichen Geschichte. Wir sehen diese Veränderungen, aber wir wissen nicht, wie sie sich im Einzelnen auf die Menschen in der Region auswirken werden.
Einige wollen Jäger und Sammler bleiben, andere wollen ihre Kinder zur Schule schicken
Pyritz: Wie reagieren denn die Hadza selbst auf diese Veränderungen? Sind sie bereit für Veränderungen oder versuchen sie, ihren traditionellen Lebensstil beizubehalten?
Crittenden: Noch einmal: Ich möchte nicht für die Hadza sprechen. Ich kann Ihnen sagen, was mir Freunde und Gesprächspartner bei den Hadza über die derzeitige Lage mitgeteilt haben. Ein wichtiger Teil der Geschichte ist, dass die Hadza mit Hilfe einiger Nichtregierungsorganisationen im Jahr 2011 eine Art Bescheinigung des Wohnrechts bekommen haben; ein wichtiger erster Schritt für sie, um legale Ansprüche auf ihr Heimatgebiet anmelden zu können. Das bedeutet, dass die Welt und die tansanische Regierung anerkennen, dass die Hadza ein Recht auf ihr angestammtes Land haben. Es geht da um insgesamt 57.000 Hektar. Das klingt nach viel, macht aber nur einen kleinen Teil des Landes aus, das ihre Vorfahren durchstreift haben. Und es ist kein idealer Teil des traditionellen Territoriums. Es gibt auch keine Möglichkeit, die Grenzen dieses Gebietes zu schützen. Damit zurück zu Ihrer Frage: Ich denke, es gibt einige Hadza, die ihren traditionellen Lebensstil dort beibehalten wollen, die Jäger und Sammler im Busch bleiben wollen. Und es gibt andere Hadza, die ihre Kinder zur Schule schicken wollen, die einer Lohnarbeit nachgehen, und ihre Kinder impfen lassen wollen. Ein Freund bei den Hadza hat mir gesagt, er wolle in die Schule gehen und Englisch lernen, um zu verstehen, was die Welt über seine Leute schreibt. Es gibt da also nicht eine allgemeingültige Haltung. Ich als Wissenschaftlerin und Freundin der Hadza denke: Denjenigen, die weiter im Busch leben wollen, sollten wir nach Kräften dabei helfen. Und dasselbe gilt für die, die den Assimilationsprozess weiter fortsetzen möchten. Die Welt hat viel von den Hadza gelernt. Sie haben bereitwillig Informationen gegeben und mehrere unterschiedliche Wissenschaftsfelder vorangebracht. Es ist an der Zeit, dass wir diesen Menschen etwas zurückgeben.
Den Übergang zu einem veränderten Lebensstil dokumentieren
Pyritz: Wie könnten oder sollten denn Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler den Hadza helfen, ihren Lebensstil zu wahren – oder ihn zu verändern? Wie könnte das praktisch aussehen?
Crittenden: Ich denke, die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind dabei nur ein Faktor unter mehreren. Es gibt viele Organisationen vor Ort, die versuchen, die Hadza so gut wie möglich zu unterstützen. Ein Bekannter von mir, der selbst den Hadza angehört, hat eine eigene NGO gegründet. Für mich selbst kann ich aus der Warte der Forscherin sagen: Ich fühle mich verantwortlich. Wir sollten nicht nur einfach weiter forschen, nicht nur so lange es geht weiter Wissen ansammeln zu einem Lebensstil, der auf Jagen und Sammeln beruht. Wir sollten auch beobachten, wie dieser Übergang zu einer anderen Ernährungsweise abläuft. Ich denke, wir haben da eine wissenschaftliche Verantwortung, diesen Prozess erstmals zu dokumentieren. Zusätzlich haben wir die ethische Verantwortung, dass unsere Arbeit den Menschen zu Gute kommt, mit denen wir arbeiten. Das ist nicht neu. Darüber sprechen Anthropologen und andere Wissenschaftler schon seit Jahrzehnten. Es ist aber auch ein sehr kontroverses Thema, weil viele Forscher nichts unternehmen wollen, das als politischer Aktivismus oder Entwicklungshilfe wahrgenommen wird. Dagegen sehen die Hadza, mit denen ich darüber gesprochen habe, da keinen Unterschied und plädieren für bestimmte Forschungsprojekte. Ich arbeite deshalb mit einer Gruppe von Kollegen daran, dass die Hadza ein eigenes Büro für Forschungsgenehmigungen bekommen. So hätten sie mehr Kontrolle über die wissenschaftlichen Projekte, die betrieben werden. Die Welt blickt auf diese Situation. Und ich denke, die Art und Weise, wie über die Hadza geforscht wird, wird sich in den kommenden Jahrzehnten verändern.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.